„Kampf um die Straße“

[kommentiert]: Benjamin Mayer über die anstehenden Demonstrationen in Dresden als Teil der rechtsextremen Strategie.

Tausende Rechtsextreme werden im Rahmen der kommenden Demonstrationen in Dresden erwartet. Nicht immer waren rechtsextreme Demonstrationen so gut besucht. Denn vor 1990 war der deutsche Rechtsextremismus noch eher arm an Aktionsformen. Erst später übernahm er ein immer größeres Aktionsrepertoire von anderen sozialen Bewegungen. Insbesondere Demonstrationen gewannen so eine zentrale Bedeutung und wurden zur wichtigsten Aktionsform der  rechtsextreme Bewegung.

Nahmen in den siebziger und achtziger Jahren in der Regel noch weniger als 100 Personen an den selten stattfindenden Demonstrationen teil, änderte sich dies in den neunziger Jahren frappierend. Ein erster Höhepunkt wurde 1997 erreicht, als die neonazistische Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung 4.000 Menschen zählte. Veranstalter sind seitdem meist neonazistische Führungsfiguren oder die NPD.

Seit der Wahl von Udo Voigt zum Vorsitzenden der NPD 1996 hat sich die Partei gegenüber den neonazistischen Kameradschaften geöffnet. Das Verhältnis zwischen beiden Gruppen ist dabei ein instrumentelles: Die NPD profitiert vom Mobilisierungspotential des eher jugendlich geprägten neonazistischen Teils der extremen Rechten; die Kameradschaften können  vom Status der NPD als zugelassene Partei vor allem bei der Anmeldung von Demonstrationen profitieren. Auch das strategische Konzept der Partei hat dieser Entwicklung Rechnung getragen. Im Jargon der Szene wird der sog. „Kampf um die Straße“ heute als Aktionseinheit von Partei und „freien Kräften“ beschrieben. Der „Kampf um den  organisierten Willen“, welcher erst 2004 nach dem Bekanntgeben der „Volksfront von rechts“ als vierte Säule der Strategie hinzukam, ist hingegen als Versuch der Sammlung aller „nationalen Kräfte“ zu verstehen.

Dieses Zusammenspiel lässt sich auch an den Mobilisierungszahlen bei Demonstrationen ablesen. So finden die größten Demonstrationen nach wie vor zu Themen statt, welche in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen. Mittlerweile kann man von einer bewusst entwickelten und strategisch eingesetzten Demonstrationspolitik der rechtsextremen Bewegung sprechen. So wurde die Demonstration die wichtigste Aktionsform für die extreme Rechte in Deutschland.

Demonstrationen verfolgen dabei sowohl nach außen wie auch nach innen bestimmte Ziele. Nach außen versucht man sie als „politische Werbung“ zu nutzen und erhofft von ihnen eine Signalwirkung, um neuen Zulauf für die Bewegung zu gewinnen. Ein derartiger Effekt ist jedoch kaum zu erwarten, da es sich bei rechtsextremen Demonstrationen meist um recht geschlossene Veranstaltungen handelt, die sich kaum zur Rekrutierung neuer Sympathisanten eignen. Daneben ist es auch Ziel, die Medien zu einer Berichterstattung zu zwingen, um so die politischen Inhalte zu verbreiten. Deshalb ist eine reflektierte Berichterstattung über rechtsextreme Demonstrationen von großer Bedeutung, um eben diesen erhofften Effekt nicht zu befördern.

