Die Macht der Information

[diskutiert]: Wie verändern moderne Medien die Politik? Jöran Klatt und Christian Werwath diskutieren über Transparenz, Wikileaks und Demokratie.

Christian Werwath: Politik findet in Deutschland bereits jetzt in „Echtzeit“ statt. Verhandlungsergebnisse oder Diskussionsbeiträge gelangen meist schon vor Ende der Verhandlungsrunden in die Öffentlichkeit. So entstehen Vertrauensverluste zwischen den Gesprächspartnern. Die bloße Durchsetzung von strategischen (Macht-)Vorteilen überlagert dann häufig die Suche nach sinnhaften Lösungen.

Jöran Klatt: Echtzeit ist auch notwendig. Die Geschwindigkeit und Verfügbarkeit, welche die moderne Medienwelt bereitstellen, sind vor allem eine Chance für die Massendemokratie. Der Souverän braucht nun eine der Zeit entsprechende Medienform, die bisher fehlte. Wikileaks weist auf dieses Defizit hin. Die Plattform kann somit die Demokratie animieren, direkter und zeitgemäßer zu werden. Leider wird wohl das Gegenteil eintreten: Die Parteien werden jetzt verstärkt darauf achten, welche Informationen nach außen sickern.

Christian Werwath: Darauf wurde schon immer geachtet. Nur haben sich die Möglichkeiten, Verhandlungen zu lenken und Interessen durchzusetzen, durch die modernen Kommunikationstechniken potenziert. Innerhalb von Sekunden können Ideen oder Aussagen anderer Verhandlungspartner im Netz stehen. In der Regel werden sie dort von den meinungsführenden Internetzeitungen vielfach kommentiert und kommen so als „Urteil des Volkes“ zurück an den Verhandlungstisch. Dieser Macht sind sich Medienakteure, aber auch die politischen Akteure durchaus bewusst und wissen sie zu nutzen.

Jöran Klatt: Medien, Politiker und Volk sind keine Gegenspieler, sondern Teil eines Ganzen. Dessen müssen sich Politiker, welche aktuell die Medien als ‚verantwortungslos‘ beschimpfen, wieder bewusster werden. Stattdessen herrscht in der Lebenswelt der Politik eine gewisse Selbstgefälligkeit: Es fühlt sich für viele Politiker einfach gut an, zu einem Kreis der Eingeweihten zu gehören. Die punktuelle Notwendigkeit und Legitimität von Geheimhaltung mutieren hier zur Selbstverständlichkeit und werden nicht mehr genügend reflektiert. Es bleibt die Frage, wer von Transparenz profitiert und wer sich – vor allem warum – davon bedroht fühlt.

Christian Werwath: Es stellt sich nicht die Frage, „wer sich davon bedroht fühlt“, sondern welche Auswirkung unmittelbare und zeitnahe Berichterstattung hat. Die Art und Weise der Darstellung und Beschreibung von Prozessen liegt immer in der Hand des Beobachters. Medien verkaufen aber ihre Beobachtungen und dienen damit nicht einer möglichst objektiven Transparenz. Um erfolgreich zu verkaufen, wählen sie nicht selten negative und personalisierte Darstellungsformen. Diese Form der Berichterstattung führt tendenziell dazu, dass Streit unterdrückt oder künstlich inszeniert wird, selbst in vertraulichen Runden. Die repräsentative Demokratie lebt aber vom echten Streit über die bessere Lösung innerhalb und zwischen Interessengruppen.

