Fünf Sterne gegen Berlusconi

[nachgefragt]: Bastian Brandau über die Besonderheiten des Movimento 5 Stelle.

Fünf Sterne gegen Berlusconi – was ist eigentlich das Movimento 5 Stelle?

„Die 5-Sterne-Bewegung ist keine Partei und hat auch nicht die Absicht, eine zu werden“, so steht es im „Nicht-Statut“ des Movimento von 2009. Daher kommt auch die bewusste Wahl des Wortes „Bewegung“ – denn das Wort „Partei“ ist in Italien stark negativ besetzt. Das Movimento startete 2005 als freier Zusammenschluss von übers Internet organisierten Bürgern, die sich dann im wahren Leben trafen: Sie wollten gemeinsam Erfahrungen austauschen und lernen, um so in den politischen Prozess einzugreifen – etwa durch Demonstrationen, Unterschriftensammlungen oder das Verteilen von Flugblättern. Inzwischen tun sie dies eben auch durch die Teilnahme an Wahlen und die Arbeit in Kommunal- und Regionalparlamenten unter dem 5-Sterne-Siegel, das natürlich für die hohe Qualität stehen soll; jeder Stern steht aber auch für ein Thema. Die Aktivisten wollten beweisen, dass politische Arbeit ohne den Organisationsapparat einer Partei möglich ist; denn den gibt es beim Movimento ebenso wenig wie einen Parteivorstand.

Eine besondere Rolle spielt der Blog http://www.beppegrillo.it, auf dem Informationen gesammelt und getauscht, aber zuletzt auch Kandidaten in Online-Vorwahlen bestimmt wurden. Die Teilnahme am Movimento steht prinzipiell jedem offen, es gibt keinen Mitgliedsausweis oder -beitrag, man muss sich lediglich online registrieren.

Das Movimento entstand in der Krise des italienischen Parteiensystems. Aber wer wählt diese Partei, wer engagiert sich dort, kurz: Was sind dessen Vorzüge gegenüber den etablierten Akteuren?

Parteien und Politiker haben durch die Bank weg in Italien ein gigantisches Imageproblem, und das leider größtenteils zu Recht. Die Vorzüge der Aktivisten des Movimento 5 Stelle sind sicherlich, dass sie als Neueinsteiger in die Politik neu und unverbraucht sind. Gleichzeitig prangern sie und insbesondere ihr Anführer Beppe Grillo Parteien und Politiker in einer deutlichen und bildlichen Sprache an. Die Missstände des politischen Systems sind allgemein bekannt und reichen von einem verkorksten Wahlsystem über Korruption bis zu einem schwer zu kontrollierenden Zwei-Kammer-System. Auch das Justizsystem bedarf dringend einer Modernisierung. Grillo und seine Anhänger benennen die Probleme deutlich – zum Beispiel mit der Forderung, verurteilte Politiker aus den Parlamenten zu entfernen und Korruption härter zu verfolgen. Auch den Vertretern des Movimento in Lokal- und Regionalparlamenten gelingt es bislang, sich als saubere Neueinsteiger zu gerieren, die Transparenz einfordern und schauen, dass mit öffentlichen Geldern sauber umgegangen wird. Die Kandidaten sind übrigens häufig Menschen aus der vom Abstieg bedrohten Mittelklasse, die aktive Politik für sich bisher ablehnten, weil sie keine Partei attraktiv fanden. Nun gibt es endlich eine saubere Alternative mit schnellen Aufstiegschancen; allerdings dürfte das angesichts der Begrenzung auf maximal zwei Legislaturperioden nicht der Hauptgrund sein, sich zu engagieren. Aber man muss ja nicht kandidieren. Sehr attraktiv am Movimento ist sicher auch, dass jeder sein Engagement dosieren kann: Will ich eben nur im Internet Themen besprechen oder stelle ich mich regelmäßig auf die Straße? Das kann jeder für sich selbst entscheiden und hat trotzdem das Gefühl, zum Großen beizutragen.

Bei Wahlen zieht das Movimento Wähler aus allen Lagern an, insbesondere jedoch aus dem Mitte-Links-Lager. In Norditalien sind sie teilweise Nachfolger der Lega Nord, die ja vor zwanzig Jahren ebenfalls als saubere Alternative neu in die Politik gekommen war.

Einerseits erscheint das Movimento in seinem Aufbau sehr dezentral, unteren Ebenen viele Freiräume gewährend. Andererseits blitzen in Beppe Grillos Verhalten immer wieder autoritäre Züge auf. Wie verträgt sich das mit dem Selbstanspruch des Movimento, wie gehen die Aktivisten damit um?

„Beppe Grillo ist das Megafon unserer Bewegung“ – so oder ähnlich schildern die Aktivisten ihr Verhältnis zu Grillo. Er bewegt sich im politischen Diskurs auf Augenhöhe mit den Spitzenpolitikern der anderen Parteien, steht in Kontakt mit Wissenschaftlern und Intellektuellen, ist Internet-Vorreiter in Italien. Das ist seine Rolle, Grillo wird nicht für ein politisches Amt kandidieren. Das dürfte er nach den Regeln des Movimento auch gar nicht, denn er ist nach einem Autounfall verurteilt worden.