Außer zur politischen Selbstdarstellung dienen Demonstrationen immer auch dazu, die eigene Macht zu zeigen. Dies wird häufig durch ein militaristisches Vokabular untermalt. So rief auch der rechtsextreme Liedermacher Frank Rennicke den wartenden Neonazis 2010 in Dresden zu: „Es ist gerade ein Spiel der Mächte. Wir wollen mal sehen, wer stärker ist.“ Diese Bedeutung lässt sich auch an der Deklaration sogenannter „Frontstädte“ erkennen. Auf dem ersten Platz steht hier die niedersächsische Universitätsstadt Göttingen, der sogar eine eigene Homepage gewidmet wurde. Und auch in den strategischen Leitlinien der NPD heißt es in ähnlichem Duktus:

„Die NPD hat keine Probleme, mit solchen Gruppen [Skinheads] zusammenzuarbeiten, wenn sie bereit sind, als politische Soldaten zu denken und zu handeln.“

Auch für die „Bewegung“ selbst sind Demonstrationen unerlässlich. Sie dienen der permanenten Reproduktion einer kollektiven Identität, welche die rechtsextreme Bewegung benötigt, um sich zu stabilisieren. So heißt es in einem NPD-Strategiepapier:

„Ein anderer Aspekt, der bei der Durchführung von Demonstrationen wichtig ist, ist die Steigerung der Motivation der eigenen Anhängerschaft. Durch das Zusammenfinden einer größeren Gruppe von Menschen, die gemeinsam ihr Anliegen, ggf. auch gegen eine große Zahl von Störern, vorträgt, wird die vielfach vorhandene lokale Isolation durchbrochen, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Stärke entsteht.“

Das angestrebte Gemeinschaftsgefühl steigt mit der Höhe der Teilnehmerzahlen und mit der Präsenz an für die Bewegung symbolträchtigen Terminen und Orten, wozu auch der so genannte Trauermarsch von Dresden an den Jahrestagen der Bombardierung gezählt werden kann. Besonders für noch nicht fest in die Szene eingebundene Jugendliche aus dem aktionsorientierten Teil der rechtsextremen Bewegung können diese Veranstaltungen Teil der politischen Sozialisation werden und das rechtsextreme Weltbild – besonders die revisionistische Geschichtsumdeutung – weiter festigen und sie damit in der „Bewegung“ stärker verankern.

Das Gemeinschaftsgefühl wird dabei durch die Verwendung von Symbolen, Zeichen und das Rufen von Demo-Sprüchen verstärkt. Eine der ersten und bis heute wichtigsten Veranstaltungen ist der den nationalsozialistischen Verbrecher verherrlichende „Rudolf-Hess-Marsch“. Das bei diesen Veranstaltungen erreichte Gemeinschaftsgefühlt soll den eigenen Leuten zeigen, dass man sich von staatlichen Verboten und antifaschistischen Aktionen nicht einschüchtern lasse. So werden in Städten, in denen eine Demonstration der Rechtsextremen aufgrund des zivilgesellschaftlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger kaum möglich ist, gehäuft Veranstaltungen angemeldet. In einer Stellungnahme zur Demonstration in der „Frontstadt Göttingen“ heißt es 2006:

„Grund genug für uns, trotz aller Schikanen, Auflagen und Zwangsmaßnahmen nicht klein beizugeben. Die Versammlungsleitung hat auch am 28. Oktober 2006 wieder ganz deutlich zur  Sprache gebracht, dass wir so lange nach Göttingen kommen werden, bis die Versammlungs- und  Meinungsfreiheit für Andersdenkende auch dort wieder hergestellt ist.“

Es ist allerdings davon auszugehen, dass trotz dieser nachträglichen Reaktion eine verhinderte Demonstration eine ebenso herbe Enttäuschung hinterlässt, wie eine erfolgreich durchgeführte Veranstaltung Motivation für die Teilnehmer verspricht.

Insgesamt sind Veranstaltungen wie der revisionistische „Trauermarsch“ von Dresden also ein wichtiger Bestandteil, um die rechtsextreme Bewegung zu stabilisieren und auch in der Strategie der NPD fest verankert. Aus der Analyse der Bedeutung muss sich auch eine geeignete Gegenstrategie ableiten, wie man mit diesen Veranstaltungen umgeht. So wichtig die Demonstrationen für die Rechtsextremen sind, so wichtig ist auch das gemeinsame Setzen von Zeichen dagegen.

Benjamin Mayer ist Politikwissenschaftler. Dieser Text erschien auch auf den Blogs Störungsmelder und NPD-Blog.Info.