[kommentiert]: Jan Michael Kotowski über Nate Silvers gespenstisch genaue Wahlprognose
Wer ist – außer Barack Obama – der größte Gewinner der amerikanischen Präsidentschaftswahlen? Es spricht einiges dafür, dass diese Ehre einem jungen Statistiker namens Nate Silver zugeschrieben werden sollte. Als Betreiber des Blogs FiveThirtyEight – das während des Wahlkampfs für die New York Times zu einer veritablen Klick-Maschine avancierte – ist es ihm nicht nur gelungen, zum wiederholten Male fast gespenstisch genaue Wahlprognosen abzuliefern, sondern auch selbst zum Inhalt der Wahlberichterstattung zu werden. In den sozialen Netzwerken und Blogs konnte man in letzter Zeit geradezu den Eindruck gewinnen, Silvers Prognosen seien wichtiger als die Wahl selbst. Ja, es lässt sich sogar mit Fug und Recht behaupten: Nate Silver ist inzwischen ein meme. Aber warum?
Am Anfang seiner Karriere war Silver Teil einer statistischen Revolution, die sich mit der – auf mathematischen Modellen beruhenden – Bewertung von Baseballspielern beschäftigte. Durch Michael Lewis’ Buch Moneyball (2003) und den gleichnamigen Film von 2011 wurde dieses Phänomen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Vor fünf Jahren begann Silver dann seine Modelle auf den amerikanischen Wahlkampf anzuwenden. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 lag er bei seinen Prognosen in 49 der 50 Bundesstaaten und in allen 35 Senatsrennen richtig. Dieses Jahr erhöhte er seine Quote auf 100 Prozent bei der Vorhersage der Ergebnisse in den fünfzig Bundesstaaten; oftmals stimmten seine Prognosen sogar bis auf die Kommastelle mit dem amtlichen Wahlergebnis überein.
Nun sind dies freilich erstaunliche Zahlen, aber wie erklärt es sich, dass ein Nerd wie Silver zu einem medialen Phänomen werden konnte? Meines Erachtens liegt die Antwort zuvorderst in der Art und Weise der etablierten amerikanischen Wahlkampfberichterstattung, die jede Präsidentschaftswahl als Spektakel und als enges Rennen zu vermarkten sucht. Dementsprechend fokussierte sich die Berichterstattung bis zuletzt auf vermeintlich enge nationale Umfragen, was als Beweis für ein Kopf-an-Kopf-Rennen gedeutet wurde. Ein Außenseiter wie Silver, der Obamas Wiederwahlchancen in den letzten Tagen mit 90 Prozent bezifferte, passt nur schlecht in eine von meinungsstarken Alphatieren (pundits) dominierte Medienlandschaft.
Von konservativer Seite war die Kritik an Silver besonders hässlich und persönlich und thematisierte unter anderem sein angeblich unmännliches Auftreten (Silver ist schwul). Dean Chambers, Betreiber der gegen Silver gerichteten konservativen Webseite unskewedpolls.com, musste schließlich die Überlegenheit von Silvers Modell öffentlich eingestehen. Für Nate Silver, ein semi-professioneller Pokerspieler, war dies freilich keine Überraschung: Er war sich Obamas Sieges so sicher, dass er dem konservativen Moderator Joe Scarborough über Twitter eine Wette auf den Wahlausgang über 2000 Dollar anbot. Zahlen lügen eben nicht.
Jan Michael Kotowski ist Dozent an der University of California Santa Cruz.