[analysiert]: Elisabeth Kraul und Benjamin Mayer über die Entwicklung und Wurzeln der rechtsextremen Bewegungen in der BRD
In Folge der Deutschen Einheit vermischten sich ostdeutsche Skinheads mit erfahrenen neonazistischen Westkadern. Letztere nutzten die günstige Gelegenheit, um in den ostdeutschen Bundesländern eine organisierte Szene aufzubauen. So verdichteten sich die rechtsextremen Strukturen nach 1990 deutlich und es entstand ein subkulturell geprägtes und aktionsorientiertes neonazistisches Milieu.
Diese Entwicklung ging auch an der NPD nicht spurlos vorbei. Spätestens mit dem Führungswechsel Mitte der 1990er Jahre war ein Wandel in der Strategie der Partei zu erkennen. Udo Voigt, seit 1996 amtierender Parteivorsitzender, trieb die Zusammenarbeit mit neonazistischen Organisationen voran. Dies zeigte sich deutlich 1997, als an einer Demonstration der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung mehr als vier tausend Menschen teilnahmen. Noch in den 1970er und 1980er Jahren brachten neonazistische Demonstrationen kaum mehr als einhundert Personen auf die Straße. 2004 traten drei Führungsfiguren aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften in die NPD ein, was als „Volksfront von rechts“ bezeichnet wurde.
Eine soziale Bewegung ist nach dem Bewegungsforscher Dieter Rucht ein auf eine gewisse Dauer angelegtes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche einen grundlegenden sozialen Wandel herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen. Sozialer Wandel meint dabei eine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsordnung.
Eine einzelne Partei ergibt allein keine Bewegung, kann aber sehr wohl Teil einer solchen sein. Deshalb haben Bewegungen auch kein allgemein anerkanntes Programm. Allerdings gibt es eine gemeinsame Identität und Interaktions- und Funktionszusammenhänge zwischen den einzelnen Gruppen; eine Art Wir-Gefühl zwischen den Beteiligten, welches sich beispielsweise durch Symbole und Zeichen ausdrückt. Mögliche Protestformen sozialer Bewegungen reichen von der Unterschriftensammlung bis zur Gewaltanwendung.
Dass die extreme Rechte die parlamentarische Demokratie ablehnt, also eine andere Staats- und Gesellschaftsordnung anstrebt, dürfte kaum in Frage stehen. Auf Demonstrationen sind Transparente zu sehen und Parolen zu hören, die dies eindeutig zeigen: „Gemeinsam kämpfen – Gegen System und Kapital“ oder „Im Krieg gegen ein Scheiß-System“. Auch die NPD hat mit ihrem Konzept der „Fundamentalopposition“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine derartige Ausrichtung und bezeichnet sich selbst immer wieder als „Systemalternative“.
Die rechtsextreme Szene in Deutschland besteht aus einer kaum überschaubaren Vielzahl von Organisationen, Vereinen und einzelnen Personen, die durch netzwerkartige, unhierarchische Strukturen miteinander verbunden sind. Dies können neben mehr oder weniger formellen Organisationen auch regelmäßige Veranstaltungen, gemeinsame Publikationsprojekte oder auch persönliche Freundschaften sein.
Dass es in der rechtsextremen Szene teilweise konfuse und höchst unterschiedliche Weltbilder sowohl bei Anhängern wie auch bei Führungskadern gibt, ändert nichts an der Tatsache, dass man sich in der fundamentalen Ablehnung des derzeit existierenden Systems einig ist. Die Anhänger wissen, dass man gemeinsam für etwas, oder besser: gegen etwas kämpft. Vielmehr existiert eine Art Minimalkonsens, ein ideologischer Rahmen, den man teilt. Dies ist im Falle der extrem rechten Bewegung ein völkischer Nationalismus. Insgesamt verstehen sich die Mitglieder der NPD, Neonazis und rechte Skinheads selbst als Bewegung, was sich nicht zuletzt in der Selbstbezeichnung „Nationaler Widerstand“ ausdrückt.
Obwohl es keine formalisierte Mitgliedschaft gibt, fühlen sich die Personen der Bewegung zugehörig. Dies wird bei gemeinsamen Demonstrationen, der bedeutsamsten Erscheinungsform extrem rechten Protests, immer wieder deutlich. Zudem gibt es ein entwickeltes System von Zeichen, Symbolen und Kleidungsmarken. Hierdurch wird der innere Zusammenhalt als alltagskulturelle Gegenbewegung ausgedrückt und die kollektive Identität gestärkt.
Auch in rechtsextremen Bewegungen gibt es keine allgemein anerkannten Führungspersonen, aber sehr wohl kann man eine personelle Struktur erkennen, welche denen sozialer Bewegungen ähnlich ist. Zur Analyse eignet sich hierbei ein Modell konzentrischer Kreise, die sich nach außen hin vergrößern. Im Kern liegt eine kleine Gruppe der Bewegungselite, also Personen, die für Ideologieproduktion, Organisation und strategische Ausrichtung zuständig sind. Im zweiten Kreis befinden sich die Basisaktivisten, welche regelmäßig an Demonstrationen teilnehmen und sich an der Organisation von Veranstaltungen beteiligen. Diese verfügen aber nicht über eine herausgehobene Stellung wie die Bewegungselite und haben kaum Einfluss auf die strategische Ausrichtung oder taktische Entscheidungen. Danach lässt sich eine Gruppe von Unterstützern erkennen, die zwar an ausgewählten Veranstaltungen teilnehmen, aber wesentlich weniger Ressourcen in die Bewegung investieren. Und im letzten Kreis befinden sich Sympathisanten der Bewegung, welche aber kaum in Erscheinung treten.
Besonders die letzten beiden Kreise der Unterstützer und Sympathisanten markieren einen Übergang in das subkulturelle Spektrum, das auch als Einstiegs- und Rekrutierungsraum der rechtsextremen Bewegung gesehen werden kann. Der Übergang zwischen Bewegung und subkultureller Szene ist fließend. Die Personengruppen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass im subkulturellen Spektrum die Intention zum grundlegenden sozialen Wandel fehlt.
Elisabeth Kraul ist studentische Hilfskräfte am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Benjamin Mayer ist Politikwissenschaftler. Dieser Text erschien in einer längeren Version auf dem Blog NPD-Blog.Info.