[kommentiert]: Teresa Nentwig hat die zentrale Wahlkampfveranstaltung der Göttinger FDP beobachtet.
Es war irgendwie ein passendes Bild: An einem Abend Anfang September 2013, der Hochsommer ist noch einmal zurückgekehrt, steht in der Göttinger Fußgängerzone ein gähnend leerer Wahlkampfstand der FDP. Der Kandidat für den Bundestag, Lutz Knopek, ist den vorbeiflanierenden Menschen mit dem Rücken zugewandt, unterhält sich nur mit seinen zwei Helfern, so als ob er mit den Bürgern gar nicht ins Gespräch kommen will. Vielleicht ist es einfach nur ein Zufall, aber symptomatisch ist diese Situation dennoch, denn bisher verläuft sein Wahlkampf äußerst schleppend.
Hingegen haben sich die meisten anderen Göttinger Bundestagskandidaten bislang mächtig ins Zeug gelegt, um bei den Wählerinnen und Wählern zu punkten. Vor allem der christdemokratische Kandidat Fritz Güntzler betreibt einen sehr aktiven Wahlkampf: Ständig stehen bei ihm Bürgergespräche oder Besuche, zum Beispiel von Unternehmen, auf dem Programm; hinzu kommen Veranstaltungen mit prominenten Politikern, darunter Norbert Lammert, Johanna Wanka und sogar Angela Merkel. Sie alle konnte Güntzler für Auftritte in Göttingen oder der nahen Region gewinnen.
Schaut man sich in Deutschland um, bieten auch die Liberalen während des Wahlkampfes naturgemäß viel Prominenz auf: Ob Rainer Brüderle, Philipp Rösler, Guido Westerwelle, Dirk Niebel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Christian Lindner oder Daniel Bahr – in praktisch allen großen Städten finden derzeit Wahlkundgebungen mit einem, zwei oder sogar auch drei freidemokratischen Spitzenpolitikern statt. Nur in Göttingen nicht. Zumindest nicht so richtig.
Möchte man eine Erklärung hierfür finden, scheint man um Lutz Knopek nicht herumzukommen. Vor vier Jahren war er – für ihn selbst völlig überraschend – in den Bundestag eingezogen. Damals hatte er auf Listenplatz neun gestanden und konnte dank des guten Abschneidens der FDP nach Berlin gehen. Dieses Jahr jedoch ist die Situation eine völlig andere: Knopek, so berichtete das Handelsblatt im Februar dieses Jahres, sei einer der Politiker gewesen, die gegen die Euro-Krisenpolitik der schwarz-gelben Koalition gestimmt hätten, darunter gegen die Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Bei der Listenaufstellung sei er dann, so die Zeitung weiter, für seinen abweichlerischen Kurs „bestraft“ worden. Knopek erscheint hier als Opfer der Fraktionsdisziplin, als einer, der seine Ansichten auch gegen Widerstände und zulasten seiner Karriere verteidigt. Richtig ist in der Tat: Als Mitte November 2012 auf der Landesvertreterversammlung der FDP in Osnabrück eine Kampfabstimmung um den noch als sicher geltenden Listenplatz sieben stattfand, unterlag Knopek seiner Gegenkandidatin. Daraufhin verzichtete er völlig auf eine Listenabsicherung.
Foto: T. Nentwig
Auch Knopek selbst führte seinen Widerstand gegen den Euro-Rettungskurs der schwarz-gelben Koalition als Grund für sein Scheitern bei der Listenaufstellung an. Der FDP-Landevorsitzende Stefan Birkner habe offensichtlich einen anderen Standpunkt vertreten als Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen, „der keinen Zweifel daran gelassen hat, dass er es mit Blick auf die Bundestagswahl wichtig findet, die Euro-kritischen Abgeordneten einzubinden“. Mit einem solchen Ansatz hätten sich die niedersächsischen Liberalen entsprechend breit für die Bundestagswahl aufstellen können, so Knopek im Februar 2013 gegenüber dem Handelsblatt.
Die wirklichen Gründe dafür, dass Knopek bei der Landesvertreterversammlung in Osnabrück fallen gelassen wurde, dürften allerdings an anderer Stelle zu suchen sein – in seinem Wahlkreis. Der besagte Septemberabend lieferte dafür auch über das eingangs geschilderte Bild hinaus genug Anschauungsmaterial. Denn da fand, auf engstem Raum, in der hintersten Ecke des Lokals Bullerjahn der „Höhepunkt unseres Wahlkampfes in Göttingen und vielleicht auch in Südniedersachsen“ statt, wie Knopek es ausdrückte: FDP-Generalsekretär Patrick Döring, Landeschef Birkner und der Vorsitzende des FDP-Bezirksverbandes Südniedersachsen Christian Grascha, der auch im Niedersächsischen Landtag sitzt, waren zu dem sperrig klingenden Thema „Entlastung der Mitte. Solide Haushalte. Eine stabile Währung“ geladen. Also ausgerechnet Birkner, den Knopek für seinen angeblich mangelhaften Umgang mit den „Euro-Rebellen“ kritisiert hatte. Aber darüber fiel an diesem Abend natürlich kein Wort. Im Gegenteil: Man ging betont freundlich miteinander um.
In Gesprächen betonten mehrere FDP-Mitglieder, Knopek habe in Wirklichkeit viel weitgehender die Unterstützung gefehlt. Während der vier Jahre, die er im Bundestag saß, habe er nicht viel geleistet; er habe sich kaum bemüht; seine Arbeit lasse kaum Ergebnisse erkennen; das habe Knopek dann im letzten November bei der Aufstellung der Landesliste eben zu spüren bekommen. Demnach hat Knopek grundlegende Aufgaben eines Berufspolitikers vernachlässigt, vor allem sich im Vorfeld der Listenplatzvergabe um ausreichende Unterstützung zu bemühen. Mit seinem Abstimmungsverhalten in der Euro-Politik habe seine Niederlage bei der Listenplatzvergabe indessen nichts zu tun.
