[analysiert]: Michael Freckmann über erfolglose organisatorische Modernisierungsversuche bei der FDP.
Im vergangenen Jahr lautete der Slogan „German Mut“, in diesem Jahr „Beta Republik Deutschland“. Auf ihren Parteitagen gebärdet sich die FDP modern; doch wer soll damit eigentlich angesprochen werden? Die jungen mobilen Bürgerlichen? Die Start-Up-Gründer, jungen Selbstständigen und globalen Trendsetter in den deutschen Metropolen? Gegenwärtig sind die stärksten Unterstützer der Partei jedenfalls die über Sechzigjährigen. Darüber hinaus sind die Freien Demokraten eine Partei der Akademiker und zunehmend für Hochgebildete. Welche Spannungen ergeben sich für die FDP aus dieser Situation?
Ein Blick auf den Bundesparteitag Ende April 2016 ist für diese Frage aufschlussreich. Dort wurden zwei Satzungsänderungsanträge beraten, die vom Bundesschatzmeister Hermann Otto Solms eingebracht worden waren. Weil viele Mitglieder ihre Beiträge nicht gezahlt hatten, stand zur Debatte, ob der Einzug der Mitgliedsbeiträge zukünftig von der Bundespartei und einem eigens einzurichtenden „Mitgliederservice“ gesteuert werden solle statt wie bisher von den Kreis- und Landesverbänden. Bei diesem Antrag ging es somit um die Frage der Föderalität. Daneben wurde auch das Mitgliederaufnahmeverfahren diskutiert. Die Idee war, die Mitgliedschaft automatisch zu gewähren, wenn der Vorstand nach Ablauf einer Frist nicht reagiert hat. Beide vom Bundesvorstand eingebrachten Anträge fielen letztlich durch.
Wirkt bei solcherlei organisatorischen Fragen sonst, insbesondere bei den Freidemokraten, auch immer der strukturelle Gegensatz zwischen Bundespartei und Landesverbänden, gilt dies für die FDP gegenwärtig nicht mehr so stark; denn eine Bundestagsfraktion als starkes Zentrum existiert nicht. Vielmehr war auffällig, dass sich eher Delegierte jüngeren und mittleren Alters für die Anträge aussprachen, weil sie sich davon eine „unkompliziertere“ und „effizientere“ Parteiarbeit versprachen. Ältere Liberale hingegen votierten für die Unabhängigkeit der einzelnen Parteiebenen, denn man wolle die Parteiarbeit „selbst bestimmen“.
Zu spüren war dieses Muster auch bei Beratungen zum internationalen Datenschutz. Ein eher jüngerer Teil der Parteitagsdelegierten plädierte dafür, den Datenverkehr und damit wirtschaftliche Belange nicht durch (Datenschutz-)Vorschriften zu „behindern“, die eher Älteren dafür, sich wegen des „Rechts auf Selbstbestimmung“ für Datenschutzbestimmungen einzusetzen. Dass beide Seiten diese Themen emotional austragen, zeigt eine Bemerkung eines Vertreters des Landesverbandes Bayern, der sich kritisch zum Umgang mit der Speicherung von Gesundheitsdaten äußerte und dabei von „Anfeindungen“ in der Debatte sprach. Die prominentesten Vertreter einer bürgerrechtlichen Strömung sind denn auch neben Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die über achtzig jährigen ehemaligen Minister Gerhart Baum und Burkhard Hirsch.
Ein eher bürgerliches Verständnis von Autonomie als persönliche Individualität, Selbstständigkeit nicht allein im ökonomischen Sinne, Sicherung der Privatsphäre und auf die Partei bezogen eine organisatorische Selbstverwaltung waren beim Parteitag auf der Seite vornehmlich älterer Delegierter zu finden. Dieses Bild entspricht klassischerweise dem Typus der Honoratiorenpartei, und damit dem eines Primats des Föderalismus vor jeglichen zentralistischen Gedanken. Diese lokalen Beharrungskräfte, die lange Zeit in der FDP über deren Sozialstruktur und Organisationsaufbau gewirkt haben, waren in den letzten Jahrzehnten durch eine immer stärker Einfluss nehmende Bundestagsfraktion, das zwischenzeitlich eigentliche Machtzentrum, und der Bundespartei abgeschwächt worden. Aktuell, ohne Vertretung im Bundestag, werden diese alten Muster jedoch wieder verstärkt sichtbar. Dem gegenüber steht ein auf diesem Parteitag eher von Jüngeren vertretenes Selbstverständnis, welches Autonomie mit wirtschaftlicher Effizienz und Rationalität abwägt und so die um sich greifende Ökonomisierung der Lebensverhältnisse auf die Parteiorganisation überträgt.
