[analysiert]: Christian Werwath über die Entwicklung der CDU in Rheinland-Pfalz
Die Landtagswahlerfolge der Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz sind erstaunlich. Zeigt die Wahlhistorie doch, dass die CDU der SPD gerade in diesem Bundesland normalerweise weithin überlegen ist. Denn bis 1987 war die CDU landespolitische Hegemonialpartei, vier Mal in Folge, zwischen 1971 und 1983, regierte sie sogar mit absoluter Mehrheit. Bei Kommunal- und Bundestagswahlen sind christdemokratische Mehrheiten bis heute die Regel. Nur bei Landtagswahlen verläuft der Trend seit 1991 gegenläufig.
Dass die deutsche Christdemokratie im Bundesland des tief verankerten rheinischen Katholizismus, der gemütlichen Kleinbürgerlichkeit und des überwiegend dörflichen Charakters seit zwei Jahrzehnten nicht mehr reüssiert, ist bemerkenswert. Sind es doch gerade die Christdemokraten, deren Verbundenheit zu diesem Milieu historisch belegt und hinlänglich bekannt ist. In den neunziger Jahren eroberten die Sozialdemokraten mit Rudolf Scharping die Vorherrschaft im Landtag und gaben sie auch unter seinem Nachfolger, Kurt Beck, bislang nicht wieder ab.
Dabei beeindruckt die SPD im Land bekannter christdemokratischer Speerspitzen wie Peter Altmaier, Helmut Kohl und Bernhard Vogel mit Landtagswahlergebnissen, die jahrzehntelang zuvor in ähnlicher Höhe nur die CDU hatte erzielen können. Zugleich banden sie die FDP in ein stabiles Regierungsbündnis und entrissen der Union ihren angestammten Koalitionspartner. Auf Landesebene scheint die CDU chancenlos. Auch die anstehende Landtagswahl wird den von der Spitzenkandidatin Julia Klöckner erhofften Umschwung wohl nicht bringen. Woran aber liegt die erstaunliche christdemokratische Schwäche auf Landesebene?
Der rheinland-pfälzische Landesverband der CDU zerfiel Ende der achtziger Jahre in zwei Lager. Bernhard Vogel wurde nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen als Landesvorsitzender abgewählt und durch Hans-Otto Wilhelm ersetzt. Vogel stellte daraufhin auch sein Amt als Ministerpräsident zur Verfügung. Sein Nachfolger wurde überraschend Carl-Ludwig Wagner. Die Macht in der CDU war zu dieser Zeit zwischen dem unbeliebten und hinter vorgehaltener Hand als intrigant bezeichneten Landeschef Wilhelm und dem deutlich beliebteren, aber aufgrund einer kleineren Machtbasis auf Abruf befindlichen Ministerpräsidenten Wagner aufgeteilt. Der Nährboden für Machtspielchen, Disziplinlosigkeiten und Streit war bereitet und wurde von beiden Seiten schonungslos genutzt.
Die Kampflinie durchzog die gesamte, einst so binnenzentriert und patriarchalisch geführte Landespartei. Die dadurch verunsicherte und von der Disharmonie verschreckte christdemokratische Anhängerschaft war traditionell anderes gewohnt. Sie lehnten in ihrer Mehrzahl unsichere Verhältnisse, Streit und Ärger ab. Daher versagten sie der nun innerparteilich kämpfenden CDU bei der Kommunalwahl 1989 erstmals ihre Stimme. Die Christdemokraten verloren ihre bislang einzige Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz. Doch der Denkzettel verfehlte seine Wirkung. Er schürte noch zusätzlich die Auseinandersetzungen um Programmatik und Personal im Landesverband.
Doch noch weitere Geschehnisse sollten die auf Ordnung, Ruhe und Stabilität achtende Anhängerschaft nachhaltig irritieren. Aufgrund der jahrzehntelangen Vormachtstellung der Christdemokraten wurden die Schaltstellen staatlicher Institutionen nach und nach mit CDU-Nachwuchs besetzt. Die Rede war nicht selten vom „Schwarzen Filz“. So kam es dazu, dass sich diverse Untersuchungsausschüsse mit den Verwaltungspraktiken der Landesbehörden beschäftigen mussten. Aufzuklären gab es mit fragwürden Vergaben von Spielbank- bis zu Privatfunklizenzen offenbar genug. Die schlechten Nachrichten über den Landesverband rissen nicht ab. Die zerstrittenen Lager in der Partei gaben sich gegenseitig die Schuld an der Lage. Zunächst war der Vertrauensverlust im Land nur schleichend bemerkbar, doch er nahm rapide an Fahrt auf, als sich Rudolf Scharping mit seinem biederen Ethos der Glaubwürdigkeit als Gegensatz zum CDU-Klüngel in Szene setzte.
So gewann der sozialdemokratische Herausforderer Scharping dann auch die Landtagswahl 1991 deutlich vor der CDU und band anstatt der Grünen die Liberalen in die Regierung ein. Damit fügte er den Christdemokraten eine bedeutende Niederlage zu, denn zwischen FDP und CDU herrschte in der Folge eisiges Schweigen. Zusätzlich wurde der Christdemokratie auf diesem Weg die Möglichkeit zum polarisierenden Links-gegen-Rechts-Lagerwahlkampf genommen. Die sozialliberale Koalition konnte auch nach der Landtagswahl im Jahr 1996 ihre Arbeit fortsetzen.
