[analysiert]: Katharina Trittel über Terrorismus, Medien und den öffentlichen Diskurs.
Sind Medien in gesellschaftlichen Debatten Berichterstatter, oder erschaffen Medien durch einprägsame Bilder und ihre Art der Berichterstattung erst gesellschaftliche Phänomene wie Terrorismus? Ob im Kontext von islamistischem Terrorismus oder jüngst in den Debatten um Rechtsterrorismus: Die Verknüpfung von Massenmedien und Terrorismus sowie ihr Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs zieht mehr und mehr Aufmerksamkeit auf sich. Die Geburtsstunde dieser Wechselwirkung wird dabei häufig im sogenannten „Heißen Herbst“, dem Höhepunkt des Terrors der RAF im Jahr 1977, vermutet.
Vor dem Hintergrund dieses Wechselverhältnisses erhalten die Medienwirksamkeit der Terroristen und ihre mediale Selbstinszenierung einen besonderen Stellenwert. Die historische Verankerung des Phänomens Terrorismus in den Medien ist eine zentrale Erklärung, warum das mediale Interesse an der RAF bis heute fortbesteht und mit der öffentlichen Versteigerung des Gehirns von Ulrike Meinhof auf ebay 2002 einen zweifelhaften Höhepunkt erreichen konnte.
Die Gründe für die überzogene Medienpräsenz der RAF liegen in dem zuvörderst medial vermittelten Gesicht der Terroristen, welches die Erinnerung im öffentlichen Bewusstsein wach hält. Die Presse greift dabei in ihrer Darstellung der Terroristen und ihrer Taten auf bereits etablierte Aussagemuster zurück – es scheint also, als wären 1977 bestimmte Mechanismen im Wechselverhältnis zwischen Medien und Öffentlichkeit entstanden, die noch heute in Bezug auf die RAF funktionieren und sich auch auf aktuelle Terrorismusdebatten übertragen lassen. Diese Mechanismen fußen auf einer spezifischen Vermischung von Stilisierungen seitens der Terroristen und den vereinfachten Deutungsangeboten der Medien sowie deren Interpretation in der öffentlichen Wahrnehmung. Daraus resultiert schließlich eine Unklarheit, in welcher Ursache-Wirkung-Beziehung Terrorismus und Medien stehen.
Einerseits wurde von der neueren Forschung mehrfach darauf hingewiesen, inwiefern sich in der gezielten Selbstinszenierung und dem Sendungswahn der RAF politische und popkulturelle Elemente vermischten. Ihr ausgeprägtes Bewusstsein für die Macht der Bilder half bei der Selbststilisierung der Terroristen zu einem Mythos und stärkte die öffentliche Darstellung ihres Leidens und Sterbens als vermeintliche Märtyrer. Andererseits: Ohne die Medien wäre diese Selbstdarstellung nicht möglich gewesen, hätten die Forderungen der Entführer 1977 keine Öffentlichkeit erreicht, wäre dem Terrorismus die Plattform entzogen worden, wäre Terrorismus per se nicht möglich gewesen.
Nachdem Massenmedien wie Spiegel und BILD schon im Kontext der Studentenbewegung als Akteure in Erscheinung getreten waren, spielten sie auch eine wesentliche Rolle beim „Medienereignis Herbst ʼ77“, in dem sich die geschilderten Zusammenhänge beispielhaft verbanden. Bei einem zu einem Medienereignis stilisierten Geschehen sind die Medien bemüht, Ereignisse in einen kausalen Deutungszusammenhang zu stellen. Unterschiedlichste Elemente werden in eine lineare Anordnung gebracht, Erklärbarkeit wird suggeriert und ein Diskurs generiert, der anschlussfähig ist an bestehende Diskurse der Öffentlichkeit.
Die durchaus auch von der Politik instrumentalisierten Medien entwickeln Stereotype – in erster Linie kraft einprägsamer Bilder –, und formen ein „Wir“ und ein „Sie“. Die Berichterstattung über das Ereignis geht mit vereinfachten Deutungsangeboten einher, indem man sich schematischer Darstellungstypen und des selbst geprägten Freund-Feind-Schemas bedient.