Weil die Delegierten mit dem (alt-)bürgerlichen Werteverständnis saturierter Unabhängigkeit in der Mehrheit waren, konnten sie sich bei den Satzungsänderungsversuchen durchsetzen. Obwohl die Partei einen Altersdurchschnitt von über fünfzig Jahren hat, die größten Wählergruppen über sechzig Jahre alt sind, muss die FDP allerdings auch Jüngere ansprechen, um sich für die Zukunft eine elektorale Basis zu sichern. Fraglich ist dann, ob mit einer anwachsenden jüngeren Generation diese Werteverständnisse in der FDP neu ausgelotet werden. Dieses Konfliktpotenzial mag in Bezug auf genuin wirtschaftspolitische Forderungen weniger ausgeprägt sein – auf die Parteiorganisation bezogen oder in Politikbereichen, in denen eine Ökonomisierung mit anderen Gütern abgewogen werden muss, wird es jedoch größeren Diskussionsbedarf geben.
Auf die Wählerschaft bezogen, betonte der Parteivorsitzende Christian Lindner, man wolle „allen eine Stimme geben, die sich voller Neugier auf die Zukunft freuen“. „Beta“ stehe für „Offenheit und Risikofreude“. Bei den vergangenen Landtagswahlen sind Wähler mit hoher Bildung die größten Unterstützer der Freien Demokraten gewesen. Auch sie haben demnach großes ökonomisches wie kulturelles Kapital. Der Anteil der FDP-Mitglieder mit Hochschulabschluss liegt bei 57 Prozent.[1] Von den Abgeordneten, die bei den nach der Bundestagswahl 2013 folgenden Landtagswahlen in die Parlamente eingezogen sind, haben 88 Prozent einen Hochschulabschluss und ein Drittel sind promoviert.[2] Liberale Abgeordnete verstehen sich, nach den Grünen, vor allen anderen Parteien als Teil einer Elite.[3] Bildungstitel zählen hier mehr, noch vor dem Anspruch einer breiten Partizipation liberal eingestellter Menschen.
Dass diese Bildungsstruktur verbreitert werden sollte, ist bislang nicht thematisiert worden. Daraus sprechen zwei Politikverständnisse, die auf dem Bundesparteitag an vielen Stellen beobachtet werden konnten: Einerseits arbeiten „Leistungsträger“ für ihresgleichen; deren Vertreter betonten regelmäßig, man wolle auf keinen Fall einer „Volkspartei“ ähnlich werden. Zweitens ist, eher an der Basis und v.a. in eher konservativ geprägten Landstrichen, zu hören, dass Politik für „den kleinen Mann“ gemacht werden solle. Hier bedürfe es wegen komplexer werdender Probleme einer „intelligenten Politik“, um sich verständlich zu machen. Beide Verständnisse sind elitär: Im ersten sind die „starken Schultern“ füreinander da, im zweiten machen die „Besten“ ganz meritokratisch Politik für die anderen.
Zusammengenommen spricht hieraus nicht das Bild einer breit aufgestellten liberalen Partei. Wenn die Jüngeren – und damit die Befürworter dieser Haltung – zunehmend an Einfluss gewinnen, mag dies möglicherweise eine zentrale Parteiführung erleichtern; aber es verengt die Partei thematisch, kulturell und generationell. Dies gilt auch für die Bildungsstruktur der Funktionäre. Heraus käme der Typus des akademisch-wirtschaftsbürgerlichen Parteifunktionärs in einer zunehmend zentralisierten Organisation.
Michael Freckmann ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. Klein, Markus: Wie sind die Parteien gesellschaftlich verwurzelt, in: Spier, Tim et al. (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, Wiesbaden 2011, S. 39–59, hier S. 47.
[2] In den anderen vor der Bundestagswahl 2013 bestehenden Fraktionen liegt der Anteil der Studierten bei über siebzig Prozent.
[3] Vgl. Vogel, Lars: Elite – das sind die Mächtigen: Selbstverständnis und Elitenkonzept der deutschen Abgeordneten, in: Aderhold, Jens (Hrsg.): Eliten und ihre Bedeutung in gesellschaftlichen Transformationsprozessen, Beiträge zur Sozialinnovation, Nr. 6, Berlin 2009.