Rückblick: Die #doeff14

Beitrag verfasst von: Alexander Hensel, Christoph Hoeft

[kommentiert]: Alexander Hensel und Christoph Hoeft blicken auf die Tagung „politisches Handeln in digitalen Öffentlichkeiten“ zurück

Beginnen wir vom Ende her: Die Teeküche ist längst wieder sauber, Quittungen sind pedantisch sortiert und die überzähligen Brötchen vertilgt. Kurzum, unsere Tagung „Politisches Handeln in digitalen Öffentlichkeiten. Grassroots zwischen Autonomie, Aufschrei und Überwachung“ am letzten Wochenende in der Historischen Sternwarte ist erfolgreich verlaufen. Als Mitorganisatoren freuen wir uns über den reibungslosen Ablauf, viele interessante Vorträge und anregende Diskussionen im Plenum, auf Twitter und in den Raucherpausen. Für diejenigen, die kurz zuvor von der winterlichen Grippewelle erfasst worden sind, noch nicht die Audiomitschnitte der Vorträge vom Podcastkombinat gehört oder schlicht nicht herausbekommen haben, wo dieses Göttingen eigentlich genau liegen mag, folgt hier ein kurzer und subjektiver Rückblick auf unsere Tagung.

 

Der inhaltliche und konzeptuelle Impuls für die Organisation der Tagung ging auf eine gewisse Unzufriedenheit zurück. Allzu oft gerät die sozialwissenschaftliche Erforschung politischer Netzphänomenen ob der enormen Entwicklungsgeschwindigkeit des Digitalen latent in Verzug. Zugleich droht Gefahr, im Wettkampf um prägnante Label, griffige Erklärungen und schneidige Wertungen den tatsächlichen Mehrwert erfahrungs- und diskursgesättigter sozialwissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausschöpfen zu können. Hier sollte die Tagung eine Brücke schlagen zwischen neuen Ideen und Perspektiven sowie fundierten Konzepten und Kritiken der Sozialwissenschaften.

Den Aufschlag des Programms lieferte am Freitag Felix Stalder, Professor an der Züricher Hochschule der Künste, der in den letzten Jahren mit einer ganzen Reihe von scharfsinnigen Analysen politischer und kultureller Phänomene der digitalen Gesellschaft aufgefallen ist.[1] In seiner Keynote „Politik der Digitalität. Zwischen Postdemokratie und Commons“ (Mitschnitt) ordnete er aktuelle Phänomene der Digitalkultur kulturhistorisch ein und skizzierte zentrale Ursachen, Träger und Folgen des digitalen Wandels. Anhand des Beispiels der digitalkulturellen Heiligsprechung Conchita Wursts skizzierte er, was sich in der „Tiefenschicht der Gesellschaft“ warum verändert habe und wies auf die Auflösung gewohnter Widersprüche hin, etwa zwischen Ein- und Vielheit, Künstlichkeit und Authentizität oder Singularität und Gemeinschaft. Aus dieser Perspektive befasste er sich auch mit Phänomenen der Postdemokratie, in der die Entkopplung von politischer Beteiligung und Einflussnahme auf tatsächliche Entscheidungen zum Normalmodus avanciere.

Nach der Keynote teilte sich das Programm in zwei parallele Panels auf: In einem der beiden ging es um die theoretische Erfassung und Konzeptualisierung bereits angesprochener Formen und Formationen netzbasierten Handelns. Die demokratietheoretischen Funktionen digitaler Öffentlichkeiten erschloss zunächst der Vortrag von Andreas Antić (Uni Potsdam) aus der Sicht des von John Dewey geprägten politischen Pragmatismus. Vor allem die Diskussion über die Vorträge von Ulrich Dolata und Felix Schrape (Uni Stuttgart) sowie von Maximilian Hösl (WZB) über Formen kollektiven Handelns im Netz konnte einen produktiven Austausch zwischen etablierten und neueren sozialwissenschaftlichen Perspektiven und Erklärungsmuster anstoßen. Andreas Braune und Jörg Hebenstreit von der Uni Jena präsentierten unter dem Titel „Repressive Toleranz 2.0“ anschließend eine Kritik zentraler Phänomene des „Mainstreaminternets“ aus der Perspektive der kritischen Theorie.

Im anderen Panel stand das Thema Netzpolitik im Vordergrund. Aus unterschiedlichen Richtungen wurden hier zentrale Akteure und Konflikte der digitalen Gesellschaft skizziert. Während sich Stefan Lindow von der Uni Göttingen mit dem (juristischen) Streit um das Urheberrecht einem Dauerbrenner unter den netzpolitischen Konflikten widmete, setzten sich Barbara Büttner und Fabian Pittroff von der Uni Kassel mit der politischen Strategie der Reterritorialisierung des Internets kritisch auseinander. Carsten Ochs, ebenfalls von der Uni Kassel, befasste sich vor dem Hintergrund omnipräsenter Überwachungsformen mit Varianten des Selbstdatenschutzes, deren Individualisierung und Privatisierung er jedoch scharf kritisierte.

