Klaus Wowereit: Berlin hat sich selbst gewählt

[analysiert]: Frauke Schulz erläutert, warum Klaus Wowereit in Berlin eigentlich kaum zu schlagen war.

Natürlich: Die Grünen haben seit Jahresbeginn Rückenwind. Seitdem werden sie mit einem triumphalen – oder zumindest respektablen – Wahlergebnis nach dem nächsten belohnt. Auch für die Senatswahlen in Berlin wurden die Ziele dementsprechend hochgesteckt. Renate Künast bereitete sich ganz ernsthaft schon darauf vor, als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einzuziehen. Doch: Sie hatte offensichtlich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, nämlich ohne die Berliner – und ohne Klaus Wowereit.Wer Künast allein wegen des positiven Bundestrends ihrer Partei bereits als Wahlgewinnerin wähnte, lässt die Besonderheiten des deutschen Föderalismus außer Acht. Was für die Republik gilt, muss noch lange nicht für jedes Bundesland gelten und schon gar nicht für einen Stadtstaat. Viel weniger noch, wenn es sich dabei um Berlin handelt. Die horizontale Machtsegmentierung der Bundesrepublik schafft ausreichend Raum für lokale Charakteristika und regionale Sonderfälle, die sich in Landtagen, Senaten und Regierungen niederschlagen.

Insbesondere in den beiden deutschen Stadtstaaten und Metropolen Hamburg und Berlin hat sich immer wieder gezeigt, dass die bundespolitische Richtung nicht unbedingt dem Trend vor Ort entsprach: Schwarz-Grün war solch ein häretisches Experiment, das zwar letztlich im hanseatischen Mikrokosmos scheiterte. Dennoch: Immerhin war das exotische Bündnis überhaupt möglich. Das veranschaulicht, wie Landesparteien durchaus von der inhalts- und koalitionspolitischen Ausrichtung ihrer Pendants auf Bundesebene abweichen können.

Indessen hat sich in den metropolischen Stadtstaaten sogar ein eigenständiger Typus des Großstadtpolitikers herausgebildet. Mit den Ministerpräsidenten in Flächenstaaten wie Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern oder Industrieländern wie Nordrhein-Westfahlen oder Baden-Württemberg hat dieser Typ Regierungschef wenig gemein. Kaum jemand verkörperte diesen Kosmopoliten der Großstadt besser als Ole von Beust in Hamburg und Klaus Wowereit in Berlin. Ganz typisch ist: Wenn über sie gesprochen und geschrieben wird, gelten als Kontrastfolie nicht etwa die Stadtoberhäupter von Köln, Frankfurt oder München, stattdessen richtet sich der Blick auf andere schillernd-dynamische Metropolen wie London oder Paris.

Das Besondere an den Regenten dieser urbanen Weltzentren ist, dass sie sich ständig zwischen den auseinanderklaffenden Imperativen von Politik und Marketing bewegen. Sie sind Regierungschefs und Public-Affairs-Manager in Personalunion. Klaus Wowereit ist dafür ein gutes Beispiel. Bei jedem politischen Auftritt agiert er zugleich als inkarnierte Werbetafel seiner Stadt. Und er kann gar nicht anders: Seine Aufgabe als Regierender Bürgermeister besteht nicht etwa „nur“ darin, die Marschrichtung der Politik zu bestimmen und öffentliche Mittel zu verwalten, er ist vielmehr selbst zur Verkörperung der Hauptstadt geworden. Dabei repräsentiert er vor allem eines: Die spezifisch berlinerische Atmosphäre, die Vereinbarkeit nämlich von scheinbaren Gegensätzen im kiezverliebten soziokulturellen Schmelztiegel.

Wowereits größter machtpolitischer Vorteil ist, dass es ihm dabei gelingt, glaubwürdig und natürlich zu wirken. Die authentische Projektion des Hauptstadtflairs auf die eigene Person ist seine größte Stärke. Er steht – genau wie Berlin – für einen unkonventionellen Lebensentwurf und rotzigen Charme, für eine weltoffene Originalität in medienwirksamer Verpackung. Politisch lebt er von diesem Habitus des menschlichen Psychogramms „seiner“ Stadt. Im Grunde hat Berlin durch die Entscheidung für Wowereit wieder hauptsächlich sich selbst, das eigene Lebensgefühl gewählt. Kein Wunder also, dass das schlechte Abschneiden beispielsweise in bildungs- und wirtschaftspolitischen Fragen seiner Popularität kaum schaden kann. Die Quelle seiner Macht liegt anderswo.

Das gekonnte Auftreten als Berliner Original erwies sich auch in diesem Wahlkampf als enorme Triebkraft. Die Hauptstadt-SPD setzte konsequent auf das Konzept „Wowereit“: Statt etwa ganz konventionell sachpolitisch die rot-roten Errungenschaften der vergangenen Jahre herauszustellen, zielte der Slogan der Werbeplakate auf die psychisch-emotionale Ebene ab: „Berlin verstehen“, hieß es da scheinbar schlicht. Doch eben dieses empathische Einfühlen – ein tatsächlich hoch komplexes Unterfangen – machte sich Wowereit zum Anliegen, als er auf Wahlkampftour die verschiedenen Hauptstadtbezirke besuchte: möglichst vielen Menschen eine Identifikationsfläche bieten, Lokalkolorit zeigen – ein wenig „menscheln“, ganz viel „berlinern“ also. Es gelang ihm dabei, eine feine Mischung aus Verwurzelung und Modernität zu zeigen, aus Weltstadt-Glamour und Berliner Schnauze, die offenbar zwischen Spandau und Marzahn, von Pankow bis Neukölln als politische Strategie aufging.

Gegen diese Ausstrahlung anzukommen, war für jeden von Wowereits Konkurrenten die größte Hürde. Während der Regierende Bürgermeister ihnen sachpolitisch durchaus Angriffsfläche bot, konnte er sich doch auf sein Talent zur Volksnähe verlassen und auf den allgegenwärtigen Eindruck, dass er der einzige von ihnen war, der wie maßgeschneidert für die Hauptstadt schien.

Mit dem Bundestrend der SPD aber – den Parteioptimisten als positiv bezeichnen – hat sein Wahlsieg jedenfalls nichts zu tun. Und auch das bundesweite Hoch der Grünen konnte die Berliner Wahl entgegen einigen Erwartungen nicht maßgeblich beeinflussen. Zwar hat es ihnen wohl einige Prozent mehr als in den Vorjahren verschafft. Doch um einen Großstadtkosmopoliten wie Klaus Wowereit vom Thron zu stoßen, braucht es in einer Stadt wie Berlin doch etwas mehr.

Frauke Schulz ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.