„Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln“

[analysiert]: Ann-Kathrin Labersweiler analysiert die politische Karriere von Joschka Fischer.

Waren Bündnis90/Die Grünen noch um die Jahrtausendwende ohne Joschka Fischer gar nicht denkbar, so braucht es heute, nach all den Triumphen seiner Partei, eine Sonntagsfrage, die ihn wieder ins Gespräch bringt: Am 17.04.2011 ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Emnid, dass, wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, Bündnis90/Die Grünen zusammen mit der SPD die Mehrheit stellen würden. Spannend daran ist, dass die SPD dann der Juniorpartner wäre. Auf die Frage, wer der beste Kanzlerkandidat der Grünen sei, antworteten die meisten Befragten mit „Joschka Fischer“. Fischers Dementi möglicher Ambitionen folgte prompt: „Ich fühle mich geehrt, dass man mir das zutraut. Aber das ist es dann auch. Eine Rückkehr des Joschka Fischer in die Politik ist ausgeschlossen.“ Am Ende seiner Amtszeit sagte Joschka Fischer über sein Außenminister-Dasein, dass er zwar keinen Tag im Amt missen wolle, weil es die spannendsten Jahre seiner politischen Zeit gewesen seien – dass er nun aber froh sei, dass es vorbei sei, und dass er gerne gehe. So übergab er dann auch das Amt an seinen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier mit den Worten: „Du hast jetzt dein Amt, und ich hab meine Freizeit.“

Die Freizeit des inzwischen 63-Jährigen und seit fast sechs Jahren Außenministers und Politikers a.D. gestaltet sich allerdings weit weniger abseits der großen internationalen Bühnen und fern jeder Öffentlichkeit, als dies sein so scheinbar leichtfallender Rückzug vermuten ließe. Auch wenn sich Fischer nach der verlorenen Wahl nicht, wie etwa Gerhard Schröder, an sein Amt klammerte, beschreibt er seine heutige Tätigkeit als Gründer der Consultingfirma „Joschka Fischer&Company“ doch mit den Worten: „Meine Beratung hier ist die Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln.“

Freilich liest sich das in der offiziellen Tätigkeitsbeschreibung durchaus anders, berät seine Firma doch Unternehmen „zu den Rahmenbedingungen internationaler Märkte, zukünftigen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie nachhaltigen Wachstumschancen“. Unter ihnen findet man namenhafte Autohersteller (BMW), einen Hersteller von Atomstrom (Siemens) und einen Betreiber von Atomkraft (RWE). Dazu betreut die Firma mit anderen das Projekt Nabucco, eine Pipeline für nichtrussisches Gas. Hat Joschka Fischer, der betont, mit diesen Firmen nur in selektiven Bereichen zu kooperieren, sechs Jahre nach Ende seiner Regierungszeit also wirklich endgültig mit der Politik abgeschlossen?

Nähert man sich als Außenstehender seinem bisherigem Leben, so fällt schnell auf, dass „Fischers Werdegang ein rein politischer [war], er lebte immer für und von der Politik“ – als einzige Ausnahme kann seine Zeit als Taxifahrer gelten.[1] Schon früh hat der Metzgerssohn Fischer das Gymnasium, ebenso eine Fotografenlehre abgebrochen. Schon lange vor der Gründung der Grünen engagierte sich Fischer in Frankfurt am Main politisch, freundete sich dort mit dem Studentenführer Daniel Cohn-Bendit an und besuchte Vorlesungen u.a. von Adorno und Habermas.

Als Außenminister holte ihn aus seiner Frankfurter Zeit sein Engagement in der militanten Gruppe „Revolutionärer Kampf“, mit der er sich an Demonstrationen und Straßenschlachten beteiligt hatte, wieder ein. Die Frage, ob ein Vizekanzler und Außenminister, der einmal Steine geworfen und Polizisten verprügelt habe, die Bundesrepublik angemessen repräsentieren könne, spaltete Jahre später die Nation. Doch noch vor Fischers Eintritt in die Partei Die Grünen hätten die Geschehnisse im deutschem Herbst 1977 nach eigenen Angaben einen „Illusionsverlust- und -abschleif“ bei ihm verursacht – und so letztlich zu einer Abkehr von direkter Gewalt und einem Bewusstseinswandel geführt.

