Lesben sind (nicht) unsichtbar – sie werden dazu gemacht

Beitrag verfasst von: Pauline Höhlich; Annemieke Munderloh
[analysiert]: Pauline Höhlich und Annemieke Munderloh über lesbische (Un-)Sichtbarkeit in Deutschland

Lesbische Pride Flag

 

„Sitzen zwei Homosexuelle im Flugzeug. Sagt die eine zur anderen: «Bestimmt haben sich jetzt alle zwei Schwule vorgestellt».”[1]

Na, haben Sie auch an zwei Männer* gedacht?

Dieser (Anti)Witz macht ein Problem deutlich, mit dem sich homosexuelle Frauen* tagtäglich konfrontiert sehen. Denn die von ihnen erfahrene Diskriminierung nimmt andere Formen an als die, unter der homosexuelle Männer* nach wie vor leiden: Während letztere zwar in der öffentlichen Wahrnehmung vermeintlich stets sichtbarer waren – mit all den negativen, aber auch positiven Folgen, die daraus entstehen –, schaute man über homosexuelle Frauen* lange Zeit schlicht hinweg.

Heute, am International Day of Lesbian Visibility 2019, wollen wir der Frage nachgehen, wie sichtbar Homosexualität eigentlich in Deutschland ist. Wie viele offen lesbisch lebende Mädchen*, Frauen* und/oder Paare* kennen Sie aus Ihrem persönlichen Umfeld? Die Antworten auf diese Frage fallen wahrscheinlich zahlen- und verhältnismäßig sehr unterschiedlich aus – sowohl im Vergleich zu homosexuell lebenden Männern* als auch zu heterosexuellen Menschen.

Anne Will, Barbara Hendricks, Alice Weidel, Hella von Sinnen, Dunja Hayali, Maren Kroymann, Bettina Maria Böttinger, Steffi Jones. Was diese Frauen* des öffentlichen Lebens gemeinsam haben? Sie sind die wenigen, medial nennenswert in Erscheinung tretenden lesbischen Frauen* in Deutschland. Die Liste ist nicht nur kurz, sie enthält obendrein nur zwei Politikerinnen. Auf männlich*-homosexueller Seite sieht es diesbezüglich schon etwas besser aus: Jens Spahn, Volker Beck, Ole von Beust, Klaus Wowereit, sie alle sind oder waren offen schwule und einflussreiche Politiker. Weitere Auffälligkeit: Alice Weidel ist mit ihren vierzig Jahren die jüngste in dieser Aufzählung. Zudem ist sie nicht gerade dafür bekannt, lesbische oder andere Anliegen der LGBTQI*-Community zu vertreten – ganz im Gegenteil sogar.

Nicht nur fehlt es insgesamt an lesbischen, im öffentlichen Leben agierenden Vorbildern, es existieren auch kaum junge, medienwirksame Role Models. Hierunter werden Personen verstanden, deren Lebensweisen als mögliches Modell für die individuelle Entwicklung fungieren können und „denkbare Lebenswege sowie Perspektiven für zu treffende Entscheidungen aufzeigen“.[2] Abhängig von den Lebensumständen – was für Errungenschaften, Ziele und Motivationen als wünschenswert und bedeutend erachtet werden –, können Jugendliche wie (junge) Erwachsene für sich klären, welche(s) dieser Rollenvorbilder sie als passend oder unpassend empfinden. Hierfür braucht es aber breite und vielfältige Auswahlmöglichkeiten, die den diversen Lebensrealitäten von Menschen entsprechen. Denn ein enges und wenig heterogenes Angebot an Identifikationsmöglichkeiten beschränkt das individuelle Entwicklungs- und Handlungspotenzial.

Die oben genannte Aufzählung veranschaulicht das Problem der Intersektionalität – d.h. die Verschränkung mehrdimensionaler und miteinander verknüpfter Ungleichheiten, wenn beispielsweise neben der Unterscheidung nach sexueller Orientierung auch noch die nach Geschlecht und/oder Alter treten. So sind lesbische Frauen* allgemein, insbesondere jedoch die jüngeren im Alter unter 40 Jahren in der Medienwelt kaum präsent. Gerade junge Menschen identifizieren sich aber vornehmlich mit Personen im gleichen Altersspektrum.[3] Und zu der ohnehin herrschenden Unterrepräsentation von Frauen* im Deutschen Bundestag tritt hinzu, dass es nur wenige offen lesbische Politiker*innen gibt. Dies bedeutet wiederum zweierlei: einerseits werden lesbische Themen weniger repräsentiert, andererseits ist dadurch die Hürde sowohl für Frauen* als auch für Lesben höher, selbst politisch aktiv zu werden und Politik mitzugestalten.

