„Mein lieber Freund Hitler!“

[kommentiert]: Teresa Nentwig über die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ in Berlin

„Mein lieber Freund Hitler!

Ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag. Ich wohne in Chemnitz, Kurfürstenstr. 10. Ich bin 8 Jahre alt.

Klaus Hunger.“

Zu seinem 43. Geburtstag am 20. April 1932 bekam Hitler Hunderte von Briefen – auch von Kindern. Diese beließen es oft nicht bei einer simplen Gratulation, wie sie in dem eingangs zitierten Beispiel zu sehen ist, sondern drückten in ihren Briefen auch ihre Loyalität mit dem künftigen „Führer“ der Deutschen und ihre Hoffnungen auf ein anderes, besseres Deutschland aus. Die 12-jährige Elga Jaroljmek aus Liebenberg in der Mark Brandenburg etwa erwähnte sogar die kurz bevorstehenden Landtagswahlen am 24. April 1932 und ihren Wunsch nach einem Wahlsieg Hitlers: „Zu Ihrem Geburtstag wünsche ich Ihnen alles Gute und hoffe, daß sie am 24. bei den Wahlen dazu kommen werden Deutschland zu retten!! Hier in Liebenburg sind auch 90 % Nazis und haben Sie gewählt. Auch sie werden mit Freuden Ihren Befehl befolgen und mit Fahnen und Abzeichen Ihren Geburtstag feiern!“

Im Lager Theresienstadt lebten mehr als 10.500 Kinder unter 15 Jahren. Sie mussten hungern, litten unter Enge, unter mangelnder Hygiene, unter psychischen Belastungen. Und doch waren die Lebensbedingungen „besser“ als in den übrigen Konzentrationslagern, denn Theresienstadt war als „Musterlager“ zur Täuschung der Öffentlichkeit hergerichtet worden. Die Kinder, die in extra gebauten Kinderheimen lebten, bekamen sogar Schulunterricht, darunter im Zeichnen. So entstanden zahlreiche Blei- und Buntstiftzeichnungen sowie Arbeiten mit Wasserfarben, die den Lageralltag wiedergeben. Die meisten Kinder überlebten die Gefangenschaft nicht.

Die aus heutiger Sicht kurios wirkenden Glückwunschschreiben an Hitler und die ergreifenden Zeichnungen aus Theresienstadt – sie zählen zu den über 600 Ausstellungsstücken, die derzeit im Rahmen der Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen sind. Bereits anderthalb Monate nach ihrer Eröffnung am 15. Oktober 2010 konnte die Ausstellung eine beachtliche Zahl von rund 100.000 Besuchern verzeichnen. Sie scheint damit einen Nerv der Zeit zu treffen – die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus liegt im Trend. Bücher zu diesem Thema verkaufen sich gut, so z. B. die im Februar 2010 erschienene Biografie über Hitlers Lebensgefährtin Eva Braun, die mittlerweile bereits in fünfter Auflage vorliegt. Filme wie „Der Untergang“ oder zuletzt „Inglourious Basterds“ lassen die Kinokassen klingeln. Es verwundert daher nicht, dass auch die jetzt in Berlin gezeigte Ausstellung auf eine enorme Resonanz stößt.

Die Kritik an der Ausstellung, die kurz nach ihrer Eröffnung von Historikern und Journalisten geäußert worden war, hat die Besucherströme nicht abgehalten. Zu Recht. Natürlich lassen sich, wie bei fast jeder Ausstellung, Einwände finden, doch die zentralen Kritikpunkte sind nicht gerechtfertigt. Zum einen wurde bemängelt, die Ausstellung sei zu einseitig. Sie zeige zwar, wie so viele Deutsche Hitler verehrt haben, erkläre aber nicht, warum. Ausstellungen ist die Frage nach dem Wie jedoch inhärent: Mithilfe von Objekten, Fotos, Filmen u. ä. stellen sie dar, wie etwas war. So auch die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“. Und doch geht sie über das Wie hinaus und liefert Erklärungsansätze, warum Hitler auf so viele Menschen eine Faszination ausgeübt hat.

Bereits aus dem eingangs zitierten Brief der 12-jährigen Elga ist eine Ursache für die Anziehungskraft desjenigen herauszulesen, der noch während des Ersten Weltkrieges bieder aussehende Aquarelle von Landschaften und Bauernhöfen anfertigte: Die Deutschen sind Hitler in Massen gefolgt, da sie, vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Staatskrise, materielle Sicherheit, eine starke Führung und soziale Gemeinschaft erhofften. Soziale Verheißungen, die zügige Senkung der hohen Arbeitslosigkeit sowie die Verbesserung der Ernährungssituation verschafften dem Regime eine immer größere Zustimmung aus fast allen gesellschaftlichen Schichten. „Das ist das Wunder unserer Zeit, daß ihr mich gefunden habt“, hatte Hitler am 13. September 1936 vor rund 140.000 jubelnden Anhängern bei einem Reichsparteitag in Nürnberg gerufen, „daß ihr mich gefunden habt unter so vielen Millionen! Und daß ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück!“ In diesem Zusammenhang schreibt der bekannte Hitler-Biograf Ian Kershaw, dass dessen Worte ein „mystisches Bündnis zwischen ‚Führer‘ und ‚Gefolgschaft‘“ suggerierten. Dieses quasi-religiöse Verhältnis, das der Diktator zu großen Teilen der Bevölkerung aufbaute, scheint bei der Ausstellung ständig durch, ist so immer präsent.