Wie viele andere aus dieser Generation haben ihn sicherlich auch der Häuserkampf und die eigenen Erfahrungen aus der Sponti-Zeit in Frankfurt nachhaltig geprägt. Nicht zuletzt in den Diskussionsforen der Sponti-Bewegug eignete sich Fischer sein rhetorisches Geschick und seine argumentative Ausdauer an, welche ihm später als Minister zu Gute kamen. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass die Generationenprägung, also die stete Suche nach tieferem Sinn, in Verbindung mit seinen Fähigkeiten und Vorstellungen wichtiger für den Erfolg seiner Karriere waren, als die Strukturen seiner Partei, für die er ab 1983 im Bundestag oder im hessischen Landtag vertreten war.

Denn die neu gegründete Partei Die Grünen formte Fischer von Beginn an mit, so setzte er zum Beispiel dafür ein, dass das Rotationsprinzip der Bundestagsabgeordneten ein Ende fand und zählte zu den führenden Mitgliedern der zunehmend Ton angebenden „Realos“. Nach zwei kurzen, da vorzeitig beendeten, Amtszeiten als hessischer Minister für Umwelt und Energie und einigen innerparteilich heftig umstrittenen Grundsatzdebatten wurde Fischer im Oktober 1998 grüner Außenminister und Vizekanzler der rot-grünen Koalition unter Führung Gerhard Schröders.

Die Ironie des Schicksals wollte es, dass gerade er, mit seiner pazifistischen Vergangenheit, federführend beim ersten aktiven Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kosovo 1999 war. Mit der festen Überzeugung von „Nie wieder Ausschwitz“ rechtfertigte er einen Einsatz der NATO mit deutscher Beteiligung ohne völkerrechtliches Mandat nicht nur vor der deutschen Bevölkerung, sondern auch vor seiner, aus einer pazifistischen Tradition hervorgegangenen Partei: „Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen“, so Fischer 1999. Für diesen  Vergleich musste Joschka Fischer viel Kritik einstecken, erhielt aber von Teilen seiner Partei auch Rückendeckung für seine Politik.

Trotz all der politischen, nie aber opportunistischen wirkenden Neuausrichtungen – der Wandel vom unangepassten Rebell über den Turnschuhminister hin zum wuchtigen Staatsmann – avancierte Fischer schnell zu einem der national beliebtesten und international hochgeschätzten Politiker Deutschlands.

Auch sechs Jahre nach seiner aktiven Zeit mischt Fischer noch in der Politik mit. Neben seiner Beratertätigkeit äußert sich Fischer immer wieder gerne in der Öffentlichkeit zu seinen Nachfolgern oder ehemaligen Weggefährten. Ob Kritik am neuem Job des Altkanzlers Schröder, an Merkels Management der Eurokrise oder gleich der Vorwurf des Versagens ganz Europas: Ein wirklicher, endgültiger Abschied von der Politik oder gar ein Rückzug in die Rolle des Privatmanns sieht anders aus. Mit der Unterschrift unter den hessischen Koalitionsvertrag hat Fischer einst, nach eigener Aussage, seine Freiheit gegen Macht getauscht. Offen bleibt jedoch, ob er diese beiden Komponenten, Freiheit und Macht, vor seinem Übergang in die neue Rolle als Außenminister a.D. und Ex-Politiker zu gleichen Teilen zurücktauschen musste und wollte.

Ann-Kathrin Labersweiler ist Masterstudentin der Politikwissenschaften. Im Rahmen des Seminars “Politische Karrieren in Deutschland und Frankreich” hat sie sich mit der Karriere Joschka Fischers beschäftigt.

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[1] Michael Schwelien: Joschka Fischer. Eine Karriere. Hoffmann und Campe Verlag, 2000. S. 25