Des Weiteren hängt die geringe Repräsentanz von homosexuellen Frauen* mit der allgemeinen Unterrepräsentation von Frauen* in den Medien zusammen. So verdeutlichen auch die beiden aktuellen und bisher umfangreichsten Studien der Universität Rostock zu diesem Thema die mediale männliche Dominanz: Frauen* sind sowohl im deutschen Film und Fernsehen als auch in den sogenannten Neuen Medien wie YouTube erheblich unterrepräsentiert.[4] Da lesbische Frauen* innerhalb der ohnehin schon unterrepräsentierten weiblichen Bevölkerungsschicht in der Unterzahl sind, wird „der sich hieraus ergebende Repräsentationsanteil“[5] noch weiter geschmälert.

Besonders deutlich wurde die Nichtwahrnehmung von lesbischen Frauen* im Jahr 2017 im Zuge der rechtlichen Gleichstellung der Ehe homosexueller Menschen. Diesbezüglich beklagt Stephanie Kuhnen beim Queeren Vernetzungstreffen der Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag im Juli 2017, dass „die gesamte Berichterstattung zur Ehegleichstellung fast ausschließlich schwule Männer* gezeigt hat – abgesehen natürlich von den illustrativen Bildern sich küssender Frauen“[6]. Es seien kaum lesbische Expert*innen interviewt worden und Mainstream-Medien hätten weiter beharrlich von der „Schwulenehe“ gesprochen. Das Problem bestehe dabei aber nicht nur auf Seiten der Medien, sondern hänge auch mit den Organisationsstrukturen der homosexuellen Gemeinschaft zusammen. Denn „die Vorstände, Kampagnenleitungen, Presseabteilungen und Geschäftsführungen“[7] würden hauptsächlich von schwulen Männern* ausgefüllt. Hinzu kommt, dass Zusammenschlüsse homosexueller Frauen* erst seit den 70er Jahren wieder existieren und dementsprechend nach wie vor deutlich kleiner ausfallen als die Communities homosexueller Männer*.[8]

Für Kuhnen ist diesbezüglich auch Sexismus ein entscheidender Faktor. Noch immer würden die Meinungen von Männern* als seriöser und fundierter bewertet werden als die von Frauen*.

Die Nicht-Repräsentativität lesbischer Frauen* erstreckt(e) sich auch auf den strafrechtlichen Bereich.[9] Bis heute gibt es kaum Studien über staatliche Verfolgung und/oder Diskriminierung von lesbischen Frauen*. Der Forschungsfokus liegt in diesem ohnehin kleinen Feld nach wie vor auf schwulen Männern*, was den Eindruck erweckt, dass lesbische Frauen* „in keiner Weise staatlich verfolgt oder diskriminiert worden seien“[10] – ein erwiesenes Fehlurteil. Es stimmt, dass bis heute im Vergleich deutlich mehr homosexuelle Männer* verurteilt wurden, dennoch ist diese überwiegende Straffreiheit nicht als Akzeptanz oder gar als Zeichen der Anerkennung seitens des Staates zu verstehen. Verfolgt wurden Homosexuelle auf Grundlage des §175 StGB, welcher seit den 1870er Jahren in unterschiedlicher Schärfe existierte und erst am 11. Juni 1994 endgültig abgeschafft wurde. Die Formulierung vor seiner Abschaffung lautete wie folgt:

„Ein Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder von einem Mann unter achtzehn Jahren an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“[11]

Dieser Paragraf, betitelt als „Homosexuelle Handlungen“[12], nennt explizit Männer*, die sich durch solche Handlungen strafbar machen können. Ohne Zweifel gibt und gab es schon immer auch homosexuelle Frauen* – ihnen wurde (und wird) jedoch aus vielen Richtungen nach wie vor abgesprochen, eine ernstzunehmende lesbische Beziehung führen zu können.

Zitate wie dieses sind bis heute die Folge solchen Denkens:

„Verbale Beschimpfungen mit obszönen Begriffen, teilweise wurden wir als Paar sogar von Männern geschubst, weil so hübsche lesbische Frauen nicht lesbisch sind, sondern mal richtig gef…  werden müssen. Absolut erschreckend. Leider Realität.“[13]

Ihre (im Vergleich zu männlichen* Homosexuellen) größere Unsichtbarkeit, die zwar geringere strafrechtliche Verfolgung bedeutete, schützt(e) lesbische Frauen* nicht vor Diskriminierung und Gewalt. Und in ihrer Sexualität nicht ernstgenommen zu werden macht sie in den Augen mancher Männer* zu reinen Objekten ihrer eigenen Lust.