Doch die christdemokratische Malaise verschlimmerte sich in der Oppositionszeit. Die erfolgsverwöhnte Landespartei hatte Strukturen aufgebaut, die es ihrem Nachwuchs recht zügig erlaubte, in den Institutionen des Staates Karriere zu machen. Dementsprechend sprudelte die rheinland-pfälzische Nachwuchsressource zuverlässig, brachte stets neue Parlamentarier, Beamte und Funktionäre hervor. Als dann aber in den neunziger Jahren die zahlreichen Einbindungsmöglichkeiten schwanden, war der Frust groß; die Blockierten begehrten auf. Einige suchten ihr Heil in der Privatwirtschaft, andere wandten sich von der Partei frustriert ab oder begannen um die verbliebenen Ämter zäher und härter als zuvor zu ringen. Die Landes-CDU versank in der Opposition in einem noch tieferen Zwist und ständigem Streit. Wenn die Christdemokraten öffentlich auffielen, dann durch Kampfabstimmungen, Streit um Programme, Uneinigkeiten bezüglich ihres Spitzenpersonals und dauernde Querschüsse aufsteigender Aspiranten.
Erschwerend kam hinzu, dass der Nachwuchs Politik schon zu dieser Zeit zunehmend als Beruf verstand und seine Jugend- bzw. Ausbildungszeit danach ausrichtete. Klassische Ochsentouren verloren für diese Generation zunehmend an Reiz. Zeitaufwändige und vor allem nicht entlohnte Posten in Orts- oder Stadtratsparlamenten waren bei den Karrierepolitikern unbeliebt. Um die wenigen verbliebenen Posten, von denen es sich auskömmlich leben ließ, wurde hart gerungen. Hatten die Landeschefs Kohl und Vogel die Listenaufstellungen noch wesentlich unter ihrem Einfluss halten können, so erodierte die Stellung der machtlosen, da ohne Regierungsverantwortung agierenden Nachfolger im Kampf der mächtigen Bezirksverbände um sichere Landeslistenplätze zusehends. Der Landesverband hatte seine zusammenbindende Kraft an die sich gegenseitig bekämpfenden Bezirksverbände verloren.
Die CDU leidet daher unter dem Zustand der rheinland-pfälzischen Sozialdemokratie: Der Landesverband ist auf die Person Kurt Becks zugeschnitten, innerparteilichen Streit, der in die Öffentlichkeit dringt, scheint es nicht zu geben. Becks Sozialdemokraten inszenieren sich ganz im Gegensatz zur CDU als stabilisierenden und unaufgeregten Machtfaktor im Land. Während die Christdemokraten in der Opposition versuchten, ihr Profil zu schärfen, Ansichten rhetorisch zuzuspitzen und die Wählerschaft aufzurütteln, konnte der Ministerpräsident jenseits des Parteienhaders durchs Land fahren und Weinköniginnen krönen.
Zudem mussten die CDU-Spitzenkandidaten eigene Themenschwerpunkte finden und diese öffentlichkeitswirksam besetzen – ein schwieriges Unterfangen. Denn gerade der Ministerpräsident Beck, der Scharping 1994 ablöste, verhält sich in vielerlei Hinsicht klassisch christdemokratisch. Er positionierte sich von Anfang an zwischen den katholischen und dörflichen Traditionen auf der einen und den liberalen und urbanen Einflüssen auf der anderen Seite. Gerade Beck punktet seit seiner Amtsübernahme in der Rolle des sorgenden und auf Ausgleich bedachten Landesvaters. Wo immer er auftritt, verbreitet er Harmonie, spricht in einfachen Sätzen von den Sorgen der Menschen im Ort. Er vollzieht behutsamen Wandel: Während viele CDU-regierte Bundesländer zügig das Abitur nach zwölf Jahren einführten, setzte er auf Zeit und verkündete eine Übergangsregelung. In seinen Reden und Ansprachen ist selten die Rede von Reformen und Umbrüchen.
Für die nun anstehende Landtagswahl haben sich die Vorzeichen zumindest ein wenig gewandelt. Der christdemokratische Landesverband zeigt sich ausgezehrt und müde vom Dauerstreit. Die CDU hat in den letzten Jahren in Rheinland-Pfalz ganz erheblich an Mitgliedern verloren und kaum hoffnungsvollen Nachwuchs gewonnen. Dies führte dazu, dass sich das Durchschnittsalter erhöhte und eine Kluft zwischen Jung und Alt entstand. Der ständige Konflikt zwischen den innerparteilichen Aufsteigern allerdings hat sich abgemildert.
Julia Klöckner konnte diese günstige Konstellation nutzen, um in diese personelle Lücke zu stoßen und zur Hoffnungsträgerin zu avancieren. Mit ihr kehrten wieder Ruhe und deutliche Anzeichen einer innerparteilichen Geschlossenheit in die Reihen des Landesverbandes ein. Doch die Geschichte der Landes-CDU zeigt, dass schnelle inhaltliche Wechsel und neue Gesichter an der Spitze nur langsam von der misstrauisch gewordenen christdemokratischen Wählerschaft angenommen werden. Gerade personell bedarf es daher auch nach der Wahlniederlage an Kontinuität.
Christian Werwath arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt “Politische Führung im deutschen Föderalismus“ und beschäftigt sich u.a. mit der Historie und aktuellen Entwicklung der Union.