[analysiert]: Christian Woltering über die Enstehung und Entwicklung des Amtes des Generalsekretärs in der SPD.
Unter dem Jubel der Delegierten des Parteitages in Berlin wurde Franz Müntefering 1999 zum ersten Generalsekretär in der Geschichte der SPD gewählt. Damit schuf die SPD ein Amt, das in den bürgerlichen Parteien länger schon fester Bestandteil ihrer Parteiorganisationen war. Zuvor hatte die SPD das Amt des Parteiorganisators als „Bundesgeschäftsführer“ bezeichnet – und zwar aus gutem Grund. Warum wurde es aber damals notwendig, ein neues Amt zu schaffen? Und wie haben sich die Amtsträger in der Folgezeit bewährt?
Parteihistorisch betrachtet, gab es das Amt des Generalsekretärs seit den 1920er Jahren, zunächst vor allem in den kommunistischen Parteien. In der Nachkriegszeit waren es hingegen die bürgerlichen Parteien, die das Amt des Generalsekretärs als Parteigeschäftsführer oder Parteiorganisator einführten. In der FDP beispielsweise ist das Amt traditionsgemäß direkt neben dem Parteichef angesiedelt und mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, vor allem hinsichtlich Äußerungen in der Öffentlichkeit. Es gilt als Bewährungsprobe zumeist für junge, aufstrebende Politiker(-innen), denen, nach Bestehen, höhere Aufgaben in der Partei (z. B. Ministerämter) in Aussicht gestellt werden.
Wohlgemerkt, auch in der SPD gab es seit Jahrzehnten ein vergleichbares Amt: den Bundesgeschäftsführer. Der begriffliche Unterschied kam nicht von ungefähr: SPD-Fraktionschef Herbert Wehner postulierte über lange Zeit hinweg, in der SPD wäre das Amt des Generalsekretärs aufgrund der sprachlichen Nähe zu den kommunistischen Parteien unbotmäßig. „Bundesgeschäftsführer“ erschien da unverfänglicher, klang allerdings auch sehr nach der „alten“ SPD, nach der etwas verstaubten Parteiorganisation im Stile der Bonner SPD-Baracke. Auch Führungs- oder Aufstiegsanspruch war bei den Amtsträgern kaum zu erkennen: Malocher wie Hans-Jürgen Wischnewski oder Intellektuelle wie Peter Glotz prägten dieses Amt über Jahrzehnte hinweg.
Als 1999 das Amt des Generalsekretärs in der SPD auf Bundesebene eingeführt wurde, suchte man in erster Linie nach einer Möglichkeit, Franz Müntefering in exponierter Position in die Parteispitze zurück zu holen. Nachdem Gerhard Schröder den Parteivorsitz vom zurückgetretenen Oskar Lafontaine übernommen hatte, sehnte sich die verunsicherte Partei nach einer Integrationsfigur an der Spitze ihres Apparats. Der Generalsekretär sollte zwar protokollarisch hinter dem Parteivorsitzenden und seinen Stellvertretern stehen, praktisch aber war dem Inhaber des neu geschaffenen Amtes die Rolle des „Geschäftsführenden Vorsitzenden“ zugedacht worden. So sollte dieser zum einen die Geschäfte der Partei im Einvernehmen mit dem Parteivorsitzenden führen, zum anderen auch die Parteizentrale verwalten und die Organisation der Wahlkämpfe leiten. Damit stand er von seinen Aufgaben her in der Tradition der Bundesgeschäftsführer der SPD – der nun jedoch nicht abgeschafft wurde, sondern dem Generalsekretär unterstellt wurde.
Franz Müntefering brachte das richtige Rüstzeug für den Posten des Generalsekretärs mit: Er hatte nicht nur die Organisationsabläufe bis ins kleinste Detail verinnerlicht, sondern konnte mit seinem volkstribunenhaften Auftreten und seiner Fähigkeit, sowohl mit Spitzenpersonal aus Wirtschaft und Politik als auch mit den Menschen an der Basis sprechen zu können, überzeugen. Münterfering, in den 90er Jahren selbst schon einmal SPD-Bundesgeschäftsführer gewesen, bekam das Amt gewissermaßen auf den Leib geschneidert. Nach der Bundestagswahl 2002 trat er von dieser Position jedoch zurück, um an die Spitze der Bundestagsfraktion zu wechseln. Sein Nachfolger wurde Olaf Scholz.
