Pflicht frisst Engagement

[kommentiert]: Christian Woltering  spricht sich für einen generationenübergreifenden Freiwilligendienst anstelle von Pflichtdiensten aus.

Der Kampf um die Einführung eines allgemeinen sozialen Pflichtdienstes als Ersatz für die Wehrpflicht wird momentan an vielen Fronten geführt. Während die Befürworter neben dem vermeintlichen personellen Kollaps der Pflegeeinrichtungen vor allem den angeblich erzieherischen Aspekt eines Pflichtdienstes hervorheben, kontern die Gegner mit dem Totschlagargument der Unvereinbarkeit eines Pflichtdienstes mit Grundgesetz und internationaler Rechtsprechung. Ein Punkt, der in der Diskussion bisweilen etwas stiefmütterlich behandelt wurde, dreht sich um die nicht minder wichtige Frage, inwieweit ein staatlich verordneter Pflichtdienst für junge Menschen die bisherigen Bemühungen um die Gewinnung freiwilliger Kräfte im Sozialsystem konterkarieren würde.

Vorüberlegung ist, dass die Einführung eines Pflichtdienstes nach den Schätzungen der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer (KDV e.V.) rund 500.000 verpflichtete Helfer pro Jahrgang (!) auf den Markt spülen würde. Diese Anzahl übertrifft bei weitem den aktuellen Bedarf der Einrichtungen an Zivildienstleistenden. Schätzungen gehen davon aus, dass die jetzigen Zivildienstträger bereits bei 200.000 Pflichtdienstleistenden an ihre Grenzen stoßen dürften. Dies hätte zur Folge, dass der Einsatz weiterer freiwilliger Kräfte mehr als unwahrscheinlich werden würde, da es schlichtweg keinen Platz mehr für sie im System gäbe.

Indes, die Stärkung der freiwilligen Dienste und des bürgerschaftlichen Engagements schreibt sich die Regierung nun schon seit einigen Jahren auf ihre Fahnen. Schon im Jahr 2004 hat die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingesetzte Kommission für „Impulse für die Zivilgesellschaft“ ihre Empfehlungen zur Stärkung bürgerschaftlichen Engagements vorgestellt. Das Ergebnis war eindeutig: Für sinnvoll erachtete die Kommission die Etablierung eines neuen generationenübergreifenden Freiwilligendienstes. Dies sei neben einer wünschenswerten freiwilligen Aktivierung der Menschen besonders hinsichtlich der demographischen Entwicklung vernünftig. 2009 hat die Regierung diese Forderung im Ansatz umgesetzt und einen freiwilligen Dienst etabliert, der allen Generationen offen steht. Das Programm umfasst allerdings gerade einmal 46 Leuchtturmprojekte.

Doch der eingeschlagene Weg ist richtig: Vor allem ältere Menschen haben Potentiale, die besonders in der sozialen Arbeit neue Perspektiven eröffnen könnten. Die jungen Menschen profitieren von der Erfahrung der Älteren, gleichzeitig könnten die Fähigkeiten und weiteren Lebenschancen der Älteren perspektivisch verbessert werden. Ein Pflichtdienst für jüngere Menschen würde die Möglichkeit eines zeitlich befristeten, festen, freiwilligen Engagements älterer Menschen sehr unwahrscheinlich werden lassen, da der Bedarf an Hilfskräften mehr als gedeckt wäre.

Genau an der Frage nach Pflicht oder Freiwilligkeit scheiden sich jedoch die Geister in dieser Diskussion. Fragt man die sozialen Einrichtungen selbst, so vernimmt man allerorts den Ruf nach motivierten freiwilligen Helfern, nicht nach Zwangsverpflichteten. Dem entgegen steht die Tatsache, dass es heute noch immer weniger Stellen für freiwillige, entlohnte und zeitlich begrenzte Tätigkeiten wie FSJ (Freiwilliges soziales Jahr) und FÖJ (Freiwilliges ökonomisches Jahr) gibt als Bewerber. Durch den Ausbau des Systems der freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahre  zu einem geschlechter- und generationenübergreifenden System sozialer Freiwilligkeit könnte der Wegfall der Zivildienstleistenden zahlenmäßig kompensiert und gleichzeitig die Motivation der Helfer erhöht werden.

Und ist es nicht genau diese Kultur von Freiwilligkeit, von selbstmotiviertem ungezwungenen bürgerschaftlichen Engagement, die Gesellschaft und Politik anstreben sollten? Die Vorstellung eines Mixes aus älteren und jüngeren Menschen, die sich für einen festen Zeitraum freiwillig sozial oder ökologisch engagieren; das ist doch das wünschenswerte Szenario, kein Heer von zwangsverpflichteten jungen Männern, von denen viele unmotiviert ihre Zeit absitzen! Pflegeheime, Kindergärten oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung brauchen hochmotivierte Menschen mit echtem Interesse an ihrer Arbeit und den Betroffenen. Darüber hinaus spricht ja auch nichts dagegen, diese Dienste neben einer entsprechenden Entlohnung mit weiteren „Benefits“ zu versüßen. So wäre beispielsweise denkbar, dass sich die geleistete Zeit positiv auf eine Studienplatzbewerbung auswirkt oder dass man sich seinen Dienst als Praktikum anrechnen lassen kann.

Auf jeden Fall könnte durch einen Ausbau der generationenübergreifenden Freiwilligendienste das stereotype Geber- und Nehmerverhältnis zwischen den Generationen aufgebrochen werden und eine neue Kultur freiwilliger Arbeit aller Gesellschaftsteile erreicht werden. Und so könnte die Stärkung eines Freiwilligendienstes, basierend auf einer starken Bürgergesellschaft, auch die Notwendigkeit der Einführung eines Pflichtdienstes obsolet machen.

Christian Woltering ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er arbeitete im Projekt „Wo ist die  ‚Unterschicht‘ in der modernen Bürgergesellschaft?“ mit.