Don’t tread on me!

[kommentiert]: Bonnie Pülm über die Rolle der Tea-Party-Bewegung bei den Kongresswahlen in den USA

„Don’t tread on me“ – „Reiz mich nicht“ lautet die Botschaft der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung, die auf Fahnen und Plakaten unter dem Bild einer Klapperschlange durch die Städte der USA getragen wird. Name und Symbol der Protestbewegung sind geschichtsträchtig: Die Klapperschlange verweist auf den Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft, der Name Tea Party auf den amerikanischen Protest von 1773 gegen die britische Steuerpolitik. Die Tea Party von 2009 protestierte gegen die milliardenschwere Bankenrettung, gegen den Versuch der Regierung, mit weiteren Millionen die Wirtschaft wieder anzukurbeln und gegen eine teure Gesundheitsreform. Innerhalb eines Jahres hat sich die Tea Party zu einem Sammelbecken verschiedener Gruppierungen von religiösen Rechten über Segregationisten und Rassisten bis zu paramilitärischen Gruppen entwickelt.

Umfragen zufolge gehören ihre Mitglieder zu den Besserverdienenden, sind besser ausgebildet, dominierend männlich und über 45 Jahre alt. Gemeinsam eint sie eine tiefe Abneigung gegenüber der Regierung, welche mitunter in Wut und Hass gipfelt. Dahinter steht die Angst vor einem zu regulativen Staat, der sich übermäßig stark in ihre privaten Angelegenheiten mischen könnte. Mehr noch: Die Skepsis der Amerikaner vor zu hoher staatlicher Kontrolle und zu großer zentralisierter Macht hat sich zu einer regelrechten Hysterie entwickelt, die mit Verschwörungstheorien vom sozialistischen Staatsumsturz aus den Reihen der erzkonservativen Sender wie FoxNews gespeist wird.

Dabei wissen die Anhänger der Tea Party nur, was sie definitiv nicht wollen: Sie sind gegen die Gesundheitsreform, gegen eine Reform des Finanzsektors, gegen zu viel staatliche Regulierung und staatliche Macht. „Reiz mich nicht!“ – dies ist eine Drohung, der Schlange nicht zu nahe zu kommen; eine Drohung gegen die Regierung, sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die als individuelle Freiheiten verstanden werden. Sicherlich, die Tea-Party-Anhänger wollen Obamas Reformen blockieren, den Staat zurückstutzen und vor allem die Steuern senken, aber konkrete Vorschläge für die Regierungspraxis haben sie kaum. Obamas Regierung hat den Fehler begangen, sich dies nicht rechtzeitig zunutze zu machen und die öffentliche Bühne den Hasstiraden der Rechten zu überlassen.

Trotz allem bleibt die Bewegung ohne eine einheitliche Organisation und Führungsfigur. Die Tea Party soll keine dritte Partei sein – dafür fehlen ihnen eine auch eine eigene Ideologie und eigene Ideen. Ihre Mitglieder wollen die Republikanische Partei reformieren – und das ist ihnen gelungen. Nach McCains gescheiterter Wahlkampagne im Jahr 2008 versank die Partei in Orientierungslosigkeit. Doch seitdem die Tea Party an Bedeutung gewonnen hat, ist die Partei weiter nach rechts gerückt. Prominente republikanische Gesichter identifizieren sich mit der Tea Party, allen voran versucht sich die ehemalige republikanische Vizepräsidenschaftskandidatin Sarah Palin als Ikone der Bewegung zu präsentieren. Nun ist aus dieser Konstellation eine Dynamik erwachsen, welche die Tea Party bei den Halbzeitwahlen in den Kongress katapultiert und der demokratischen Regierung einen herben Rückschlag beschert hat. Mithilfe der Wählermobilisierung durch die Tea Party haben die Republikaner bei den diesjährigen Kongresswahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen und Sitze im Senat dazugewonnen.

Obama hat die Nachricht verstanden, es war eine Abrechnung mit seiner Politik. Die Wähler nehmen dem Präsidenten besonders übel, dass er der Krise auf dem Arbeitsmarkt nicht höhere Priorität beigemessen hat. Doch obwohl das Land, insbesondere Palin und ihre Fans, bereits auf die Präsidentenwahlen 2012 schaut, können diese Kongresswahlen nicht als Vorwarnung für Obama gelesen werden. In der Geschichte der USA wurden neue Präsidenten bei ihren ersten Halbzeitwahlen fast immer abqualifiziert. Es gibt also noch Hoffnung für die Demokraten.

Immerhin bleibt der Senat in demokratischer Hand. Auch dies ist der Tea Party zu verdanken. In den Vorwahlen zogen es Tea-Party-Unterstützer vor, ihre eigenen Kandidaten gegen „Mainstream-Republikaner“ durchzusetzen. Aus taktischer Sicht ein großer Fehler, denn in Staaten wie Colorado, Nevada und Delaware hatten die republikanischen Kandidaten laut Umfragen den Sieg über ihre demokratischen Gegner bereits sicher. Doch durch die Aufstellung ultrakonservativer Kandidaten für die Republikanische Partei bei den Vorwahlen verschenkten sie ihre zuvor sicheren Sitze an die Demokraten: drei Staaten, drei Sitze. Damit wäre die schwache demokratische Mehrheit von 51 Sitzen gebrochen gewesen.

Trotz allem wird Obama die nächsten zwei Jahre noch mehr um einen Konsens kämpfen müssen. Der neue republikanische Haussprecher John Boehner hat eine Revision der Gesundheitsreform angekündigt. Mit der Mehrheit im Haus können die Republikaner die Regierung zum Stillstand bringen. Andererseits müssen auch die Republikaner den Konsens suchen, denn das Letzte, was das Land und seine desillusionierte Bevölkerung brauchen können, ist Stillstand. Außerdem könnten die Demokraten dann ihre Gegenspieler in zwei Jahren als Blockierer bei den Wählern auflaufen lassen.

Gleiches gilt für die Tea-Party-Abgeordneten: Soeben protestierten sie noch lautstark gegen die staatliche Macht – und nun finden sie sich in einem Amt wieder, in dem sie Entscheidungen für diesen Staat treffen müssen. Es ist die Ironie jeder Protestbewegung, dass sich ihre Vertreter im Amt der politischen Realität stellen müssen, womit sie ihre Unterstützer in die Frustration zurückschicken.

Bonnie Pülm studiert Geschichte und Englisch und war bis Oktober 2010 studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.