Dies sind nur einige Schlaglichter. Insgesamt sind die Probleme und Schwierigkeiten natürlich komplexer, vielfältiger und durchziehen mehrere Dimensionen von Benachteiligung und Ungleichheit in diversen Sphären des gesellschaftlichen Lebens. Lesbische Frauen* sind unsichtbar und sichtbar zugleich. Zum einen gründet ihre Unsichtbarkeit auf ihre Marginalisierung in der (deutschen) Gesellschaft. Zum anderen wählen sie die Unsichtbarkeit zum Teil aus Selbstschutz, weil sie Stigmatisierung und Ausgrenzung fürchten.

Laut Kuhnen gründet die Misere auf der Überzeugung, dass Sexismus lediglich ein Nebenwiderspruch sei. Dies sei ein Irrtum, denn: Homo- und Transfeindlichkeit hätten ihren Ursprung in der Abwertung des Weiblichen. Daher folgert und fordert Kuhnen, dass die Fortentwicklung nur durch den hartnäckigen Kampf gegen Sexismus erreicht werden könne. Hierbei plädiert Kuhnen für inklusive Gemeinsamkeit: „Wenn wir einander unterstützen und einander sichtbar machen, dann werden unsere Niederlagen unwahrscheinlicher und unsere Siege größer“[14].

Zum Abschluss vielleicht noch ein bisschen Hoffnung: in den letzten Jahren sind auch positive Entwicklungen zu verzeichnen, Communities homosexueller Frauen* sind offener, sichtbarer geworden, auch wenn noch lange nicht die Rede von alltäglicher und breit verteilter gesellschaftlicher „Sichtbarkeit“ sein kann.[15] Um die Emanzipation für weibliche* Homosexualität weiter voranzutreiben braucht es – neben Akzeptanz und Anerkennung vonseiten der Gesellschaft – eine stärkere lesbische Community, die ihre Interessen geeint vertritt. Vielleicht wird die Vernetzung heute zumindest in Berlin weiter angeschoben. Dort sollen neben einem Kiss-In am Alexanderplatz mehrere weitere Aktionen stattfinden.

 

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Pauline Höhlich und Annemieke Munderloh sind studentische Hilfskräfte am Göttinger Institut für Demokratieforschung und studieren Soziologie im Master.

 

[1] Stokowski, Margarete: Guckt mehr Lesbenpornos!, in: dies.: Die letzten Tage des Patriarchats, Hamburg 2018, S. 27.

[2] Alms, Christoph R.: Jung, lesbisch, unsichtbar? Nö!, in: Kuhnen, Stephanie (Hrsg.): Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit, Berlin 2017, S. 59-69, hier S. 62.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Prommer, Elizabeth/Linke, Christine: Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland, Universität Rostock 2017, URL: https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/Broschuere_din_a4_audiovisuelle_Diversitaet_v06072017_V3.pdf [eingesehen am 14.03.2019], hier. S. 17; sowie MaLisa Stiftung: Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien. Die MaLisa Stiftung präsentiert neue Studienergebnisse,. Deutsche Kinemathek Berlin,. 28.01.2019, URL: https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/Selbstinzenierung-in-den-neuen-Medien.pdf [eingesehen am 14.03.2019], hier S. 4.

[5] Alms, S. 62.

[6] Kuhnen, Stephanie: Mit Lesben wäre der historische Erfolg noch viel größer, in:  Kuhnen, Stephanie (Hrsg.): Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit, Berlin 2017, S. 269-273, hier S. 270.

[7] Ebd.

[8] Vgl. Leidinger, Christiane: Lesbische Existenz 1945-1969. Aspekte der Erforschung gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung lesbischer Frauen, mit Schwerpunkt auf Lebenssituationen, Diskriminierungs- und Emanzipationserfahrungen in der frühen Bundesrepublik, Berlin 2015, S. 6f.

[9] Vgl. ebd.

[10] Ebd., S. 1.

[11] §175 Strafgesetzbuch, Abs. 1 vom 24. November 1973/28.

[12] Ebd.

[13] Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Diskriminierung in Deutschland. Dritter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages, Berlin 2017, S. 322.

[14] Ebd., S. 273.

[15] Opitz, Till: Akzeptanz und Diskriminierung. Über die Sichtbarkeit lesbischer Frauen, in: Deutschlandfunk Nova. Eine Stunde Liebe, 19.10.2018, URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/sichtbarkeit-lesbischer-frauen-akzeptanz-und-diskriminierung [eingesehen am 15.03.2019].