[nachgefragt]: Andreas Speit, Co-Autor des Buches „Mädelsache“, über Frauen in der rechtsextremen Szene.
Sehr geehrter Herr Speit, die rechte Szene gilt grundsätzlich als männer-dominiert, ebenso werden rechtsextreme Parteien eher von jungen Männern gewählt. Warum haben Sie sich mit Frauen in der extremen Rechten beschäftigt?
Weil die von ihnen genannten Fakten sich geändert haben. In der gesamten extrem rechten Szene ist ein neues Auftreten von Frauen und Mädchen zu beobachten. Der rechte Slogan „Nationalismus ist auch Mädelsache“ ist längst gesellschaftliche Realität. Bei Aufmärschen marschieren Frauen mehr und mehr mit, bei Wahlen treten sie für die NPD verstärkt an und bei Veranstaltungen treten sie offen auf. Die Prozentzahl von Frauen in der „nationalen Bewegung“ stieg in den vergangenen Jahren auf über 20 Prozent, Tendenz weiter steigend. Bei Wahlen wächst auch der Zuspruch von Frauen für die NPD. Eine Umfrage ergab gar, dass 14 Prozent der befragten Frauen sich vorstellen konnten, eine Partei rechts von der CDU zu wählen.
Eine Kritik über „Mädelsache“ aus unserer Radiosendung „Unter der Lupe“ von Julia Frese:
[audio:http://www.demokratie-goettingen.de/radio/Sendungen/April2011/Buchkritk_Maedelsache.mp3]
Sie haben es aber auch angedeutet: In der Öffentlichkeit werden dieses selbstbewusste Auftreten von Frauen und Mädchen in der Szene von NPD bis „Autonome Nationalisten“ und der stetige Anstieg der Beteiligung sowie der wachsende Zuspruch jedoch kaum wahrgenommen. Dieses Ausblenden spielt den Frauen der Szene aber eben sehr entgegen, sie werden oft gar als nicht „so politisch überzeugt“ und als nicht „so gefährlich“ betrachtet. Die Frauen sind jedoch nicht minder politisch gefestigt als die Männer und sie wollen nicht minder das „System BRD“ abschaffen. Geschlossene Volksgemeinschaft statt offene Gesellschaft, hierfür treten sie vielleicht „weicherer“ Weise, aber nicht weniger hart in der Überzeugung ein.
Wie hat sich die Rolle der Frauen in der rechtsextremen Szene historisch verändert?
Schauen wir nur in die Zeit nach 1945 zurück. Gleich nach dem Niedergang des Nationalsozialismus waren Frauen auch wieder aktiv – aber fast ausschließlich im Hintergrund. Sie halfen NS-Verbrechern bei der Flucht, führten Vereinskassen oder schulten Kinder und Jugendliche. Diese Rolle ging mit der von der „Bewegung“ gestellten Aufgabe einher, durch Kinder den „biologischen Bestand des deutschen Volkes“ zu sichern. Bis heute ermahnen Männer wie Frauen die jungen Kameradinnen, diese „Pflicht“ nicht zu vergessen – und sie wird auch eingefordert. Aber dennoch hat sich das Handlungs- und Rollenangebot für Frauen in der Szene ausdifferenziert, in ein quasi idealtypisch traditionelles und in ein moderneres.
Heute wollen die Frauen und Mädchen viel stärker als früher auch in der Öffentlichkeit politisch sichtbar „für Volk und Vaterland“ handeln. Teil der „Kämpfenden Front“ seien und nicht mehr nur bloß „Freundin eines Neonazis“, wie Frauen und Mädchen aus der Kameradschaftsszene selbst erklären. Eine NPD-Kaderin betont beispielsweise: „Wir leben im 21. Jahrhundert“, da wäre es lange vorbei, Frauen aus „bestimmten Dingen“ auszuschließen. Aussagen, die deutlich zeigen: Die Frauen und Mädchen fordern für sich politische Handlungsräume in der „Bewegung“ ein – sie streiten auch dafür. Nicht allen Herren in der NPD oder Männern der Kameradschaften und Autonomen Nationalisten gefällt das. Immer wieder führt dieser Anspruch somit auch zu Auseinandersetzungen. Bei diesen unterliegen die Frauen dann oft, müssen Parteiämter ab- oder Funktionen aufgeben und auch Kommunalmandate an die Männer abtreten. Aber dennoch: In der Szene bestehen für Frauen nun verschiedene Handlungs- und Rollenangebote: aus dem Hintergrund heraus die Kameraden unterstützen, oder in der Öffentlichkeit selbst auftreten – beides ist möglich.