Und sein Scheitern auf der Landesvertreterversammlung wirkt sich nun unmittelbar auf seinen Wahlkampf in Göttingen aus. Von Knopek selbst hörte man bei der Veranstaltung außer ein paar einleitenden Worten und den üblichen Schlussformeln nichts. Gewiss, das dürfte beabsichtigt gewesen sein, um die auswärtigen Gäste nicht an den Rand zu drängen. Doch diejenigen, die gekommen waren, um zu erfahren, wofür Knopek eigentlich steht und warum man ihm die Erststimme geben sollte, erfuhren das nicht. Allerdings dürfte sich solch jemand auch nicht unter den Anwesenden befunden haben. Denn eines lässt sich ganz klar sagen: Bei den Gästen der Wahlkampfveranstaltung handelte es sich weitestgehend um die „Göttinger FDP unter sich“. Verglichen mit früher, als die Liberalen über viele Jahre sogar den Oberbürgermeister der Stadt Göttingen stellten, ist ihnen nicht mehr viel mehr als eine Ratsfrau geblieben. Doch einen harten Kern Liberaler gibt es in der ehemaligen FDP-Hochburg Göttingen noch immer. An diesem Abend schien man daher froh, bei einem Gläschen Wein wieder einmal beisammen sein zu können. Außenwirkung schien man hingegen nicht erzielen zu wollen. Laufpublikum schien unerwünscht. Um wieder in den Bundestag einziehen zu können, müsste Knopek den Wahlkreis Göttingen schon direkt gewinnen, was mehr als unwahrscheinlich ist. Wofür also auch Energien für die Werbung von Wählerstimmen aufbringen?
Fotos: T. Nentwig
Zunächst lauschte man der Rede Graschas, der – erwartungsgemäß – mit der Politik der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen hart ins Gericht ging. Von den Gymnasien, die Rot-Grün „sterben“ lasse, über „verdiente Polizeipräsidenten“, die „eiskalt“ ausgetauscht würden, und eine Integrationsbeauftragte, die zwar ehrenamtlich tätig sei, aber einen eigenen „Mitarbeiterstab“ beschäftige, bis zu einem – nunmehr ehemaligen – Staatssekretär Paschedag: Überall zeige sich, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften. Graschas unmissverständliche Schlussfolgerung lautete dann auch: 198 Tage hätten gezeigt, dass Rot-Grün Niedersachsen nicht regieren könne. Und deshalb könne Rot-Grün auch Deutschland nicht regieren, weshalb am 22. September Schwarz-Gelb an der Macht bleiben müsse.
Nachdem Stefan Birkner eine inhaltlich ähnliche Rede wie Grascha gehalten hatte, war Generalsekretär Döring an der Reihe und sorgte mit seinem Auftritt für den Höhepunkt der Veranstaltung: In einem polternden, an Westerwelle erinnernden Stil sprach er unter anderem von denjenigen, die jeden Morgen aufstehen und arbeiten gehen. Im TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück hätten genau sie gefehlt. Die FDP jedoch stehe ganz an der Seite der Arbeitnehmer. Am Ende seiner lautstarken, frei vorgetragenen Rede beklagte Döring den gegenwärtigen „Tugendfuror“ – in Form des „Veggie Days“, des Anbauverbots von Weihnachtsbäumen oder, wie jetzt in Göttingen geplant, der Gestaltungsrichtlinien für die Sonnenschirme und Möbel der Außengastronomie in der Innenstadt. Döring kritisierte in diesem Zusammenhang einen „Missbrauch von Politik“ und forderte, unter tosendem Applaus, eine „freie Gesellschaft“.
Die Seele so gestreichelt, entschwanden die Göttinger Freidemokratinnen und Freidemokraten in die laue Spätsommernacht. Und Lutz Knopek dürfte froh gewesen sein, diese Veranstaltung überstanden zu haben. Und bald auch den gesamten Wahlkampf. Viele Tage verbleiben nicht mehr.
Dr. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratieforschung.
Foto 1: Irgendwie schien es so, als ob die Göttinger FDP im neuen Bundestag keine Stimme mehr haben soll – als Christian Grascha und Stefan Birkner sprachen, ging das Mikrofon immer wieder aus. Patrick Döring verzichtete deshalb von vorneherein auf das widerspenstige Mikro. Das brauchte er auch nicht, so sehr wie er sich in Rage redete.
Foto 2: Eigentlich ein wirklich schöner Ort – die Traditionsgaststätte Bullerjahn im Keller des Alten Rathauses. Für die zentrale Wahlkampfveranstaltung der Göttinger FDP vor der Bundestagswahl aber eigentlich denkbar ungeeignet.
Foto 3: Auf dem Platz vor dem Alten Rathaus in Göttingen wird derzeit kräftig gebaut. Das hat die FDP genutzt, um ein paar Fähnchen auf dem Bauschutt zu positionieren. Gelingt es den Liberalen am 22. September nicht, in den Bundestag einzuziehen, dürften sie selbst vor einer großen Baustelle stehen.
Foto 4: Wahlkampf im kleinen Kreis – Christian Grascha, Patrick Döring, Stefan Birkner und Lutz Knopek (von links). Der Herr ganz rechts ist unbekannt.