Zum anderen wurde an der Ausstellung kritisiert, dass Hitler selbst unterbelichtet bleibe. Dieser Einwendung kann entgegnet werden, dass die drei Kuratoren ausdrücklich keinen biografischen Ansatz verfolgen. Ein solcher könne die Eskalation der Gewalt nämlich nicht erklären. Stattdessen stehen die Deutschen und ihr Verhältnis zu Hitler im Mittelpunkt, worauf neben dem Titel auch der Untertitel der Ausstellung unmissverständlich hinweist: „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“. Hier wird die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ angesprochen, die in Hitlers Weltanschauung eine zentrale Bedeutung einnahm: „Die NSDAP präsentierte sich als junge, klassenübergreifende ‚Volkspartei‘, und Adolf Hitler vereinigte das Charisma eines ‚Führers‘ des gesamten Volkes auf sich, der sich entschlossen gab, die Wünsche nach Kontinuität und Veränderung, nach Einheit und Heil in einer künftigen ‚Volksgemeinschaft‘ zu erfüllen“, so die Historiker Michael Wildt. Dass die „Volksgemeinschaft“ aber nicht nur Inklusion, sondern auch Exklusion bedeutete, macht die Ausstellung sehr gut deutlich: Diejenigen, die aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen wurden – Juden, psychisch Kranke oder geistig Behinderte –, werden ebenso wie diejenigen, die „dazugehörten“, auf nachdrückliche, teils geradezu erschütternde Weise gezeigt.

Und dennoch: Viele Besucher der Ausstellung werden Aspekte finden, die ihrer persönlichen Meinung nach etwas zu kurz kommen. Dies kann z. B. die Randstellung des Themas „Widerstand“ sein, die systematischen Ausplünderungen der besetzten Ostgebiete oder auch die personellen Kontinuitäten zwischen dem „Dritten Reich“ und der Bundesrepublik Deutschland. Immerhin haben einige hochrangige Nachkriegspolitiker – mitunter zwar bei innerer Gegnerschaft zur nationalsozialistischen Ideologie – für NS-Institutionen gearbeitet, darunter der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker Aschoff. Dieser war ab 1940 als leitender Mitarbeiter für die Haupttreuhandstelle Ost tätig, die in Polen das staatliche und private Vermögen (einschließlich des jüdischen) erfasste, verwaltete und verwertete. Höpker Aschoff fungierte somit als einer der Ausführenden der nationalsozialistischen „Eindeutschungspolitik“ im besetzten Polen, die u. a. zur Auslöschung der jüdischen Bevölkerung und zur Verarmung polnischer Familien beitrug.

Die DDR instrumentalisierte die Kontinuitätslinien der Bundesrepublik Deutschland zur NS-Zeit propagandistisch – dies hingegen wird von der Berliner Ausstellung aufgegriffen. So wird dort eine Schautafel, herausgegeben 1956 vom Zentralkomitee der SED, gezeigt, die über aufklappbare Fenster verfügt, hinter denen führende Nachkriegspolitiker mit nationalsozialistischer Vergangenheit hervorblicken, darunter Hans Globke, von 1953 bis 1963 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, und Waldemar Kraft, von 1953 bis 1956 Bundesminister für besondere Aufgaben. Zum Teil in NS-Uniform und mit nationalsozialistischen Abzeichen. Versehen ist „das braune Haus von Bonn“, wie die damals für 20 Pfennig zu erwerbende Schautafel heißt, mit einem Reim, der auf die Westanbindung der jungen Bundesrepublik anspielt:

„Ein braunes Haus, das steht in Bonn,

ist demokratisch verputzt.

Doch unter der Farbe schimmert schon

der tausendjährige Schmutz.

Doch MACHST du Tür und Fenster auf,

erblickst du in alter Pracht,

das gleiche litzengeschmückte Geschmeiß

der tausendjährigen Nacht.

Schaut sie euch an, DIE wollen wie einst

durch ganz Europa marschieren.

Es liegt bei uns, sorgt alle dafür

daß SIE Litzen und Stiefel verlieren.“

Den Kuratoren der Hitler-Ausstellung ist es gelungen, zahlreiche solcher frappierenden Exponate zusammenzutragen.

Die Ausstellung „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“ im Deutschen Historischen Museum läuft noch bis zum 6. Februar 2011. Weitere  Informationen finden sich auf der Homepage der Ausstellung.

Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Politische Führung im deutschen Föderalismus„.