Schule als ein wichtiger Ort der Inklusion: Die 5. Ausgabe des Unterrichtsmaterials „Arbeitsblätter zur Demokratieerziehung in der Grundschule“

Beitrag verfasst von: Birgit Redlich
[präsentiert]: Birgit Redlich und Yvonne Blöcker über das neue Arbeitsblätterheft zur Demokratieerziehung

Die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass bis Ende 2019 ein Vorschlag zur Verankerung der UN-Kinderrechte im Grundgesetz vorliegen solle. Mit einer solchen gesetzlichen Verbindlichkeit ließen sich die Interessen und die Rechtsposition von Kindern stärken und nicht zuletzt der Inklusionsgedanke aufgreifen, weil – so die Erwartung – Kinder dann konsequenter als Subjekte der Selbstbestimmung und als Teil der Gesellschaft wahrgenommen würden. Dies bedeutet auch, dass Kinder in sie betreffende, u.a. politische Entscheidungen, stärker einbezogen werden müssten.[1]

Im Schulkontext bedeutet Inklusion, dass alle Schülerinnen und Schüler aktiv am Schulalltag teilnehmen: Sie erleben sich in ihrer Unterschiedlichkeit und im Schulalltag gemein­sam als Klasse und wachsen in der Folge – idealerweise – zu einer Gemeinschaft zusammen. Dieser Inklusionsgedanke gilt sowohl für die Grundschule als auch für die weiterführenden Schulen. Häufig wird unterschieden, ob sich der Inklusionsbegriff insbesondere auf Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung bezieht (enger Inklusionsbegriff) oder ob er Schülerinnen und Schüler meint, die sich hinsichtlich vielfältiger Heterogenitätsdimensionen voneinander unterscheiden (weiter Inklusionsbegriff).[2] Letzteres impliziert zum einen Vielfalt bezüglich der Ethnie, der sozialen Herkunft und Position, der sexuellen Identität, des Alters, der Weltanschauung oder Religion – stets unter der Prämisse der gegenseitigen Beeinflussung und Verschränkung dieser Dimensionen.­

Teilhabe ist somit nicht nur ein wichtiger Bestandteil von Inklusion, sondern auch der Demokratie insgesamt.[3] Die demokratischen Grundwerte gelten für alle Menschen und schließen somit alle ein – dies drückt der Begriff „Inklusion“ in seiner weiten Auslegung, die hier zugrunde liegen soll, im Kern aus. Auf dem Grundprinzip der Wertschät­zung der jeweiligen Einzigartigkeit eines Menschen – der unantastbaren Würde des Menschen gemäß Art. 1 des Grundgesetzes sowie der Freiheit der Person gemäß Art. 2 des Grundgesetzes — basiert sowohl Inklusion im Speziellen als auch die Demokratie in Deutschland im Allgemeinen.

Die Rolle der Lehrkraft

Lehrkräfte spielen bei der Inklusion eine Schlüssel­rolle: Ihre Handlungsmuster und didaktischen Konzepte beeinflussen nicht nur das Klassenklima in Richtung gelebter Inklusion, sondern sie können auch selbst für die Schülerinnen und Schüler als Vorbilder fungieren.[4] Dement­sprechend kann die Institution Schule als ein beson­ders wichtiger Ort der Inklusion betrachtet werden. Gleichwohl ist an dieser Stelle anzumerken, dass der Umgang mit heterogenen Lerngruppen und eine damit verbundene Schulentwicklung, Schulausstat­tung sowie Unterrichtsgestaltung die Schulleitung und Lehrkräfte vor Herausforderungen stellen: Der Indi­vidualität und Heterogenität der Schülerinnen und Schüler soll vielfältig und angemessen begegnet werden. Damit Inklusion für den Schulalltag nicht als ein unerreichbares Ide­al wahrgenommen wird, sollte der Blick darauf ge­richtet werden, „[…] alle Barrieren in Bildung und Erziehung für alle SchülerInnen auf ein Minimum zu reduzieren“[5] und die Schülerinnen und Schüler mit ihren jeweiligen indivi­duellen Merkmalen und Fähigkeiten entsprechend zu fördern. Inklusion muss damit als ein langer Prozess verstanden werden und das Nachdenken darüber markiert den Anfangspunkt. Von besonderer Bedeu­tung ist, ein Bewusstsein für Inklusion zu schaffen – dies ist die zentrale Absicht der neu erschienenen Ausgabe der „Arbeitsblätter zur Demo­kratieerziehung in der Grundschule“.

