Piratenpartei – War es das?

[kommentiert]: Stephan Klecha über die Aussichten der Piratenpartei

Folgt man den Kommentierungen in den Medien während der letzten Tage, ist das Urteil über die Piratenpartei längst gesprochen: Sie ist gescheitert. „Bye, Bye“ ruft Spiegel Online und Welt Online sekundiert, dass man diese Partei in der Verfassung schlicht nicht brauche. Seit Monaten scheinen sich die Politneulinge in erster Linie mit sich selbst zu beschäftigen. Nachdem sie im Wahlkampf noch vollmundig Bürgerbeteiligung, einen neuen politischen Stil nebst radikaler Abkehr von den ritualisierten Ränkespielen der Parteien und eine an Sachfragen ausgerichtete Politik angekündigt hatten, stellen nicht nur die professionellen Beobachter fest, dass sie „wie die Großen, nur fieser“ agierten.

Die nautische Metaphorik des Enterns oder Kenterns neigt sich jedenfalls ersichtlich zu letzterem. Die Indikatoren sprechen gegenwärtig klar gegen einen Erfolg bei der Bundestagswahl. Niederschmetternde zwei Prozent bei der Landtagswahl in Niedersachsen, Umfragewerte für die Bundestagswahl im Bereich von drei Prozent und dann ein fortwährender Streit im Bundesvorstand um die Zukunft des politischen Geschäftsführers, langatmige Parteitage und uninspirierte, weil wenig zugespitzte Kampagnenbausteine für die Wahlen runden das Bild dann für den Außenbetrachter ab.

All das mag richtig sein, weder der erfahrene Politikwissenschaftler noch der sachkundige Journalist würden gegenwärtig auch nur einen Cent auf den Einzug der Piraten in den nächsten Bundestag setzen. Wenn man die Piratenpartei längere Zeit beobachtet hat, gewinnt man keineswegs andere Erkenntnisse, dennoch sei vor ultimativen Abgesängen gewarnt. Drei Faktoren lassen sich im Augenblick nämlich nicht mit abschließender Sicherheit bestimmen:

  1. Dass die Piratenpartei dilettiert, unprofessionell auftritt und Schwierigkeiten in der Agendasetzung hat, ist keine neue Erkenntnis, sondern galt auch schon vor dem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus. Wer 2010 den Piratenparteitag in Bingen verfolgt hatte, war sich eigentlich auch schon sicher, dass das nichts werden könnte. Natürlich schaut man heute noch genauer hin und der Charme des Unprofessionellen ist längst verflogen. Doch die Piraten besitzen weiterhin eine Stärke: Fordert man sie heraus, können sie oftmals in beeindruckender Geschwindigkeit und mit einer beachtlichen Intuition reagieren. Tatsächlich kann im noch langen Wahljahr plötzlich eine Debatte wie 2009 um die Netzsperren oder 2012 um ACTA hereinbrechen und den Piraten wieder Oberwasser geben. Zwar hat die Partei in netzpolitischer Hinsicht im Vergleich zu den etablierten Parteien eher an Profil verloren, doch ungeachtet dessen gilt sie als Anwältin eines digitalen Lebensgefühls.
  2. Wenn man sich die Wahl in Niedersachsen näher anschaut, so stellt man fest, dass Piraten, Linke und Freie Wähler zusammen immerhin 6,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten. Zwar sind die Wählerspektren sehr unterschiedlich, doch das in der gesellschaftlichen Mitte wie in der politischen Linken vorhandene Protestpotential ist ja keineswegs verschwunden, nur weil es gegenwärtig keine Form findet, sich zu entäußern. Auch jene 13 Prozent, die Mitte 2012 in der Sonntagsfrage angaben, Piraten wählen zu wollen, sind keineswegs reuig zu den etablierten Parteien zurückgekehrt, sondern warten schlicht ab, was ihnen an politischen Optionen noch feilgeboten wird. Der Nährboden für eine Protestformation ist vorhanden und es war eben den Piraten zwischenzeitlich ganz gut gelungen, dafür die entsprechende Projektionsfläche zu bieten.
  3. Damit hängt die politische Großwetterlage zusammen. Die Umfragen lassen gegenwärtig weder für die amtierende Regierung, die sowieso absehbar mit einem von SPD und Grünen dominierten Bundesrat auskommen müsste, noch für Rot-Grün eine Mehrheit. Natürlich wissen viele, worauf das hinauslaufen könnte – eine Große Koalition. Weder in der Anhängerschaft der CDU/CSU und schon gar nicht in der Wählerschaft der SPD wirkt diese Perspektive besonders verlockend. Folglich erhöht deren Demobilisierung zwangsläufig das Potential für andere Parteien.

Zieht man diese Punkte zusammen, so ist keineswegs ausgemacht, dass nicht am Ende auch die Piraten von der weiterhin vorhandenen hohen Volatilität profitieren. Allerdings können die Piraten dabei kaum agieren, sondern eben bestenfalls reagieren und die Ausgangsbedingungen sind doch ausgesprochen schlecht. Die Kernwählerschaft langt bestenfalls für zwei Prozent. Die Finanzlage der Piraten ist unvermindert schwach. Die Verschleißerscheinungen beim Führungspersonal sind unübersehbar. Die Querelen an der Parteispitze behindern die erforderliche strategische und inhaltliche Positionierung. Überdies, die bloße Unzufriedenheit eines Teils der Wähler übersetzt sich nicht zwangsläufig in Stimmen für die Piraten, sondern andere Parteien setzen ebenso auf das Protestpotential und dürften sich in ihrem Werben wohl professioneller anstellen, als es die Piraten gegenwärtig tun.

Dr. Stephan Klecha ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Weitere Beiträge zum Thema Piratenpartei finden sich hier.