[kommentiert]: Maximilian Blaeser über die Arbeit der Deutschen Tafel in der Flüchtlingskrise.
Brot mit Salz wird einen knurrenden Magen gut beruhigen Horaz
Der Flüchtlingsstrom der letzten Jahre hat nicht nur Länder und Gemeinden vor große Herausforderungen gestellt. Gerade zivilgesellschaftliche Organisationen haben in diesem Kontext die klaffende Lücke staatlicher Strukturen gefüllt. Und viele tun dies bis heute. Neben der Unterbringung der Geflüchteten und ihrer Integration in die Gesellschaft gilt es auch Grundbedürfnisse zu stillen, wie etwa die Versorgung mit Lebensmitteln. Das Verlangen, den knurrenden Magen zu beruhigen, wird als einer der Grundpfeiler der Maslow’schen Bedürfnispyramide angesehen. Jedoch ist ausreichendes, gesundes Essen nicht für alle Teile der deutschen Gesellschaft selbstverständlich. Hunger in der Überflussgesellschaft ist nicht nur ein Paradoxon. Er gehört zum Alltag von Bedürftigen und Geflüchteten in Deutschland. Für letztere ist die Deutsche Tafel eine Hilfe, den Alltag in der neuen Heimat zu bestreiten. Jedoch scheint für die Tafeln der Kundenzuwachs in den letzten zwei Jahren zu einer handfesten Herausforderung geworden zu sein. Während auf der einen Seite die Versorgung von Geflüchteten durch die Tafeln als selbstverständlich gilt, wird auf der anderen Seite vermehrt davon berichtet, dass einige Tafeln am Rande ihrer Kräfte operieren. Sie rationieren oder verhängen sogar Aufnahmestopps. „Das Ringen um die Reste wird härter“[1]. Wie also reagieren die Tafeln auf ihre neuen Kunden und welche sind dabei die drängendsten Herausforderungen?
Die Tafeln existieren seit 1993. Aus der Initiative Berliner Frauen, die durch das Sammeln einwandfreier, aus der Wertschöpfungskette aussortierter Lebensmittel und deren Verteilung an Bedürftige ein Zeichen gegen Verschwendung setzen wollten, ist laut eigener Aussage eine der größten sozialen Bewegungen entstanden.[2] Deren Ziel ist, Bedürftigen mit gespendeten Lebensmitteln ein Zubrot zu geben und sie finanziell zu entlasten. Seit 1995 sind die lokalen Tafeln im Bundesverband Deutsche Tafel e.V. organisiert.[3] Dieser versteht sich als die Interessenvertretung der lokalen Tafeln und ihrer Kunden; unter seinem Dach sind ca. 60.000 Ehrenamtliche aus über 900 Tafeln vereint, die ca. 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen versorgen.[4] Daneben übernimmt der Bundesverband eine Vielzahl an Aufgaben, wie z.B. die Öffentlichkeitsarbeit, die Sponsorensuche[5] und -pflege.
Abseits seines klassischen Themas, der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, positioniert sich der Bundesverband außerdem gegen Fremdenfeindlichkeit und tritt für eine pluralistische Gesellschaft ein. Ebenso werden klare Forderungen an die Flüchtlingspolitik gestellt: Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert, einen Flüchtlingsbeauftragten einzusetzen, Finanzierungshilfen[6] für die Tafeln bereitzustellen und Schulungen für Ehrenamtliche im Umgang mit Geflüchteten zu ermöglichen. Der Hintergrund: Die Tafeln sind zu einer vorrangigen Anlaufstelle für Flüchtlinge geworden. Eine Ad-Hoc-Umfrage des Bundesverbandes hat ergeben, dass angeblich 95,5 Prozent der Tafeln Geflüchtete unterstützen – bundesweit sind ca. 220.000 Geflüchtete Kunden der Tafeln.[7] Die Tafeln haben sich auf diese neuen Kunden eingestellt und entsprechend reagiert: Der Umfrage zufolge haben rund ein Viertel der Tafeln besondere Flüchtlingsprojekte initiiert[8]; und 62 Prozent der Tafeln haben angegeben, in der lokalen Flüchtlingshilfe vernetzt zu sein.[9] Ebenso existieren, auf Bundesebene, verschiedene Beratungs-, Hilfs- und Engagementmöglichkeiten. So bietet die Tafel-Akademie gGmbH, eine Tochter des Bundesverbandes, mit der Fachtagung „Flucht & Asyl“ eine Austausch- und Schulungsmöglichkeit für Tafelleitungen an.[10] Diese wird, in Kooperation mit der „Aktion Mensch“, durch ein Pilotprojekt ergänzt. Die Tafel-Akademie bietet hier Schulungen zu den Themen Flucht und Asyl oder Interkulturalität an und fokussiert die Integration Geflüchteter in die Tafelarbeit.[11]