Mit dieser Ausgabe möchten das Göttinger Institut für Demokratieforschung (mit dem dort angesiedelten Projekt „Kinderdemokratie“), das Niedersächsische Kultusministerium und das Nieder­sächsische Landesinstitut für schulische Qualitäts­entwicklung ein Angebot schaffen, mit dessen Hilfe Teilhabe im Sinne von Inklusion, deren Bedin­gungen und die damit zusammenhängenden Prozesse mit der Klasse erarbeitet und erlebbar gemacht wer­den können – gemäß dem Postulat: „Gemeinsam verschieden sein“[6]. Aus der Fülle möglicher thematischer Ansatzpunkte wurden drei Themenkomplexe aus­gewählt. Im ersten Schritt sollen sich die Schülerinnen und Schüler aktiv mit der Bedeutung von Inklusion und Gemeinschaft auseinandersetzen. Daraufhin werden gängige Konzepte infrage gestellt bzw. überprüft: Was meinen etwa die Attribute „normal“ und „nicht normal“? Im Zuge der Inklusion müssen folglich Normalitätsvorstellungen neu oder anders geordnet werden. Was bedeutet es bspw., ein „typisches Mädchen“ oder ein „typischer Jun­ge“ zu sein? Diese Frage greift geschlechtsbezogene Stereotype auf und unterzieht sie einer kritischen Analyse, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Sodann geht es um unterschiedliche Fähigkeiten: Wie kann jede(r) Einzelne anderen helfen, damit alle den Schulalltag gut bewältigen können? Auf einer demokratietheo­retischen Ebene stellt sich schließlich die Frage, wie Minderheiten geschützt werden können, damit deren Interessen nicht übergangen werden. Damit greift das Arbeitsblätterheft ein wichtiges Element des deutschen Grundgesetzes auf – in Art. 3 des Grundgesetzes wird die Gleichheit aller Menschen betont.

Genau dies möchten die vorliegenden Unterrichts­materialien bewirken: Sie wollen dafür sensibilisie­ren, dass auch Minderheiten hierzulande ihre Rech­te haben und dass sie – im Sinne von Inklusion – in die Gesellschaft „eingeschlossen“ (lat.: includere = einschließen), d.h. einbezogen, eben integriert werden. Denn in einer funktionierenden Demokra­tie kommt es stets auf den Umgang mit Vielfalt im gesellschaftlichen Zusammenleben an, damit alle Menschen bestmögliche Entfaltungs- und Lebensbe­dingungen bekommen. Insbesondere um der sogenannten gruppenbezoge­nen Menschenfeindlichkeit, d.h. „abwertenden und ausgrenzenden Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“[7], zu begegnen, bedarf es des ver­sierten Umgangs mit und der praktischen Erfahrun­gen von Vielfalt.

Ziel der Arbeit mit dem vorliegenden Heft ist die Stärkung der Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstbestimmung, Mün­digkeit und Solidarität sowie die Ausdifferenzierung ihres Verständnisses der Gleichberechtigung von Men­schen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, um ihre Demokratiefähigkeit zu fördern. Im Mittelpunkt steht die Handlungs- und Prozessorientierung. Auf diese Weise erfahren Schülerinnen und Schüler „die Bedeutung und Notwendigkeit eines demokratischen, achtsa­men, toleranten und respektvollen Umgangs mit anderen“[8].

Birgit Redlich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Sie arbeitet im Projekt „Göttinger Kinderdemokratie“.

Yvonne Blöcker ist wissenschaftliche Hilfskraft Institut für Demokratieforschung und promoviert über das Demokratieverständnis von Kindern mit Migrationshintergrund.

[1] Vgl. Wiese, Alexandra: Koalitionsvertrag 2018: Kinderrechte im Grundgesetz, 04.03.2018, URL: http://www.dgvn.de/meldung/koalitionsvertrag-2018-kinderrechte-im-grundgesetz-1/ [eingesehen am 29.03.2018].

[2] Vgl. Löser, Jessica M./Werning, Rolf: Inklusion. Allgegenwärtig, kontrovers, diffus?, in: Erziehungswissenschaft, Jg. 26 (2015), H. 2, S. 17–24, hier S. 17.

[3] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Stand: 07.02.2018, URL: http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/menschenr_durchsetzen/bilder/News/Kinderrechte_ins_Grundgesetz/koalitionsvertrag_2018.pdf, S. 21 [eingesehen am 28.03.2018].

[4] Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (Hrsg.): Inklusion. Leitlinien für die Bildungspolitik, Bonn 2014.

[5] Boban, Ines/Hinz, Andreas (Hrsg.): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Entwickelt von Tony Booth & Mel Ainscow, 2003, URL: http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index German.pdf, S. 11, H.i.O [eingesehen am 29.03.2018].

[6] Aktion Mensch (Hrsg.): Was ist Inklusion?, URL: https://www.aktion-mensch.de/themen-informieren-und-diskutieren/was-ist-inklusion.html [eingesehen am 28.03.2018].

[7] Küpper, Beate/Zick, Andreas: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, 20.10.2015, URL: http://www.bpb.de/politik/extre­mismus/rechtsextremismus/214192/gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit [eingesehen am 25.03.2018].

[8] Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Kerncurriculum für die Grundschule Schuljahrgänge 1–4. Sachunterricht, Hannover 2017, S. 16.