„FC Steinbrück“ gegen „Turbine Merkel“

[kommentiert]: Bonnie Pülm und Jöran Klatt über die Popularisierung des Politischen im TV

Politik sei „eine ernste Sache“[1], kritisiert der Freitag-Chefredakteur Jakob Augstein die zunehmende Popularisierung der Politik im Fernsehen, für die er Stephan Raabs Engagement als Moderator des jüngsten TV-Duells zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für symptomatisch hält. Der Chefredakteur des Hauptstadtbüros der Bild, Nikolaus Blome, dagegen sieht in der Inszenierung eine Notwendigkeit, um den Bürger/die Bürgerin für Politik zu begeistern oder auch Verständnis für deren Komplexität zu erzeugen. Politik dürfe nicht nur „erklärt“, sondern müsse auch „erzählt“ werden, so Blome.[2] Doch was bedeutet es nun, wenn der Wahlkampf 2013 zum Event wird und wer hat ihn dazu gemacht?

Bereits die Nachrichten im Vorfeld des TV-Duells bemühten eingängige Metaphern aus der Welt des Fußballs. So platzierten sich die Kommentatoren der Sender in der „Duell-Arena“ am „Spielfeldrand“, beobachteten „Fanclubs“, welche sich im „SPD-Fanblock“ zur Unterstützung ihres Kandidaten aufstellten, und kündigten „Spielanalysen“ direkt nach „Spielende“ an. Auch die zahlreichen Kommentare, Analysen und Diskussionen im Anschluss waren von Bildern aus dem Fußballkosmos durchzogen, sodass Interpretationen unter den Fragestellungen „Wer war in besserer Form?“, „Wer hat von hinten mehr gegrätscht?“ und „Wer konnte die Fans mehr hinter sich versammeln?“ abgehandelt wurden. Der TV-Dreikampf am folgenden Tag wurde wiederum zum „Rückspiel“ erklärt.

Derartige Metaphern sollen Spannung und Emotionalität erzeugen, welche die Politik aus sich heraus scheinbar nicht (mehr) zu generieren vermag. Und das überkomplexe Feld der Politik soll verständlich und lebensweltnah für die Zuschauerinnen und Zuschauer reduziert und aufbereitet werden, zudem gilt es, dem mitunter als spröde empfundenen deutschen Wahlkampf mehr Lebendigkeit einzuhauchen. Der Fußball als Entertainment-Event dient als Vorlage einer vermeintlich zeitgerechten Inszenierung von Politik.

Dabei ist eine am Geist der jeweiligen Gegenwart orientierte Metaphorik in der Politik kein Novum unserer Zeit. Bereits 1911 beobachtete der Soziologe Robert Michels aufmerksam, dass die Sprache, in der Parteien und ihre Kommentatoren sich ausdrückten, von einer Metaphorik des Krieges durchzogen war, da bevorzugt Termini wie „Kampfesorganisationen“ oder „Rüstung“ verwendet wurden.[3] Indes ist diese vom Militär geprägte Zeit des langen 19. Jahrhunderts, mit der das Politische verbunden war, nicht mehr die unsere. Die Alltagswelt der Postmoderne ist weniger von einer kriegerischen Bedrohung von Leib und Leben geprägt als von dem Streben nach Genuss und Entertainment.[4]

Da das Militär unsere Gesellschaft (glücklicherweise) also nicht mehr im herkömmlichen Maße prägt, entspricht auch die Verwendung von Kriegsmetaphorik im gegenwärtigen Diskurs nicht länger unserer Mentalität. Daher muss sich das Politische, um die Sprache von einst für heute nochmal zu bemühen, neu formieren, muss dafür erstens rhetorisch aufrüsten, zweitens mit einem neuen Arsenal an medialer Professionalität reagieren und drittens die Reihen schließen, was bedeutet, verstärkt auf Außenwirkungen zu achten, geschlossener zu agieren und nur noch das in das Säurebad der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, was dort gewünschte und geplante Wirkungen erzielen wird. Pessimistisch äußern sich Seeßlen und Metz, die Wahlwerbung als eine „demokratische Blödmaschine“ bezeichnen, zu diesem Zustand: „Wie frei eine Wahl ist, wenn sie von Meinungsumfragen, Werbepsychologen, Wahlkampfstrategen und demographischen Expertisen begleitet ist, ist äußerst fraglich.“[5]

Eine wirklich souveräne Meinungsbildung wird so erschwert, denn „in der Realität der Wahlwerbung dominieren zunehmend Scheinkampagnen […]. […] Argumentation tritt allenfalls noch in Form von verkürzter Scheinargumentation auf“, so zumindest der Sprachwissenschaftler Christian Efing über die Entwicklung von Wahlkämpfen. Oft sei in ihnen das Ziel nicht Information, sondern Deformation. „Der Befehlston, die monumentalen Wort- und Satzgebilde, das Bearbeiten des Adressaten ‚mit dem Stakkato rhetorischer Wiederholungen und mit überladenen Bildern und Metaphern‘ stellt eine Rhetorik dar, die ‚bewußt nicht informieren [will], sie will auch nicht (im üblichen Sinne) überreden oder überzeugen; sie will überwältigen, und das im psychischen wie physischen Sinn.“[6]