Eine lokale Gruppierung wird von ihm nach festgelegten Maßstäben gewissermaßen akkreditiert. Die kleine Einheit kann dann vor Ort recht frei schalten, Programm und Kandidaten müssen lediglich den üblichen Ansprüchen genügen. Werden für Grillo Grenzen überschritten, zögert er allerdings auch nicht, zu handeln; zuletzt hat er z.B. einigen recht bekannten Abgeordneten untersagt, weiterhin das Symbol des Movimento zu benutzen, was einem Rausschmiss gleichkommt. Dieser Bannstrahl traf etwa eine Kommunalabgeordnete, die in einer Talkshow aufgetreten war, was unerwünscht ist, weil in der Vorstellung des Movimento Abgeordnete eben nur für einen bestimmten Zeitraum Diener des Volkes mit in engem Rahmen gesteckten Aufgaben sind. Und ein Regionalabgeordneter wurde geschasst, weil er öffentlich die wenig transparente Entscheidungspolitik innerhalb des Movimento kritisierte. Es gibt eben keinen Bundesparteitag oder ein vergleichbares Gremium, daher werden einige Entscheidungen im kleinen Kreise um Grillo getroffen. Dieses Vorgehen polarisiert insofern, als dass es die verbliebenen Aktivisten weiter zusammenschweißt. Grillos hartes Vorgehen wird unter ihnen meist als richtig angesehen: Wer sich nicht an die Regeln hält, ist wie die anderen und damit ein Feind.

Beppe Grillo, der Kopf des Movimento, ist als Komiker ein waschechter Quereinsteiger in die Politik. Was hat den Entertainer zu dieser Karrierewende getrieben, warum macht er das?

Grillo selbst würde wohl sagen, die Politik habe ihm keine andere Wahl gelassen. Grillo war immer ein politischer Entertainer, spätestens seitdem er sich Ende der 1980er Jahre aus dem Fernsehen verabschiedet hatte. Die Tourneen, die er danach veranstaltete, hatten politische Themen wie bspw. 1995 „Energie und Information“. Insbesondere die mangelnde Informationsfreiheit hat ihn dann auch dazu bewegt, das Internet zu benutzen –  eigentlich hatte er eine Aversion gegen Computer, die er am Ende seiner Auftritte regelmäßig zerhackte. Sein Blog war – und ist – ein Riesenerfolg, was auch viel mit den dort veröffentlichten Informationen zu tun hatte, die es schlicht nirgends anders einzusehen gab. Der endgültige Wandel vom Komiker zum Politiker hat er mit der Gründung des Movimento 5 Stelle vollzogen. Medienkritiker sagen, dass sich jemand wie Grillo alle fünf bis sieben Jahre neu erfindet – man darf gespannt sein.

Politische Formationen, die sich als erfrischende Alternative zu den althergebrachten Parteien profilieren, haben häufig eine starke Abhängigkeit von einer charismatischen Anführer-Figur aufgewiesen – so etwa FPÖ/BZÖ in Österreich, die „Schill-Partei“ in Hamburg oder in extremer Form die niederländische Partij voor de Vrijheid des Geert Wilders. Wie würde das Movimento ohne Grillo dastehen?

Ohne Grillo wären diese Menschen vielleicht in anderen Bewegungen aktiv, wie denen der Anti-Mafia-Staatsanwälte. Es wären aber sicher deutlich weniger Menschen, denn Grillo als Person hat unglaublich viel zum Erfolg des Movimento beigetragen. Seine deutlichen Worte, verbunden mit dem Glauben, dass es Besserung geben kann, haben viele Menschen zum Movimento gebracht. Er hat in Italien als erster die Möglichkeiten des Internet zu nutzen gewusst und dies mit seinem unvergleichlichen Stil gemischt. Vor Ort läuft die Arbeit auch ohne ihn und würde nach einem eventuellen Abtritt wohl auch ohne ihn weiterlaufen; aber alles wäre dann sicher eine Nummer kleiner. Grillo hält bisher seine Leute zusammen, wobei es auch schon mal zu Ausschlüssen kommen kann. In dieser Hinsicht wird die Entwicklung nach den Parlamentswahlen spannend zu beobachten sein. Das Movimento wird mit einer großen Zahl von Abgeordneten ins Parlament einziehen. Welchen Einfluss wird Grillo dann auf die Abgeordneten ausüben? Das wird entscheidend für die Glaubwürdigkeit und damit die Zukunft des Movimento 5 Stelle sein.

Bastian Brandau arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Pünktlich zur Italien-Wahl ist von ihm soeben im ibidem-Verlag erschienen: „Fünf Sterne gegen Berlusconi. Das Movimento 5 Stelle und sein Weg in die italienische Politik“. Das Interview führte Dr. Robert Lorenz.