Grenzgänger zwischen Wirtschaft und Politik

[nachgefragt:] Robert Lorenz über Siegfried Balke

Wer eigentlich war Siegfried Balke?

Nachdem er etliche Jahre als Betriebschemiker in diversen Fabriken Aspirin hergestellt hatte, stieg er in der Umbruchphase nach 1945 in die westdeutsche Unternehmerelite auf. Zugleich rotierte er zwischen Politik und Wirtschaft. In Bayern stand er an der Spitze des Chemieverbandes und war als Lobbyist in die Parteienfinanzierung verwickelt. Dem jungen Franz Josef Strauß überwies er in den frühen 1950er Jahren im Tausch für politischen Einfluss großzügige Beträge aus dem Unternehmerlager. 1953 ging er, von Strauß protegiert, als Agent einiger Wirtschaftsverbände in die Politik, um als Bundespostminister ohne den Umweg über die Lobby unmittelbar am Kabinettstisch unternehmerfreundliche Entscheidungen zu treffen – mit dieser optimistischen Hoffnung trugen sich jedenfalls Balke und seine Mitstreiter. Als Strauß 1962 durch die „Spiegel“-Affäre einen heftigen Rückschlag erlitt, flog auch dessen Günstling Balke aus der Regierung. Obgleich er bis 1969 Bundestagsabgeordneter blieb, wechselte er zurück in die Wirtschaft und avancierte 1964 als Hanns Martin Schleyers Vor-Vorgänger zum Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände. Bei Balke handelt es sich somit um einen Akteur, der gleichermaßen in Politik und Wirtschaft der 1950er Jahre in wichtigen Positionen mitmischte.

Was hat ihn für dich interessant gemacht?

Siegfried Balke bekleidete Spitzenämter in zwei völlig unterschiedlichen Sektoren: Wirtschaft und Politik. Eine solche „cross-over“-Karriere ist in der Bundesrepublik höchst selten und für die Analyse des Wesens von politischen Seiteneinsteigern mutmaßlich äußerst erkenntnisreich. Außerdem spielte er eine dubiose Rolle in einer frühen Phase der Karriere von Franz Josef Strauß. Balke vermittelte ihm viel Geld aus der Wirtschaft, über das „FJS“ nach Belieben verfügen durfte, bezeichnete sich zuweilen selbstironisch als dessen „Finanzminister“. Und schließlich erschien der bisherige Kenntnisstand über Balkes bemerkenswerte Karriere im Hinblick auf dessen Rang in Politik und Wirtschaft als ziemlich unangemessen – in kaum einem Personenregister der einschlägigen Bücher zur Ära Adenauer war sein Name vermerkt, so gut wie nie tauchte er in den unzähligen Darstellungen auf.

Und warum ist er vielen so unbekannt?

Kaiser, Könige und Kanzler verstanden sich im Verlauf der Geschichte stets gut darauf, durch diverse Maßnahmen eine dauerhafte Erinnerung zu erreichen. Waren es in der Antike opulente Tätigkeitsberichte oder monumentale Bauten, so dokumentierten die „großen“ Politiker der Bundesrepublik ihren gewünschten Stellenwert in Interviews, Memoiren oder mit siegreichen Machtkämpfen, die sie aufsehenerregend in der Öffentlichkeit bestritten. Balke allerdings verzichtete auf ein solches Management von Reminiszenz. Er verfasste keine autobiografischen Schriften, inszenierte seine politische Arbeit nicht spektakulär in der Öffentlichkeit und versäumte überdies die fortwährende Verknüpfung seines Namens mit den Ergebnissen seines Schaffens. Außerdem verlief sein Leben erstaunlich skandalfrei. Zwar war er in eine mehr als dubiosen Form von Parteienfinanzierung verwickelt, doch handelten die diesbezüglichen Erzählungen stets von Franz Josef Strauß, dem prominenten Geldempfänger, nicht aber von Balke, einem von mehreren Mittelsmännern.

Wo lagen seine Stärken, was zeichnete ihn besonders aus?