Der zunächst als Topbesetzung gefeierte Hamburger hielt sich allerdings nur 17 Monate im Amt. In der kurzen Zeit gelang es ihm jedoch durch einige unglückliche Äußerungen weite Teile der Partei gegen sich aufzubringen; er entging am Ende nur hauchdünn einer Abwahl auf dem Parteitag. Scholz war zwar intellektuell versiert und verfügte über eine rasche Auffassungsgabe, dafür ging ihm die Fähigkeit ab, die Sprache der ‚kleinen Leute’ zu sprechen. Er wirkte in der Öffentlichkeit hölzern, spröde und arrogant. Ein Generalsekretär – das hat sein Misserfolg gezeigt – muss immer auch Integrationsfigur für die Basis der Partei sein.
Klaus Uwe Benneter, der daraufhin als Vertrauter Gerhard Schröders in das Amt gehievt wurde, konnte zwar gut mit den Menschen an der Basis umgehen und hatte ein enges vertrauensvolles Verhältnis zur Parteispitze, dafür fehlten ihm die konzeptionellen und organisatorischen Fähigkeiten, die das Amt schon qua Satzung voraussetzt. Benneter vermochte zu keinem Zeitpunkt besondere Akzente zu setzen oder ein individuelles Profil zu entwickeln. Als Generalsekretär wurde er eher belächelt.
Hubertus Heil, sein Nachfolger, war eine Art Sonderfall. Der Niedersachse konnte eine Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen vorweisen, die wichtig scheinen für dieses Amt. So zeigte er bei der Durchsetzung des neuen Grundsatzprogramms, dass er zum einen konzeptionelle Fähigkeiten besaß, es zum anderen aber auch verstand, mit den Menschen an der Basis zu kommunizieren. Außerdem wies er eine gewisse intellektuelle und persönliche Wendigkeit auf, die es ihm ermöglichte, sich auf neue Konstellationen an der Parteispitze einzustellen. Mit der Rückkehr Münteferings (an dessen Rücktritt Heil im Jahr 2005 nicht unbeteiligt war) in die Parteispitze wurde Heil jedoch von zentralen Bestandteilen seines eigentlichen Aufgabenbereiches entbunden und damit praktisch demontiert.
Andrea Nahles, die amtierende Generalsekretärin der SPD, hat es erst im zweiten Anlauf in das Amt geschafft. Im Oktober 2005 war Nahles schon einmal zur Wahl des Generalsekretärs angetreten. Der Kandidat des Parteichefs Franz Müntefering hieß damals Kajo Wasserhövel, bis zu diesem Zeitpunkt SPD-Bundesgeschäftsführer. In einer Kampfabstimmung setzte sich jedoch die zum linken Flügel zählende Andrea Nahles gegen Wasserhövel durch, woraufhin jedoch Parteichef Müntefering von seinem Amt zurücktrat. Nahles wurde in der Folge von Teilen der SPD heftig kritisiert, sodass sie an einem Festhalten ihrer Kandidatur verzichtete. Generalsekretär unter Parteichef Platzeck wurde Hubertus Heil, den Nahles dann wiederum 2009 im Amt beerbte.
Während Parteichef Gabriel seitdem die Öffentlichkeit sucht, beschränkt sich Nahles als Generalsekretärin vor allem auf die Arbeit „nach innen“. Diese Rollenverteilung erwies sich als geschickt, denn überzeugen konnte Nahles bisher bei ihren wenigen öffentlichen Auftritten nicht. Ihre Talkshow-Auftritte wirkten blass und fahrig. Doch auch innerparteilich vermochte es Nahles bisher kaum zu punkten. Beispielhaft sei hier ihre unglückliche Figur in der Debatte um den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin erwähnt. Nahles Bilanz als Generalsekretärin fällt bislang, so muss man konstatieren, eher schwach aus.
Abschließend stellt sich die durchaus legitime Frage, ob sich das Amt in seiner recht kurzen Vergangenheit bewährt hat oder nicht. Die Fakten sprechen dagegen: Die Amtsträger haben in der Vergangenheit für manche Kontroverse gesorgt, meist waren sie in innerparteiliche Konflikte, entweder mit ihrem Parteichef oder mit der Basis, verwickelt. Ein Instrument zur besseren Koordination jedenfalls – wie bei der Einführung verkündet – war der Generalsekretär zumindest eher selten.
Christian Woltering ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.