[diskutiert]: Johanna Klatt und Katharina Rahlf diskutieren über die Rolle konservativer Politikerinnen am Beispiel von Rita Süssmuth und Ursula von der Leyen.
Daniela: Johanna, du hast eine politische Biografie über Rita Süssmuth geschrieben. Was ist an dieser Politikerin besonders interessant?
Johanna: Das zeitlos Interessante an ihr ist vielleicht, dass sie als junge Frau und Seiteneinsteigerin in die Politik kam und nach einem rasanten Aufstieg vor innerparteilichen Problemen kapitulieren musste. Zwar hatte sie sich während ihrer Ein- und Aufstiegsphase schnell den parteipolitischen Gegebenheiten angepasst und alle Querelen mitgemacht. Sie war dabei auch sehr geschickt aufgetreten. Doch in ihrem repräsentativen Amt als Bundestagspräsidentin konnte sie irgendwann nur noch über gezielte, provokative Aussagen in den Medien punkten – von außen Politik machen sozusagen. Innerparteilich hatte sie spätestens ab 1989, als der Bremer Putschversuch am Parteivorsitzenden Kohl scheiterte, den festen Boden unter den Füßen verloren.
Daniela: Katharina, du hast dich in deiner Magisterarbeit mit Ursula von der Leyen beschäftigt. Wie verlief deren Einstieg in die Politik?
Katharina: Zwischen von der Leyen und Süssmuth gibt es einige interessante Parallelen. Auch Ursula von der Leyen wurde als (weibliche) Symbolfigur in die Politik geholt. Auch sie feierte sehr schnell Erfolge und genoss große mediale Aufmerksamkeit. Genau wie Rita Süssmuth gab es am Anfang ihrer Karriere Foto-Home-Stories, genauso schnell wie Süssmuth verzichtete sie dann aber auch wieder auf derartige mediale Zurschaustellungen. Der große Unterschied ist jedoch, dass von der Leyen mittlerweile eines der härtesten Ressorts überhaupt leitet, wohingegen Süssmuth relativ schnell auf ein repräsentatives Amt „abgeschoben“ wurde.
Daniela: Aber wieso gelang es Süssmuth nicht, ihre Position zu konsolidieren und an Macht zu gewinnen?
Johanna: Dies ist wohl auf die Strukturen in der CDU der 80er Jahre zurück zu führen. Zu dieser Zeit hatte dort eine junge Politikerin, die keine „Ochsentour“ hinter sich hatte und dazu auch noch moderne Auffassungen vertrat, einen schweren Stand. Süssmuth gelang es nicht, sich in der Partei eine eigene Hausmacht aufzubauen, ihr Einfluss beruhte hauptsächlich auf ihrer Popularität und Medienpräsenz. Gleichzeitig litt sie darunter, dass sie sich nicht von der Abhängigkeit ihres Förderers Helmut Kohl lösen konnte.
Daniela: Und wieso scheint es für Ursula von der Leyen heute leichter zu sein? Immerhin ist auch sie eine weibliche Seiteneinsteigerin!
Katharina: Ja, das stimmt, aber die CDU hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Von der Leyen profitiert dabei davon, dass das Konservative heute nur noch eine Strömung unter vielen in der Partei ist, ja dass die CDU fast vergessen zu haben scheint, wofür sie eigentlich steht. Süssmuth hingegen prallte noch stärker auf ein feststehendes konservatives Wertefundament. Gleichzeitig wurde von der Leyen von Christian Wulff in die Politik geholt und hat mit Angela Merkel eine starke Befürworterin, ohne jedoch allzu abhängig von den beiden zu wirken. Einerseits passen sie und Merkel in ihrem Politikstil perfekt zueinander. Beide scheinen wenig übrig zu haben für ideologische Befangenheiten, ebenso wenig für kumpelhafte Schulterklopfereien – diese höchst pragmatische und unpathetische Art des Politik-Machens rührt auch aus ihrer beider Herkunft aus den Naturwissenschaften. Andererseits jedoch ergänzt von der Leyen auch einige „Schwächen“ Merkels: Als Mutter vieler Kinder kompensiert sie das Bild der Kinderlosen, ihr nahezu permanentes Strahlen gleicht den mürrischen Wesenszug an Merkel aus. Zudem gelang es ihr – längst nicht immer im Einklang mit ihrer Partei – als Familienministerin einige zentrale, auch weichenstellende Reformen zu verabschieden. Dadurch verschaffte sie sich auch in der Partei und im Politikbetrieb Respekt und ist über diese handfesten Erfolge ein wenig unabhängiger vom Urteil der Medien geworden. Außerdem – und das hätte auch anders kommen können, wie viele Seiteneinsteigerkarrieren zeigen – ist es ihr offenbar gelungen, ihr Quereinsteiger-Image und -verhalten zu einem Großteil abzulegen und sich auch die ganz „klassischen“ Techniken des Politikbetriebes anzueignen.