Unterscheidet sich die Bedeutung von Frauen im Parteienspektrum der extremen Rechten und innerhalb der „Freien Kräfte“, also den Kameradschaften und „Autonomen Nationalisten“?
Jein, in allen Spektren ist erkannt worden, dass Frauen und Mädchen neue Chancen für die „Bewegung“ eröffnen – von gesellschaftlicher Akzeptanzgewinnung bei den Bemühungen der kommunalen Verankerung über politische Festigung der Strukturen durch Paarbildungen bis zum gezielten Werben von Frauen und Männern für die „Sache“. Bei unseren Recherchen wurde sehr deutlich, dass pauschale Zuschreibungen wie „Partei = traditionelles Frauenbild“ nicht mehr stimmen. In den Kameradschaften andererseits existiert wiederum nicht automatisch ein moderneres Handlungs- und Rollenangebot für Frauen und Mädchen. Gerade bei den Autonomen Nationalisten, die ja als so „modern“ und so „anders rechts“ gelten, werden die weiblichen Anhänger sehr schnell in ihre vermeintlich biologischen Schranken verwiesen. In unserem Buch schildern zwei Aussteigerinnen dieser Szene sehr deutlich diese Auseinandersetzungen.
Inwiefern nutzt die NPD mittlerweile explizit Frauen für ihre Strategie?
Die Frage suggeriert eine Instrumentalisierung der Frauen und Mädchen für die Partei durch die Partei. Die Frauen wollen aber eben selbst die Parteipolitik mitgestalten, soziale Themen national beantworten. Den Herren der Partei kommt dies jedoch bei ihren strategischen Überlegungen zu „Verbürgerlichungsbemühungen“ sehr entgegen. Die Frauen der NPD erklären hier nicht anderes als die Männer, wie notwendig die Verankerung vor Ort und Einflussnahme im vorpolitischen Raum sei. 2006 gründeten Frauen aus der NPD und der Szene den „Ring Nationaler Frauen“, um dem steten Zulauf von Frauen und Mädchen ein Organisationsangebot machen zu können. Heute ist der Ring eine Kaderorganisation, dessen Mitglieder sich selbstbewusst für die Partei engagieren – als hilfsbereite Vereinsschwester oder nette Nachbarin. Sie wollen bewusst dem gängigen Image als gewaltbereiter Szene entgegenwirken.
Welche Ergebnisse haben Sie bei der Arbeit zum Buch besonders überrascht?
Überrascht? Besonders? Zwei starke Worte. Vielleicht darf ich es etwas „schwächer“ ausdrücken. Häufig mussten wir bei den Recherchen feststellen, wie sehr die rechten Frauen durch unsere allgemeinen Klischeevorstellungen von „der extrem rechten Szene“ und „den typischen rechtslastigen Frauen“ ihre politischen Anliegen leichter umsetzten konnten. In Medien, Politik und Gesellschaft, so hatten wir oft den Eindruck, löste das Engagement der rechten Frauen Verwunderung aus, weil sie zuvor kaum wahrgenommen wurden. Und mit dieser „Wahrnehmung“ arbeiten die Frauen und Mädchen von rechts sehr geschickt bei den Bemühungen, in der Mitte der Gesellschaft Akzeptanz zu gewinnen. Als „nett“, „freundlich“ und eben nicht „gefährlich“ versuchen sie, sich selbst und ihre Szene darzustellen. Oft mit Erfolg. „Ach, die, die ist aber doch so lieb zu den Kindern“, hörten wir bei den Recherchen, wenn wir wegen des Engagements von rechten Frauen in Sportvereinen nachfragten, oder: „Nee, die, die ist doch immer so hilfsbereit“, wenn wir wegen ihrer Aktivitäten in Bürgerinitiativen nachfassten.
Frau und Feindin einer offenen Gesellschaft wird eben oft nicht gleich zusammen gedacht – selbst wenn Indizien erkennbar sind. Eine leise Frauenstimme sollte aber nicht über den dahinter liegenden Hass hinwegtäuschen. Ein höfliches Auftreten – es mag die eigenen Klischeevorstellungen unterlaufen, ändert jedoch ebenso nichts an der politischen Ausrichtung gegen Emanzipation und Humanismus.
Das Interview führte Benjamin Mayer.
Andreas Speit ist Sozialwirt, freier Journalist und Buchautor. Er schreibt regelmäßig über das Thema Rechtsextremismus. Zusammen mit der Politologin Andrea Röpke hat er jüngst das Buch: „Mädelssache!: Frauen in der Neonazi-Szene“ veröffentlicht. Mehr dazu auf der Seite des Verlags. Die Buchkritik stammt aus der aktuellen Ausgabe unserer Radiosendung „Unter der Lupe“.