Links oder rechts? Steinbrück oder Merkel?

[präsentiert]: Ergebnisse der Vorwahlbefragung von Göttinger Studenten

Auf dem Göttinger Campus merkt man wenig. In der Woche vor der Bundestagswahl ist hier nur vorlesungsfreier Alltag zu beobachten. Die Studenten sind mit ihren Hausarbeiten beschäftigt oder schlichtweg nicht da. Alles ist ein bisschen ruhiger als sonst. Das neue Semester beginnt erst wieder im Oktober – vier Wochen nach dem Urnengang am kommenden Sonntag. Ein Wahlkampf vor den Hörsälen lohnt sich anscheinend nicht. Parteifahnen, Flugblätter und Veranstaltungen: Fehlanzeige. Kein Wahlkampf, nirgends. So jedenfalls der äußere Eindruck. Fragt man jedoch die Studenten, trifft man auf keineswegs gleichgültige Kommilitonen.

Eine Umfrage des Instituts für Demokratieforschung in Zusammenarbeit mit dem Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen hat sich der Studentenschaft angenommen. An einer ersten lokalen Umfragerunde dieser breit angelegten Studie haben sich knapp 2.200 Göttinger Studenten aller Fakultäten beteiligt. Erste Ergebnisse der Onlinebefragung liegen nun vor. Am Beispiel der Göttinger Studierenden wird sichtbar: Unpolitisch sind die Studenten jedenfalls nicht.

Zunächst einmal sind sie überaus aktiv. 40 Prozent der Befragten sind Mitglied in einem gemeinnützigen Verein. Ein ähnlich hoher Anteil hat ein Ehrenamt inne, ist Abteilungsleiter in einem Sportverein, arbeitet beim Roten Kreuz, in einem Tierheim oder bei der Jugendfeuerwehr. Dazu nehmen die Göttinger Studierenden in hohem Maße Anteil an politischen Vorgängen. Nur drei Prozent der Befragten geben an, sich überhaupt nicht für Politik zu interessieren. Wenig verwunderlich, dass auch ihr politisches Engagement überdurchschnittlich hoch ist: Knapp 14 Prozent sagen, sie seien „politisch aktiv“.

Über ein Parteibuch verfügen fast sechs Prozent der Studenten an der Göttinger Alma Mater. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind es nur noch zwei Prozent, die Mitglied einer Partei sind. Tendenz abnehmend. Doch sind die Parteibücher nicht paritätisch unter den Studenten verteilt: Etwa zwei Drittel finden sich bei Rot-Rot-Grün. Noch deutlicher wird diese Lagerbildung auf der Links-Rechts-Skala: 70 Prozent der befragten Studenten verorten sich hier „eher links“ (48 Prozent) und in der Mitte (22 Prozent), während knapp 30 Prozent sich als „eher rechts“ bezeichnen.

Unseren Ergebnissen zufolge sind die befragten Studenten also politisch-gesellschaftlich überdurchschnittlich aktiv und neigen eher den Mitte-Links-Parteien zu. Selten sah dieser Teilausschnitt der Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren anders aus. Ginge es folglich nach den Göttinger Studenten des Spätsommers 2013, würde die bundesdeutsche Regierung künftig von Jürgen Trittin beziehungsweise Katrin Göring-Eckardt angeführt werden. Ein Drittel der Befragten (32,7 Prozent) antwortete auf die Sonntagsfrage – „Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahltag wäre?“ –, für die Grünen zu stimmen. Gut 23 Prozent würden CDU wählen; etwas mehr als 20 Prozent für die SPD votieren und kaum drei Prozent bei der FDP ihr Kreuz machen. Die Piratenpartei käme ebenfalls nur auf knapp drei Prozent.

Die Unterschiede finden sich erst beim Blick auf die einzelnen Fakultäten. Studenten der Biologie (43 Prozent), Sozialwissenschaften (38 Prozent) und Geowissenschaften (48 Prozent) gaben mehrheitlich an, am 22. September die Ökopartei zu wählen. Die Grünen kratzen in dieser Gruppe an der absoluten Mehrheit. Die CDU stößt indes bei angehenden Juristen (33 Prozent), Ökonomen (30 Prozent) sowie Agrarwissenschaftlern (53 Prozent) auf Zustimmung wie in keinem anderen Fachbereich. Hier ist sie jeweils die stärkste Partei.

Die SPD erhält innerhalb keiner Fakultät vergleichbare Mehrheiten, schneidet überhaupt bei den Angehörigen der Georgia Augusta schlechter ab als in den bundesweiten Wahlprognosen dieser Tage. Lediglich bei den Philosophen, Theologen und Sozialwissenschaftlern überspringen die Sozialdemokraten jeweils die 20-Prozent-Marke. Die akademische Jugend scheint sie – obwohl immer wieder um sie werbend – für sich verloren zu haben.

Die Göttinger Studentenschaft ist weitgehend grün. Die Hälfte der Befragten, die angeben, einer Partei zuzuneigen, findet die Grünen sympathisch. Unter denjenigen Kommilitonen, die gleich mehreren Parteien zuneigen, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Ökopartei mitfavorisieren, bei über 70 Prozent. Auffällig zeigt sich diese Präferenz in Verbindung mit dem Bildungsgrad der Eltern. Es gilt: Je gebildeter die Eltern, desto mehr Studierende antworten auf die Sonntagsfrage mit den Grünen. Hat die Mutter einen Hauptschulabschluss, würden 29 Prozent die Grünen wählen. Ist die Mutter jedoch in Besitz des Abiturs, steigt der Anteil der potenziellen Grünen-Wähler auf 43 Prozent. Hat der Vater einen Hauptschulabschluss, wählen knapp 30 Prozent die Grünen. Verfügt der Vater über das Abitur, erhöht sich derselbe Wert auf rund 36 Prozent und besitzt er zudem einen Universitätsabschluss, sind es wiederum fast zwei Prozent mehr der befragten Studenten, die sagen, die Grünen wählen zu wollen. Nur zum Vergleich: Bei vergleichbaren bundesweiten Umfragen aller Gesellschaftsgruppen erhalten die Grünen derzeit um die zwölf Prozent.

Fragt man danach, welchen Kanzler sich die Studenten wünschen – Merkel oder Steinbrück –, fallen die Antworten der Göttinger Kommilitonen nur scheinbar klar aus. Unabhängig von der eigenen Parteipräferenz wünschen sich 37 Prozent der Befragten, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Peer Steinbrück würden hingegen nur 14 Prozent gerne im Kanzleramt sehen. Selbst bei den sozialdemokratischen Wählern schneidet Merkel gut ab. Jeder fünfte von ihnen möchte – trotz seines geplanten Votums für die SPD – lieber die Christdemokratin als Kanzlerin behalten. Und nur jeder dritte SPD-Wähler gibt an, sich auch den eigenen Kandidaten, Peer Steinbrück, als Regierungschef zu wünschen. Auch aus dem Lager der Grünen-Wähler erfährt Merkel (24 Prozent) mehr Zustimmung als Steinbrück (14 Prozent).

Doch der angebliche Vorteil Merkels relativiert sich mit einem Blick auf die noch Unentschlossenen. Jeder zweite Student weiß noch nicht, für wen er stimmen wird oder wünscht sich gleich jemand ganz anderen als Kanzler. Und es scheint angesichts des hohen politischen Interesses eine bewusste Entscheidung zu sein: Für jeden Zehnten steht bereits fest, in diesem Jahr überhaupt nicht wählen beziehungsweise eine ungültige Stimme abgeben zu wollen.

Lars Geiges, Verena Hambauer und Daniela Kallinich arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Ergänzung: