Parteien an der Basis (2): Die Grünen
[präsentiert]: Lea Heyne über die Basis der grünen Partei in Bremen Mitte
Während in Berlin der Wahlkampf um das Rathaus tobt und in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann mit der politischen Realität ringt, geht es bei den Bremer Grünen deutlich beschaulicher zu. Auf einer Dachterrasse mitten im Szeneviertel Steintor trifft sich der Kreisvorstand Mitte/Östliche Vorstadt zur monatlichen Besprechung. Wer Klischees über Grüne bestätigt wissen will, ist hier richtig: Auf dem Tisch stehen neben Kerzen Bio-Rotwein, Becks-Bier und Bio-Apfelsaft, es gibt auch Grissini, Dinkelcracker, Möhren und selbstgemachte Dips. Die Atmosphäre ist entspannt und fröhlich, man genießt den Blick über die Dächer der Bremer Altstadt, stößt an, unterhält sich über Politik und Privates. Sorgen über die Zukunft der Partei oder über Mitgliederschwund sind hier Fehlanzeige – im Gegenteil, in den letzten eineinhalb Jahren ist ein deutlicher Mitgliederzuwachs zu verspüren gewesen, es herrscht Aufbruchstimmung.
Die Grünen als Volkspartei – das ist für den hiesigen Kreisverband überhaupt keine Frage, sondern längst Realität, schließlich ist man traditionell die mit Abstand stärkste Partei. Im bürgerlich-alternativen Ostertor und Steintor, genannt „das Viertel“, kommt die Ökopartei seit Jahren auf gut vierzig Prozent der Wählerstimmen, in manchen Wahllokalen sogar auf weit über fünfzig0 Prozent. Das Viertel ist fest in grüner Hand und die Mehrheit des Beirats Mitte/Östliche Vorstadt ist ihnen sicher. Auch das Bundesland Bremen ist schon lange eine Öko-Hochburg, bei der Bürgerschaftswahl im Mai 2011 erreichten die Grünen 22,5 Prozent der Zweitstimmen, ein Zuwachs von immerhin sechs Prozentpunkten seit 2007 – und das trotz Regierungsbeteiligung. Damit sind die Grünen jetzt die zweitstärkste Partei im kleinsten Bundesland Deutschlands nach der SPD und liegen noch vor der CDU mit 20,4 Prozent, ein Rückgang der Wählergunst ist nicht in Sicht.
Für die Mitglieder des Kreisvorstands Mitte/Östliche Vorstadt ist das nur folgerichtig, denn die Ökopartei steht hier in Bremen für bürgerschaftliches Engagement schlechthin. Wer sich im Viertel politisch engagiert, tut das mit größter Wahrscheinlichkeit bei den Grünen. Sei es, um den Ausbau des Weserstadions zu begrenzen oder um Falschparken auf dem Wochenmarkt zu verhindern, man kümmert sich um die Anliegen der Bremer. Das Adjektiv „bürgerlich“ qualifiziert hier keinesfalls zum Unions- oder FDP-Wähler, im Gegenteil: Als klassischer Viertelbürger, als LehrerIn, AnwältIn oder ArchitektIn wählt man selbstverständlich grün. Ebenso, wie man mit dem schicken Hollandrad zur meistens nahegelegenen Arbeit fährt, nur am Wochenende das Auto oder, für die ganz umweltbewussten: das Carsharing benutzt und sein Gemüse im Bioladen um die Ecke oder auf dem Ökomarkt kauft. Grün zu sein ist hier Teil des Lebensstils, grün sind natürlich auch der Klavierlehrer der Kinder, die Verkäuferin in der Lieblingsboutique und die Yoga-Lehrerin. Schon 1979 zogen in der traditionell sozialdemokratischen Hochburg Bremen die ersten Grünen, damals noch als Grüne Liste, in die Bürgerschaft ein, und 1987 erreichten sie bei den Kommunalwahlen bereits über zehn Prozent der Stimmen. Seitdem konnten sie sich in und mit dem alternativen Bremer Intellektuellenmilieu etablieren, während sich der Arbeiter- und Studentenstadtteil in ein beliebtes Kultur- und Szeneviertel verwandelt hat.
Dabei ist es keinesfalls eine Ansammlung in die Jahre gekommener Alt-68er, die den Kreisverband Mitte/Östliche Vorstadt dominieren, das Durchschnittsalter liegt eher zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig. Manche sind schon seit den Achtzigern dabei, viele aber auch erst seit ein paar Jahren oder wenigen Monaten. Dank stetiger Stimmenzuwächse und damit immer mehr Posten in allen Kreis- und Landesgremien kann man bei den Bremer Grünen schnell aufsteigen, auch als Neumitglied sofort in den Kreisvorstand oder in die Beiräte rücken. Die Strukturen sind offen und durchlässig, und dank der geringen Größe und der räumlichen Nähe des Stadtstaates Bremen ist auch die Kooperation mit dem Landesverband sehr intensiv.