Durch diese Darstellungsweise wird die Öffentlichkeit mit einer medialen Konstruktion der Wirklichkeit konfrontiert. Aufgrund von Kategorien wie gut-böse, Täter-Oper usw. weisen die Medien nicht nur bezüglich ihrer Darstellung eine Tendenz zur Verdichtung auf, sondern sie verdichten auch den aktuellen Diskurs. Komplexe Zusammenhänge werden auf leicht fass- und abbildbare Ereignisse reduziert. Konkrete Beispiele suggerieren eindeutige Wirklichkeit, über Strategien wie Personalisierung und Psychologisierung werden ein Identifikationsangebot ebenso wie Abgrenzungsmöglichkeiten geschaffen. Vor dem Hintergrund dieses Schwarz-Weiß-Denkens findet innerhalb der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs eine Aktualisierung von Moralvorstellungen statt.
Die ideologische Prägung der Darstellung resultiert aus dem Anschlussbestreben der Beteiligten – gemeinsame Werte und Moralvorstellungen ermöglichen Selbstvergewisserungstendenzen innerhalb des Diskurses. Die Medien schaffen damit für das Phänomen Terrorismus einen Deutungsraum, der wegen seiner scheinbaren Eindeutigkeit konsens- und mehrheitsfähig ist. Er regt eine Wertedebatte an und aus vormaligen Ambivalenzen werden Eindeutigkeiten, die die Mehrheitsgesellschaft eng zusammenrücken lassen; auch das vorher möglicherweise kritisierte Vorgehen des Staates wird nun bereitwillig absegnet: Eine Katharsis vollzieht sich.
Der Sprachwissenschaftler Andreas Musolff [1] verdeutlicht anhand des in der Terrorismusdebatte verwendeten Kriegsvokabulars, wie die Medien auch sprachlich die Selbstdeutung der RAF und ihre Einstellung zum politischen Diskurs übernahmen. Damit unterstützten sie die Ziele der Terroristen, deren Propaganda der Tat auf mediale Darstellung und deren Katalysatorfunktion angewiesen ist. Denn die Handlungen der RAF (insbesondere im Herbst 1977) zielten vor allem auf mediale Aufmerksamkeit: Sie wollte Live-Bilder im Fernsehen auf den besten Sendeplätzen, um die Ohnmacht des Staates und ihre eigene Macht über Deutungsräume zu demonstrieren. Die strategische Verwendung der Medien als Bedeutungsproduzenten erzeugt nicht nur die gewünschte Beachtung, sondern sie korreliert auch mit dem Sendungswahn der RAF. Instrumentell-expressiv eingesetzte Bilder führen zu einer Selbststilisierung und zu einer Selbstermächtigung: Schlagzeilen bedeuten Macht über den Diskurs. Der Spiegel titelte: „Terroristen – die Superunterhalter unserer Zeit“. [2] Doch ist diese Wechselwirkung in allen Einzelheiten steuerbar, die gewünschte Interpretation der Bilder durch die Öffentlichkeit kontrollierbar? Ihre Eigendynamik wird deutlich in der kommunikativen Niederlage, die die RAF 1977 während der Entführung von Hanns Martin Schleyer hinnehmen musste. Obwohl das Fernsehen die Bilder des entführten Arbeitgeberpräsidenten, inszeniert als Gefangener der RAF, zur besten Sendezeit ausstrahlte, kehrte sich die erhoffte Wirkung um: Denn die Öffentlichkeit nahm Anteil an dem Schicksal des ehemaligen SS-Mannes, da er hier als leidendes Opfer gezeigt wurde. Die Kontrolle über die Deutung des inszenierten Bildes und damit über den Diskurs war der RAF entglitten.
Der Verlauf der medialen Debatte im Herbst ʼ77 zeigt damit beispielhaft die kommunikativen Auswirkungen der Deutung von Terrorismus durch die Massenmedien und ihre diskursprägende Kraft. Diese äußert sich bis heute in Empörungswellen über Gnadengesuche der letzten inhaftierten RAF-Mitglieder und lässt BILD auch dreißig Jahre später mit dem gleichen Impetus der Entrüstung fragen: „Warum darf so einer frei rumspazieren?“
Katharina Trittel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
[1] Musolff, Andreas: Terrorismus im öffentlichen Diskurs der BRD: Seine Deutung als Kriegsgeschehen und die Folgen. In: Weinhauer, J. u.a (Hg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren. Frankfurt am Main 2006. S. 302-317.
[2] Walter Laqueur, Der Spiegel 37/1977.