Piratenbräute und Genossen auf Kaperfahrt

[debattiert]: Stephan Klecha über Erlebnisberichte aus der Piratenpartei

Anfang der 2000er Jahre schrieb der Schriftsteller Nicol Ljubić eine Art Erlebnisbericht, wie er in die SPD eintrat und welche Erfahrungen er mit der damaligen Kanzlerpartei gesammelt hat. Eine Dekade später legen unabhängig voneinander zwei Mitglieder der Piratenpartei nun dar, wie sie es ein knappes Jahr in der Partei ausgehalten haben und welche Schlüsse sie daraus ziehen. Die Erfahrungsberichte beschreiben dabei überaus bunt und umfangreich sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Piratenpartei.

Der Berliner Publizist Wolfgang Gründinger betitelt seine Reportage als „Meine kleine Volkspartei. Von einem Sozi, der absichtlich Pirat wurde“. Der Titel ist tatsächlich Programm, denn Gründinger, SPD-Mitglied, entscheidet sich für eine aus Sicht der Sozialdemokraten unzulässige, aus Sicht der Piraten aber akzeptierte Doppelmitgliedschaft. Ihn treibt der Frust über die Funktionsweise der SPD. Als Juso erlebt er die Strukturen der Partei als verknöchert, verkopft, undynamisch und zu allem Überfluss als hochgradig hierarchisch.

Vieles von der gängigen populären Parteienkritik dringt in Gründingers Werk zutage. Vor allem stellt es sich als schlüssig dar, wenn er seine eigenen Erfahrungen einwebt. Inhaltlich sieht sich Gründinger zwar immer noch als Sozialdemokrat. Die SPD wirkt auf ihn aber wie eine etwas aus der Zeit gefallene Partei, die man irgendwie sympathisch und schrullig findet, der man aber so recht keine Perspektive zutraut.

Demgegenüber erscheinen ihm die Piraten als die Antithese seiner SPD. Inhaltlich noch in vielen Feldern offen, in Verfahrens- und Prozessfragen flexibel, diskursorientiert und vor allem radikal demokratisch orientiert ohne die ganzen oligarchischen Strukturen und ohne all die lähmenden institutionalisierten wie ritualisierten Verfahren und Prozesse. Mit dieser Vorannahme versucht Gründinger die Piraten näher kennenzulernen. Er stürzt sich ins Parteileben seiner neuen Partei, trifft sich mit deren Funktionsträgern und vergleicht immer wieder mit der SPD.

Gründinger legt im gesamten Buch den Blick eines ständig fragenden, aber selten reflektierenden Wissenschaftlers nicht ab. Seine Neugier ist nicht nur davon geprägt, die Piraten zu verstehen, sondern stellt sich als fortlaufende Rechtfertigung dessen dar, was er bei den Piraten erlebt. Deswegen blendet er die Einwände gegen die Offenheit bestimmter Beratungen aus, begrüßt die Negation der parlamentarischen Demokratie, wie die Piratenfraktionen sie mit ihrer Ablehnung von Fraktionsdisziplin betreiben, oder heißt deren implizite Ablehnung von Kompromissen und Interessenausgleichen gut. Mit Emphase begrüßt er dafür die Ansätze von Basisdemokratie. Bürstet man das gegen den Strich, landet man bei einer überaus populären, aber nicht gerade ungefährlichen Kritik moderner Demokratien.

Erst am Ende seines Werks beginnt ein Prozess des Grübelns und Nachdenkens. Mit einem Male erscheint ihm doch manches von dem, wie die SPD funktioniert, nicht so sehr von Übel zu sein. Gleichwohl kann er seinen rechtfertigenden Stil nicht ablegen. Auch in der begleitenden Veröffentlichung zu seinem Werk kommt immer wieder zum Vorschein, dass er sehr an den idealistischen Vorstellungen hängt, welche die Piraten pflegen. Das ist legitim – und doch fehlt dem Leser dann manche Einordnung und kritische Erörterung.

Interessanterweise ist das der Journalistin Astrid Geisler mit einer sehr viel subjektiveren Schrift gelungen. In ihrem Buch „Piratenbraut. Meine Erlebnisse in der wildesten Partei Deutschlands“ will auch sie die Piraten kennenlernen, doch ihre Neugierde ist nicht davon getrieben, sich zu rechtfertigen oder irgendwelche Vergleiche zu ziehen. Vielmehr merkt man, wie Geisler in die Parteiarbeit förmlich hineingezogen wird. Zahlreiche Abendtermine, rege Twitter-Debatten, Wellen digitaler Erregung und ein ständiges Kreisen um die neuesten Rankünen der Partei werden mehr und mehr auch Bestandteil von Geislers Leben.