Doch diese Entwicklung ist weder einer Politik der Täuschungsabsicht, dem hedonistischen Zeitgeist oder den Medien alleine vorzuwerfen, sondern eben drei sich gegenseitig verstärkenden Faktoren. Nichtsdestotrotz sind es die Medien, die hierbei mehr als nur eine vermeintliche Mittlerfunktion zwischen Politikern und Bevölkerung einnehmen: Sie legen die Spielregeln fest. Diese bestehen heute in einer Gleichzeitigkeit von Netz-Partizipation und einer Bevormundung in eventmäßig aufgebauschten TV-Duellen. Via Internet oder im Studio, dort vertreten durch „statistisch repräsentativ Ausgesuchte“, dürfen die Zuschauer als „Normalos“ und Realitätslieferanten auf die Stars der Politik treffen. Diese müssen sich in entertainmentorientierten Polit-Gameshows „Härtetests“ unterziehen, die dann darin bestehen, dass sie in Teams Tabu-Spielchen mit dem Publikum spielen müssen. Marietta Slomkas „Wie geht’s, Deutschland?“-Format[7] erinnert frappierend an Jürgen von der Lippes Show „Geld oder Liebe“ aus den 1990er Jahren.

Vor allem im Rahmen des Duells haben dessen Organisatoren gezeigt, welche Auffassung sie von ihren Zuschauern haben: der Vorstellung vom mündigen Bürger entspricht sie kaum. Das Duell wurde gerahmt von Analysen und Vorberichterstattungen; das Rohmaterial, der Dialog selbst, wurde gekocht, zerstückelt und geriet aus dem eigentlichen Fokus. Nach dem Schlagabtausch waren es Interpretationen, die der Meinungsbildung des Zuschauers vorgeschaltet wurden und wenig Raum für eine eigenständige Reflexion der Debatte ließen. Das Drumherum der technokratischen Wahrheitsfindung tritt so an die Stelle der Meinungsbildung des Einzelnen. Mittels Zeitmessungen und Faktenchecks wurden das Vor-, Nach- und auch Zwischenspiel unterfüttert von einer permanenten Überwältigung der Politik und des Bürgers durch eine mediale Einrahmung in den Duktus der Präzision, der Mess- und Überprüfbarkeit.

Was im TV-Duell von der Hinterbühne in die Öffentlichkeit geholt wurde, geschieht im Zeitalter von Twitter und Facebook per Hashtag, Tweet und Postszeitecht. Denn das Smartphone ist nicht nur Medium der Manipulation von oben, nicht nur der Big Brother, durch den die Politik zu uns durchdringt, uns überwacht und einflüstert, sondern auch das technologische Bajonett des Bürgers im 21. Jahrhundert, das eben Geschwindigkeit und Öffentlichkeit von unten aktiviert. Man braucht nicht den direktdemokratischen Utopien der Technik-Begeisterten recht zu geben, um den Zweifeln des Politologen Ivan Krastev zuzustimmen, dass das Vertrauen in die Politik immer schwieriger wird, je selbstverständlicher die unmittelbare Rückwirkung und Kontrolle geraten, und dass wir tatsächlich George Orwells Dystopie entfesselt hätten – nur eben in umgekehrter Form.[8]

Doch kontrolliert werden letztendlich beide: Die Macht der Medien und des geregelten Formats mag den Politiker bannen, aber ob das automatisch dem Souverän zu größerer Macht – gar zu mehr Demokratie – verhilft, ist fraglich. Denn aus der Arena wird ein Zirkus der gegenseitigen Bevormundung. Das Ideal einer objektiven Wahrheitsfindung unterwandert das eines politisierten Dialogs und der Meinungsbildung. Die PolitikerInnen wiederum, die sich dem Duell unterwerfen, haben Regeln und Interpretationen zu folgen, anstatt selbst welche zu setzen. Wie das Smartphone das Kneipengespräch, so verändert der „Faktencheck“ den Nimbus der Volksvertreter. Das Vertrauen in ihre Fähigkeiten wird dadurch kaum steigen.

Bonnie Pülm und Jöran Klatt arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1]Augstein, Jakob: Die Raab-Republik, in: SPON, 18.2.2013, online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/debatte-um-stefan-raab-als-moderator-im-tv-duell-der-kanzlerkandidaten-a-883972.html.

[3]Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Leipzig 1911, S. 39f.

[4] Vgl. Žižek, Slavoj; Born, Nikolas: Auf verlorenem Posten, Frankfurt am Main 12008, S. 92.

[5] Metz, Markus; Seeßlen, Georg: Blöd-Maschinen. Die Fabrikation der Stupidität, Frankfurt am Main, 12010, S. 642f.

[6]Efing, Christian: Rhetorik in der Demokratie. Argumentation und Persuasion in politischer (Wahl-)werbung, in: Kilian, Jörg (Hg.): Sprache und Politik. Deutsch im demokratischen Staat, Mannheim 2005, S. 222–240, hier: S. 225ff.

[7] Gesendet am 3.9.2013 um 20.15 im ZDF.

[8] Krastev, Ivan (2013): The transparency delusion. Online verfügbar unter http://www.eurozine.com/pdf/2013-02-01-krastev-en.pdf, zuletzt aktualisiert am 18.02.2013, zuletzt geprüft am 18.02.2013.