Jöran Klatt: Politiker müssen damit leben, dass über sie auch negativ berichtet wird. Journalisten dürfen auf den Komfort der Politiker keine Rücksicht nehmen. Alles andere wäre nicht ‚verantwortungsvoll‘, sondern indirekt eine Rechtfertigung von Propaganda und Zensur. Implizit steckt darin nämlich die Annahme, dass es eine „gute“ weil „richtige“ Berichterstattung gäbe, die, weil staatstragender, zu bevorzugen sei vor einer kontraproduktiven, die wegen einer negativen Demagogik die Politiker am „objektiven“ Handeln hindere. Was „objektiv“ ist, muss jedoch zur Disposition stehen. Demokratisches Regieren funktioniert nämlich nicht durch eine möglichst ungehinderte Exekutive, sondern durch „checks and balances“.

Christian Werwath: Die Kritik an der medialen Verkaufslogik und, damit implizit verbunden, die Aufforderung zum verantwortungsvollen Umgang mit (Medien-)Macht ist keine Rechtfertigung von Propaganda und Zensur. Denn die Lebenswelt der Medien ist ebenfalls nicht frei von Selbstgefälligkeiten. Zudem sind die Medien nicht autonom in ihrem Handeln, vielmehr besteht eine Vielzahl enger persönlicher und beruflicher Beziehungen zwischen der politischen und medialen Ebene – sie beeinflussen sich gegenseitig. So sehr, dass politische Entscheidungen manchmal nur anhand der vorherigen Einschätzung der Reaktion einflussreicher Medien gefällt oder unterlassen werden. Über diese Aushöhlung der „checks and balances“ berichten die Medien natürlich nicht.

Jöran Klatt: Dabei fürchten die Politiker nicht in erster Linie die Reaktion der Medien, sondern die des Volkes. Das legitimiert auf keinen Fall, Informationen zurückzuhalten. Es stimmt, dass Medien auch nicht immer völlig unabhängig sind. Das zeigen Beispiele wie etwa die Einflussnahme Roland Kochs auf die nichterfolgte Vertragsverlängerung Nikolaus Brenders als Chefredakteur des ZDF. Das sind Eingriffe in die Selbstbestimmung von Medien, die es nicht geben darf. Umso wichtiger ist es, dass investigative Journalisten gestärkt werden. Mit Wikileaks haben sie einen Verbündeten bekommen, der es ihnen und der Bevölkerung freistellt, selbst zu entscheiden, was verantwortungsvoll ist und was nicht.

Christian Werwath: Nein – Wikileaks nimmt den Journalisten und Redakteuren die Verantwortung und Entscheidung, welche Informationen veröffentlicht werden und welche nicht, ab und verhält sich dabei verantwortungslos. Natürlich sollte größtmögliche Transparenz über Entscheidungsprozesse und deren Inhalte herrschen, aber wenn dies zum Beispiel dazu führt, dass politische Akteure nicht mehr offen miteinander reden können, zerstört das Vertrauen. Gegenseitiges Vertrauen zwischen politischen Akteuren ist aber die Grundlage für Kompromisse sowie für ihre Einhaltung und schafft darüber hinaus Raum für Mut zur Kreativität.

Jöran Klatt: Dieses Vertrauen verwehrt aber ein Großteil der Politiker dem eigenen Volk. Untereinander werden sich Politiker auch weiterhin vertrauen, nur im kleineren Kreis. Wikileaks muss genau wie andere Medien überhaupt erst an Informationen kommen, um sie veröffentlichen zu können. Deswegen werden Regierungen und Parteien wohl auf Primärquellen verstärkt achtgeben. Zudem nimmt Wikieleaks Journalisten keine Verantwortung ab, sondern unterstützt sie in ihrer Arbeit – und das in einer ziemlich klassischen Weise: Informanten und Quellen als Basis gab es schon immer. Sie werden hier lediglich zentraler und besser zugänglich erfasst. Assange und Wikileaks selbst geht es jedoch in der Tat um mehr: Machtverhältnisse werden auch durch Informationsflüsse bestimmt. Umso mehr hat in einer Demokratie das Volk also ein Recht darauf, informiert zu sein.

Jöran Klatt ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung, Christian Werwath arbeitet ebendort als wissenschaftliche Hilfskraft.