Für seine politischen Ämter schien Balke ideal qualifiziert zu sein. Als betriebswirtschaftlich versierter Manager an der Spitze des Bundespostministeriums konnte man in ihm 1953 den richtigen Mann sehen, um die finanziell marode Behörde Bundespost wieder auf Vordermann zu bringen. Balke rationalisierte Abläufe, gewichtete die Portopreise neu und modernisierte den technischen Apparat. Er bereiste die USA und brachte Innovationen mit, die er dort beobachtet hatte – so den Hausbriefkasten, der Postboten seither die mühsamen Wege durch die bundesdeutschen Treppenhäuser erspart. Für das Atomministerium, das er 1956 übernahm und in dem er eine westdeutsche Kernenergiewirtschaft aufzubauen hatte, qualifizierte ihn neben seinen wirtschaftspolitischen Kenntnissen der naturwissenschaftliche Sachverstand, über den er als promovierter Chemiker verfügte. Sowohl als Post- wie auch als Atomminister bewegte sich Balke zudem unter seinesgleichen: Konzernlenkern wie Karl Winnacker von der Hoechst AG und Wissenschaftlern wie dem Nuklearforscher Otto Hahn. Soweit schien Balke das faszinierende Versprechen politischer Seiteneinsteiger, die Politik mit sachgerechtem Wissen aus außerpolitischen Sphären zu bereichern, nahezu idealtypisch erfüllen zu können.

Doch Balke scheiterte, warum?

Dass es dazu freilich nicht kam, lag wiederum in seiner politikfernen Herkunft, seinem Quereinsteigerwesen, begründet. Denn Balke hatte zwar eine genaue Vorstellung, welche politischen Entscheidungen zu treffen waren. Doch fehlte ihm beinahe jegliche Technik, seine Absichten auch zu verwirklichen. Die für Politiker ureigenen Fertigkeiten, Macht zu gewinnen und Statusabsicherung zu betreiben, den Tücken demokratischer Mehrheitsfindung ebenso zu trotzen wie allerorten lauernden Rivalen, waren bei dem Seiteneinsteiger Balke fatal unterentwickelt. Viele seiner Vorhaben scheiterten deshalb – ungeachtet ihrer konzeptionellen Qualität. Auch wurde er Opfer seiner Parteifreunde, die ihn 1962 während der Koalitionsverhandlungen zugunsten ihrer eigenen Karrieren aus dem Ministeramt stürzten und zum einfachen Abgeordneten degradierten.

Welchen Wert für die politische Kultur haben Seiteneinsteiger wie Siegfried Balke?

Seiteneinsteiger werden in regelmäßigen Abständen als wirkungsvolles Heilmittel für eine von eintönigen Profipolitikern dominierte Politikwelt gepriesen. Die Kommentatoren des politischen Tagesgeschäfts versprechen sich von ihnen – stets im Kontrast zu dem Gros der politischen Elite – außergewöhnliche Expertise, gesteigerte Repräsentanz von sozialen Lebenswelten oder schlicht und ergreifend den frischen Wind exotischer Charaktere. Doch statt große Taten zu vollbringen, genügen Quereinsteiger nur selten den hochgesteckten Erwartungen, die sich medial vermittelt auch von Seiten der Bürger an sie richten. Das während der „Ochsentour“ im Zuge einer vieljährigen Parteikarriere erworbene Rüstzeug, das Berufspolitiker in den Fährnissen der Parteiendemokratie bestehen lässt, fehlt ihnen. Infolge dieser Verfahrensinkompetenz sinkt ihre Fähigkeit, politische Konzepte – mögen sie noch so ausgeklügelt und sinnvoll sein – im Umfeld von Parteitagsbeschlüssen, Richtlinienkompetenz und föderalistischer Vetostrukturen umzusetzen.

Sobald flüchtige Ressourcen wie die Gunst eines Förderers oder die öffentliche Beliebtheit versiegen, scheitern Seiteneinsteiger sehr schnell, wohingegen professionelle Politiker sich in solchen Fällen alternativ auf Netzwerke, eine Hausmacht oder ein Parteiamt stützen können. Und weil sie sich im Moment des Scheiterns nur zu gerne über „die“ Politiker und die selbstempfundene Unzulänglichkeit politischer Prozesse echauffieren, erleidet dabei häufig auch das Image der Politik Schaden.

Robert Lorenz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und beschäftigt sich unter anderem mit den Besonderheiten von Seiteneinsteigern in der Politik.

  • Robert Lorenz: Siegfried Balke. Grenzgänger zwischen Wirtschaft und Politik in der Ära Adenauer, Ibidem-Verlag 2010, 244 Seiten.
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