Hier kennt, zumindest unter den Aktiven, fast jeder jeden, die Grenzen zwischen Orts-, Kreis- und Landespolitikern verlaufen oft fließend. In den Landesarbeitsgemeinschaften oder bei öffentlichen Vorstandsitzungen kann man schnell Kontakte knüpfen. Ideale Voraussetzungen also für Parteiarbeit an der Basis, da sind sich die Viertel-Grünen einig: Hier könne man noch wirklich etwas bewegen. Das sehen auch die zahlreichen Neumitglieder so. Manche kommen von anderen Parteien und sind dort nach jahrelangem Engagement ausgetreten, weil ihnen die Themen nicht mehr zeitgemäß erschienen. Andere waren früher schon mal aktiv und fühlen sich jetzt motiviert, wieder in der Politik mitzuwirken. Und viele jüngere Neumitglieder hatten überhaupt noch nie mit Politik zu tun, bevor sie zu den Grünen gekommen sind. Spannungen gebe es aber keine, im Gegenteil, die Neuen werden freudig aufgenommen, nicht zuletzt, weil man sie zur Besetzung der vielen neuen Posten braucht, die den wahlerfolgsverwöhnten Grünen zufliegen. Insbesondere an Frauen herrscht – aufgrund des Grundsatzes der paritätischen Besetzung – durchgängig Mangel. Letztlich bleiben trotz aller Mühen regelmäßig Posten vakant, oder es werden einfach Freunde und Bekannte gefragt – so kann man auch als Nicht-Mitglied schon mal auf einer Wahlliste landen oder sich im Beirat wiederfinden.
Doch alle sind überzeugt, dass jetzt der richtige Moment ist, um sich zu engagieren. Die Chance, auf der Welle des grünen Zeitgeistes mitzuschwimmen und statt kleiner Aufgaben endlich auch die ganz großen anzugehen, scheint zum Greifen nahe. Umwelt ist dabei in Bremen ebenso wie im Rest der Republik das alles umspannende Thema. Doch, auch da sind die Viertel-Grünen sich einig, ist die Partei keineswegs allein durch ihre Anti-AKW-Politik erfolgreich, man habe viel mehr zu bieten als nur das. Verbraucherschutz, Lebensmittelkontrollen, Reform der Landwirtschaft – all das seien Themen, die noch lange funktionieren und die von den Grünen authentischer vertreten werden würden als von anderen Parteien. Natürlich ist den Bremern klar, dass auch die desolate Leitung der anderen Parteien zum momentanen Hoch beiträgt, sowohl im Land als auch im Bund. Trotzdem: Sie sind zuversichtlich, die Erwartungen erfüllen zu können, die in die Grünen gesetzt werden. Ihr großer Vorteil gegenüber dem Rest des politischen Personals, das wissen sie, ist ihre Glaubwürdigkeit. Es sei schließlich kein Zufall, dass man in der Atomenergiefrage jetzt gerade auf der richtigen Seite stehe, sondern das Ergebnis jahrelanger konsequenter politischer Arbeit.
Es ist also letztlich die lebendige und lokal verwurzelte Parteiorganisation, die, verstärkt durch den bundesweiten Zeitgeist, die Grünen in Bremen Mitte so erfolgreich macht. Die Partei profitiert zum einen davon, durch die anhaltenden Stimmenzuwächse ständig in Bewegung zu sein und zu wachsen, wodurch die Mobilität und Aufstiegschancen innerhalb des Kreisverbandes ebenso wie des Landesverbandes sehr hoch sind. Frustration über mangelnden Einfluss auf die Parteispitze gibt es bei den Mitgliedern nicht, eher das Gefühl, Teil eines vitalen politischen Prozesses zu sein. Zum anderen ist eine traditionell linke Großstadt wie Bremen sozialstrukturell das ideale Pflaster für grüne Volksparteienträume. Schon seit Jahrzehnten ist das Bürgertum linksliberal und umweltbewusst, und gerade im „Viertel“ ist die politische Sozialisation inzwischen über mehrere Generationen grün geprägt. Eine „Anti-Parteien-Partei“ sind die Grünen hier längst nicht mehr, vielmehr nehmen sie die klassische Rolle des Transmissionsriemens zwischen Bürger und Staat ein, sind als Partei ebenso etabliert wie ihre Wählerschaft.
Das Grünen-Hoch der letzten Monate und die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit haben zwar auch hier Spuren hinterlassen, doch der Erfolg der Bremer Grünen steht auf einer festen Basis. Auf der Dachterrasse im Steintor blicken die Mitglieder des Kreisvorstands den bundespolitischen Wirren dementsprechend auch eher entspannt entgegen. Natürlich brauchen auch sie Erfolge, um ihre Wahlergebnisse halten zu können. Doch zumindest hier in Bremen erwartet niemand Unmögliches von ihnen, wegweisende Ziele und politische Umbrüche sind gar nicht nötig. Die Bremer wählen die Grünen, weil sie verlässlich die Werte vertreten, die sie selber teilen, weil sie in den gleichen Vierteln wohnen, ihre Kinder in die gleichen Schulen schicken und den gleichen Bio-Wein kaufen. Weil sie nichts versprechen, das sie nicht halten können – zumindest bisher. Solange sie sich diese Authentizität bewahren können, haben die Grünen wenig zu befürchten und werden im Viertel auch weiterhin die unumstrittene Volkspartei bleiben.
Lea Heyne war studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschugn und studiert nun an der Pariser Universität Sciences-Po. Die vorliegende Reportage ist Grundlage des Artikels “Stolze Festungen oder potemkinsche Dörfer? Erkundungen von Hochburgen der deutschen Bundestagsparteien?” von Christian Werwath, erschienen in INDES, Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 1/2012.