Dennoch stehen die lokalen Tafeln vor großen Herausforderungen. So verweist die Umfrage darauf, dass die Tafeln im Arbeitsalltag etwa mit Verständigungsproblemen (87 Prozent) oder Lebensmittelengpässen (fünfzig Prozent) zu kämpfen haben.[12] In der Presse finden sich mehrere Beispiele für Tafeln, die einen Aufnahmestopp für Neukunden verhängt haben oder ihre Ausgabe rationieren.[13] Gerade Letzteres ist nicht zu unterschätzen; lautet doch eine gängige Kritik, dass Tafeln durch ihre uneinheitlichen Ressourcen eine Konkurrenz zwischen ihren Kunden schüfen.[14] Laut dem Bundesverband führten solche Engpässe bisher, entgegen der Pressemeinung[15], allerdings zu keinen ernsten Problemen; Jochen Brühl, der Bundesvorsitzende der Tafel, gab in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (EPD) an, dass ihm zwar keine gravierenden Probleme zwischen Geflüchteten und den Alteingesessen bekannt seien. Nichtsdestotrotz sei die Lage mehr als ernst. Manche Tafeln würden von massivem Zulauf berichten und der Umgang mit traumatisierten Kriegsflüchtlingen führe nicht selten dazu, dass die Ehrenamtlichen an ihre Belastungsgrenzen kämen. Die Politik, so das Plädoyer, dürfe die Zivilgesellschaft hier nicht allein lassen.[16]
Der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. und seine lokalen Mitglieder scheinen, betrachtet man diese Momentaufnahme, mit der Flüchtlingskrise den Umständen entsprechend zurechtzukommen und ihre altruistische Motivation beizubehalten: Sowohl auf lokaler wie auch nationaler Ebene sind die Tafeln aktiv geworden und haben auf die neuen Kunden reagiert. Insbesondere die Kooperation zwischen der „Aktion Mensch“ und der Tafel-Akademie ist hierfür ein Beleg. Dennoch: Die Berichterstattung über Tafeln, die vor enormen Herausforderungen (lokalen Lebensmittelengpässen, Verständigungsproblemen) kapitulieren, reißen nicht ab. Ein Extrembeispiel, das der relativen Stabilität andernorts völlig entgegenläuft, ist Wattenscheid: Wie kürzlich berichtet worden ist, eskaliert dort die Situation völlig: Von Verteilungskämpfen, Lebensmittelengpässen, Beleidigungen der Mitarbeiter und Trickbetrügern ist die Rede. Der Leiter der Tafel fühle sich vom Staat im Stich gelassen.[17]
Wie gesagt, hierbei handelt es sich um einen Extremfall. In anderen Städten – z.B. in Göttingen – würden die Kunden den Erfahrungen der Ehrenamtlichen zufolge viel Verständnis für die Arbeit der Tafel aufbringen und seien für deren Handeln dankbar – auch wenn es mal weniger zu essen gibt. Gleichwohl nimmt die Sorge der Ehrenamtlichen zu, wie auch die bereits zitierte Umfrage zeigt: Was ist jedoch, wenn sich solche Lebensmittelengpässe ausweiten? Was, wenn es dann doch zu Problemen zwischen Geflüchteten und Alteingesessenen kommt? Was ist, wenn die Ehrenamtlichen den Umgang mit Kriegsflüchtlingen nicht mehr bewältigen können? Und was ist, wenn aus dem vielfältigen Angebot der Tafeln wirklich nur noch Brot und Salz wird? Was wird dann aus den Tafeln, welche die Bundesregierung 2015 als „herausragendes Beispiel der Zivilgesellschaft“ und als „wichtige Ergänzung der vorhandenen staatlichen Sozialleistungen“[18] bezeichnet hat?
Warum waren Bund, Länder und Gemeinden bisher nicht in der Lage, die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer zu entlasten? Diese Frage stellt sich bei der Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsarbeit der Tafel. Zustände wie in Wattenscheid verdeutlichen, dass die Belastungen bei ehrenamtlichen Organisationen noch immer sehr groß sind und attestieren einen deutlichen Handlungsbedarf: Eine akademische Auseinandersetzung mit den ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern, egal welcher Couleur, erscheint nötig. Der Status Quo und aktuelle Probleme müssen klar benannt sowie von den entsprechenden politischen Institutionen angegangen werden. Denn der Altruismus des Ehrenamtes darf nicht Aufgrund fehlender Mittel zu einer Polarisierung derer führen, die auf Hilfe angewiesen sind.
Maximilian Blaeser war wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Vgl. Bringer, Reinhard: Flüchtlinge an den Tafeln. Das Ringen um die Reste wird härter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2016, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/einheimische-befuerchten-zu-kurz-zu-kommen-weil-tafeln-nun-auch-fluechtlinge-versorgen-14060938.html [eingesehen am 06.05.2016].