Daniela: Es war also höchst unpassend, dass Süssmuth sich in den 80ern ausgerechnet die CDU für ihr politisches Wirken ausgesucht hat.
Johanna: Tatsächlich könnte man sagen, dass Rita Süssmuth oft den Eindruck vermittelte, eigentlich in der falschen Partei zu sein. In die Seilschaften rund um Helmut Kohl konnte sie ab einer bestimmten Ebene nicht mehr vordringen; ihre mediale Präsenz führte zu jeder Menge Neid in der eigenen Partei. Sowohl ihre Themen als auch ihr politischer Stil passten nicht recht zur CDU dieser Zeit. Ihre Bündnisse und Allianzen schmiedete Süssmuth häufig denn auch über Parteilinien hinweg, nicht selten gerade mit Politikerinnen.
Daniela: Also wäre sie in einer anderen Partei besser aufgehoben gewesen?
Johanna: Nicht unbedingt. Von ihrer Alleinstellung in der Partei profitierte sie. Ein wenig fühlte sie sich womöglich auch wohl in der Rolle der Provokateurin. Das sicherte ihr die so wichtige Medienpräsenz. Außerdem war beiden Politikerinnen gemein, dass sie Politik aus ihrer persönlichen Erfahrung heraus machten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stand dabei an vorderster Stelle. Nicht zuletzt eigene persönliche Erfahrungen hatten sie motiviert, in die Politik zu gehen, ja die Gesellschaft zu verändern. Und durch ihren eigenen Stil und ihre Themensetzung nahmen beide eine Sonderstellung in ihrer Partei ein. Für Süssmuth führte dies noch zu einer Art parteipolitischen Scheiterns, denn diese Themen waren in den 80ern alles andere als Mainstream in der CDU. Von der Leyen jedoch kann heute von gewissen Veränderungen profitieren. Ihre politischen Erfolge wären 20 Jahre früher vermutlich bescheidener ausgefallen – ja vielleicht hätte ihre politische Karriere einen ähnlichen Verlauf genommen wie die Süssmuths.
Daniela: Und wie sieht diese Sonderstellung der Politikerinnen in der CDU aus?
Katharina: Auftreten und Programmatik beider Politikerinnen riefen in den Medien und in der eigenen Partei starke Gefühle hervor. Es geht hierbei gar nicht so sehr um die Frage, ob sie nun einen besonders „weiblichen“ Politikstil ausübten oder nicht. Sondern einfach darum, dass die bloße Präsenz zweier ambitionierter Politikerinnen mit teils weitreichenden Forderungen in dieser Partei offenbar nach wie vor – vor allem bei männlichen, konservativen Kollegen – geradezu allergische Reaktionen auslöst. Beide Frauen eckten und ecken nicht nur durch ihre Politik regelmäßig an, konnten es auch gewissermaßen „stilistisch“, d.h. was Auftreten und (Selbst)Inszenierung betrifft, oft niemandem recht machen. Inner- wie außerparteilich lauerten stets Kritiker. Gleichzeitig ist diese Rolle als „Paradiesvogel“ jedoch sowohl für die Partei als auch für die individuellen Karrieren von eminenter Wichtigkeit. In einer anderen Partei, in welche sie vielleicht vordergründig besser gepasst hätten, wären ihre Standpunkte und Ideen im Mainstream untergegangen, sie hätten sich echtem, sachlichen Protest stellen müssen, die Kritik wäre inhaltlich profunder gewesen. Ihre Rollen als Medienstars wären so nicht denkbar. Die CDU braucht Frauen wie von der Leyen und Süssmuth sogar, um die modernen Themen abzudecken, sie sind Symbolfiguren. Entsprechend muss das „Nicht-dazu-passen“ nicht zwangsläufig ein Nachteil sein.
Das Interview führte Daniela Kallinich.
Johanna Klatt und Katharina Rahlf sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt „Diesseits von Versäulung, Lagern und sozialmoralischen Milieus“. Daniela Kallinich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
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