Dem wohl zwangsläufigen Abfall kollektiver Aufmerksamkeit nach Einbruch der Dunkelheit begegnete ein Podiumsgespräch über die „Krise des Netzaktivismus“ und knüpfte damit an eine Debatte an, die u.a. anderem auf der diesjährigen re:publica eine wichtige Rolle gespielt hatte. Dabei debattierten Anna-Katharina Meßmer und Kathrin Ganz sowohl aus soziologischer Fach- als auch aus aktivistischer Erfahrungsperspektive über die netzfeministische Bewegung.

Das erste Panel am Samstagvormittag beschäftigte sich mit neuen und verschärften Herausforderungen der wissenschaftlichen Erforschung von im Netz präsenten Akteuren. So führe die gerade unter NetzaktivistInnen typische und zum Teil bewusst verfolgte umfassende öffentliche Sichtbarkeit sowohl privater als auch politischer Kommunikation beispielsweise dazu, dass erprobte Ansätze der Anonymisierung zusehends ineffektiv würden. Während Ina Alber vom Herder-Institut Marburg auf besondere Herausforderungen u.a. im Bereich der Biografieforschung hinwies, präsentierten Hella von Unger und Jasmin Siri von der LMU München Vorschläge zum forschungsethischen Umgang mit derartigen Fragen, welche im Anschluss lebhaft diskutiert wurden. In den folgenden Vorträgen analysierten Giulia Montanari und Javier Toscano visuelle Darstellungen von Protest während Antje Winkler über den künstlerischen Umgang mit den Themen Überwachung und Sicherheitsgesellschaft referierte.

Das zweite Panel setzte sich mit Fallbeispielen des politischen Handelns um das und im Netz auseinander. Während Julia Tiemann (Uni Göttingen) politische Beteiligungsangebote „von oben“ betrachtete, setzte sich Anne Pauli (TU Aachen) am Beispiel der TTIP-Proteste mit webbasierten Mobilisierungsstrategien- und Kommunikationsformen „von unten“ auseinander. Und während sich Layla Kamil Abdulsalam und Miriam Grohmann (Uni Koblenz-Landau) allgemein mit der recht jungen sozialen Praxis von Selfie-Protesten befassten, betrachtete Marion Näser-Lather von der Uni Paderborn die Aneignung verschiedener Kommunikations- und Handlungsformen durch die italienische Frauenbewegung. Zentral war in allen Vorträgen die Frage, wie sich Ziele, Aktionsformen, die interne und externe Kommunikation oder auch die Selbstbilder der AktivistInnen durch die Nutzung digitaler Öffentlichkeiten verändern. Ob es dabei um eine grundlegend neue Form des politischen Aktivismus geht, oder klassische Bewegungspolitik nur mit neuen Mitteln fortgesetzt wird, konnte indes nicht abschließend geklärt werden.

Ein wichtiges Ziel der Tagung war es, Wissenschaft und Aktivismus zusammenzubringen. Dazu wurden am Samstagnachmittag parallel vier Workshops zu den Themen feministische Netzwerke, Hacktivismus und internationale Solidarität, Datenaktivismus und Verschlüsselung angeboten, in denen AktivistInnen einen Einblick in ihre Erfahrungen und Praxen gaben. In relativ kleinen Runden ging es hier ebenso informativ wie intim zu und es blieb viel Raum für Nachfragen und Diskussionen. Über das Gelingen dieser Art von kollektivem Hintergrundgespräch sind wir besonders erfreut.

Insgesamt konnte die Tagung zumindest anreißen, vor welchen Herausforderungen und Fragen die wissenschaftliche Erforschung politischen Handelns in digitalen Öffentlichkeiten aktuell und generell steht. Damit sind natürlich keine definitiven Antworten gegeben gegeben worden. Wohl aber wurden sowohl in theoretischer als auch praktischer Hinsicht wichtige Diskussionen angestoßen, die – so hoffen wir – nun an ganz verschiedenen Stellen weitergeführt werden.

Alexander Hensel und Christoph Hoeft sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zusammen mit Kathrin Ganz, Jana Ballenthien und Maren Ulbrich gehören sie zum OrganisatorInnen-Team der Tagung.

[1] Vgl. etwa: Felix Stalder: Digitale Solidarität, RLS 2015, http://www.rosalux.de/publication/40767/digitale-solidaritaet.html; Ebd: Schwärme, Anonymous und die Rebellion im Netz, http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/02/10.mondeText.artikel,a0009.idx,0 sowie: Ebd.: Demokratie jenseits der Repräsentation, http://felix.openflows.com/node/192. Sowie: Ebd: Autonomie und Kooperation. Der Traum des Internets, in: INDES 2/2012, http://indes-online.de/wp-content/uploads/2012/06/Stalder_INDES_2_2012.pdf