[2] Vgl. Deutsche Tafel e.V.: Die Tafeln – eine der größten sozialen Bewegungen unserer Zeit, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., URL: http://www.tafel.de/de/die-tafeln.html [eingesehen am 06.05.2016].
[3] Vgl. Deutsche Tafel e.V.: Geschichten der Tafeln in Deutschland, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., URL: http://www.tafel.de/de/die-tafeln/geschichte.html [eingesehen am 06.05.2016].
[4] Vgl. Deutsche Tafel e.V.: Zahlen & Fakten, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., URL: http://www.tafel.de/de/die-tafeln/zahlen-fakten.html [eingesehen am 06.05.2016]; vgl. Peters, Rolf-Herbert: Größte Tafel Deutschlands. Das untere der Gesellschaft, in: Der Stern, 29.05.2016, URL: http://www.stern.de/wirtschaft/die-tafeln–der-verteilungskampf-am-unteren-ende-der-gesellschaft-6871918.html [eingesehen am 29.05.2016]
[5] Firmen wie Rewe, Mercedes Benz oder Lidl sind seit Jahren Partner der Tafel.
[6] Gemeint sind hier Finanzmittel z.B. für Dolmetscher, Flüchtlingsbetreuer oder Koordinatoren zur lokalen Vernetzung; vgl. Deutsche Tafel e.V.: Lebensmittel retten, Bedürftigen helfen: Tafeln in Zeiten der Flüchtlingskrise, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., http://www.tafel.de/fileadmin/pdf/Charta/Forderungen_2015 [eingesehen am 06.05.2016]
[7] Vgl. Deutsche Tafel e.V.: Tafeln und Flüchtlinge. Ergebnisse der Ad-Hoc-Umfrage 2015. Berlin 2015. S. 1ff.
[8] So hat beispielsweise die Schwedter Tafel ein spezielles Begegnungscafé etabliert. vgl. Deutsche Tafel e.V.: Besuch bei der Schwedter Tafel, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., URL: http://www.tafel.de/de/news-detailseite/artikel/besuch-bei-der-tafel-in-schwedt.html [eingesehen am 06.05.2016];
[9] Auf Bundesebene wurde ein spezieller Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug etabliert.
[10] Vgl. Tafel-Akademie: Fachtagung Flucht und Asyl 2016, in: Tafel-Akademie gGmbH, URL: http://www.tafelakademie.de/projekte/fachtagung.html [eingesehen am 18.05.2016]
[11] Tafel-Akademie: Aktion Mensch & Tafel-Akademie, in: Tafel-Akademie gGmbH, URL:http://www.tafelakademie.de/projekte/aktion%20mensch/ [eingesehen am 09.06.2016
[12] Vgl. ebd.
[13] Hamburger Abendblatt: Zu wenig Spenden. Hamburger Tafel verhängt Aufnahmestopp wegen Flüchtlingen, Hamburger Abendblatt, 03.10.2015, URL: http://www.abendblatt.de/hamburg/hamburg-mitte/article205899729/Hamburger-Tafel-verhaengt-Aufnahmestopp-wegen-Fluechtlingen.html [eingesehen am 18.05.2016].
[14] Vgl. Selke, Stefan: Tafel und Gesellschaft. Soziologische Aspekte eines polymorphen Systems, In: Selke, Stefan: Tafeln in Deutschland. Aspekte einer sozialen Bewegung zwischen Nahrungsmittelumverteilung und Armutsintervention, Wiesbaden 2009,S. 15-47, hier S. 17ff..
[15] Vgl. Fischer, David: Die Tafeln, die Flüchtlinge und der Futterneid, in: Die Welt,03.11.15, URL: http://www.welt.de/regionales/nrw/article148386212/Die-Tafeln-die-Fluechtlinge-und-der-Futterneid.html [eingesehen am 14.06.2016]; vgl. Bringer, Reinhard: Flüchtlinge an den Tafeln. Das Ringen um die Reste wird härter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2016, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/einheimische-befuerchten-zu-kurz-zu-kommen-weil-tafeln-nun-auch-fluechtlinge-versorgen-14060938.html [eingesehen am 06.05.2016].
[16] Vgl. Deutsche Tafel e.V.: Tafel-Grundsätze, in: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., URL: http://www.tafel.de/de/die-tafeln/tafel-grundsaetze.html [eingesehen am 06.05.2016].
[17] Vgl. Peters, Rolf-Herbert: Größte Tafel Deutschlands. Das untere der Gesellschaft, in: Der Stern, 29.05.2016, URL: http://www.stern.de/wirtschaft/die-tafeln–der-verteilungskampf-am-unteren-ende-der-gesellschaft-6871918.html [eingesehen am 29.05.2016]
[18] Deutscher Bundestag: Bundestagsdrucksache 18/6011. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), u.A., der Fraktion DIE LINKE, Berlin 2015, S. 3.