Stärker als bei Gründinger wird deutlich, dass es für die Parteimitglieder oft die zahlreichen Kleinigkeiten sind, welche die Parteiarbeit ausmachen. Wenn die ehrenamtlichen Helfer der Parteizentrale die Arbeit der Reinigungskraft übernehmen, wenn man zwei Stunden auf den Beginn eines Parteitags ergebnislos wartet, weil dieser nicht beschlussfähig ist, wenn Debatten um Tagesordnungen drei Stunden lang debattiert werden oder wenn die digitale Partei dann doch so schrecklich analog funktioniert, wundert man sich darüber, wieso man das alles letztlich mitmacht. Allerdings will und kann Geisler das alles nicht rechtfertigen. Sie gelangt im Zweifel über ihren Lebensgefährten zur Reflexion, der ihr als Side-kick dient, immer wieder Fragen stellt und Impulse liefert.

Doch auch so registriert sie eine Reihe von Unzulänglichkeiten in der Partei und zwar im Großen wie im Kleinen: Nicht bearbeitete Beitrittserklärungen, Manipulationsmöglichkeiten  von Onlineabstimmungen und undurchsichtige Abstimmungsverfahren werden dabei aus der Sicht eines einfachen Mitglieds dargestellt und bekommen hierdurch eine ungemeine Argumentationskraft.

Natürlich fragt man sich, wie man es dann in einer solchen Partei überhaupt aushält. Dafür hat Geisler eine einfache wie bestechende Antwort. Ihr gefallen einfach ein paar Dinge an der Partei: Sie trifft normale Menschen, die sich mal mit profanen, mal mit wichtigen Dingen befassen. Sie spürt eine gewisse Dynamik, einen Antrieb bei den Aktiven und begeistert sich über die flachen Hierarchien in der Partei. Sie hat keine Vergleichsmöglichkeiten, ob es das alles nicht auch in anderen Parteien gibt, auch die Eltern, einst Gründungsmitglieder der hessischen Grünen, können da nur bedingt weiterhelfen. Doch ungeachtet dessen spürt Geisler, dass sie für ihre Anliegen irgendwo und irgendwie einen Resonanzboden in der Piratenpartei findet, ganz gleich ob das anderswo auch so wäre.

Für die inhaltlichen Interessen meint sie zwischenzeitlich nämlich bei den Piraten eine geradezu optimale Plattform zu finden, auch wenn immer wieder Themen wie die Anschaffung einer Geschirrspülmaschine in der Parteizentrale, Personalquerelen um Nichtigkeiten oder Karriereinteressen Einzelner den Parteialltag prägen. Doch der Frust erwächst am Ende dann aus etwas anderem heraus: Geisler beschreibt, wie sie einen Antrag für den Parteitag erstellt. Diesen entwickelt sie mit viel Herzblut und digitaler wie analoger Kommunikation weiter. Die Begeisterung für die eigene Programmarbeit wächst so sehr, dass die Enttäuschung am Ende unermesslich ist, als dieser gar nicht mehr auf dem Parteitag beraten wird, ja faktisch gar nicht beraten werden kann. So muss Geisler dann feststellen, wie ihre einstigen Vorstellungen und Hoffnungen zerplatzen. Sie gelangt dadurch in eine Sinnkrise über die Piraten.

Beide Bücher liefern Anschauungsmaterial über die Piratenpartei, bieten intime Einblicke zu den Politnovizen. Während Gründinger es aber nie ganz gelingt, sich von seinen Vorannahmen freizumachen und nie seine Position als rechtfertigender Beobachter aufgibt, gelingt Geisler ein ausgesprochen anschaulicher Erfahrungsbericht, der Stärken und Schwächen der Piratenorganisation offenlegt.

Rezension zu:

  • Wolfgang Gründinger: Meine kleine Volkspartei. Von einem Sozi, der absichtlich Pirat wurde, Köln 2013. [INFO]
  • Astrid Geisler: Piratenbraut. Meine Erlebnisse in der wildesten Partei Deutschlands,  Köln 2013. [INFO] 

Dr. Stephan Klecha ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und forscht in einem Projekt zur Piratenpartei. Weitere Beiträge zum Thema Piratenpartei finden sich hier.