Die grüne Hoffnung auf dem platten Land

[präsentiert]: Julika Förster über die Agrarpolitik der Grünen in Niedersachsen 

Niedersachsen hat als flächenmäßig zweitgrößtes Bundesland Deutschlands, in dem der Landwirtschaft nach wie vor ein hoher Stellenwert beigemessen wird, bereits einige Scherze über sich ergehen lassen müssen. Allzu gern karikiert man es als überdimensionalen Acker, dem eine baldige Überbevölkerung durch Schweine und Schafe droht. Natürlich steht hinter derartigen Scherzen auch ein Funken Wahrheit: in diesem Fall die hohe Bedeutung des landwirtschaftlichen Sektors. Aufgrund seiner Relevanz für die niedersächsische Bevölkerung sollte er nicht nur in Späßen, sondern vielmehr in der Politik die Beachtung erfahren, die ihm gebührt. Auch für Christian Meyer, den agrarpolitischen Sprecher der Grünen, gilt Niedersachsen unumstritten als das „Agrarland Nr.1“ – nicht jedoch, was die damit verbundenen Arbeitsplätze, Umweltbedingungen und Tierschutzmaßnahmen betrifft. Seine Rede überrascht beim Neujahrsempfang in Syke niemanden – aber soll sie das überhaupt?

Syke bei Bremen an einem kalten Sonntagnachmittag im Januar, genau sieben Tage vor der niedersächsischen Landtagswahl: Der grüne Kreisverband Diepholz hat zu seinem Neujahrsempfang ins gemütliche „Bioland-Hofrestaurant Voigt“ geladen. Der thematische Hauptgang steht nicht nur deshalb fest, weil es sich um eine Veranstaltung der Grünen handelt: Als Gastredner wird der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Christian Meyer, erwartet. Dieser hat seit 2008 das Amt des agrarpolitischen Sprechers inne. Verläuft die anstehende Wahl für seine Partei erfolgreich, könnte das für ihn sogar ein Ministeramt bedeuten. Aber was genau brächte eigentlich ein Regierungswechsel für die Agrarpolitik in Niedersachsen mit sich, wenn es nach Herrn Meyer geht?

Mit einem entspannten Lächeln und schnellen Schrittes trifft Christian Meyer im Hofrestaurant ein. Ein wehender grüner Schal verleiht seinen politischen Präferenzen Ausdruck. Bis zu seiner eigenen Rede muss er noch wenige Augenblicke warten, denn zuvor richten einige andere Herren das Wort an die Gäste, unter ihnen der christdemokratische Landrat Cord Bockhop, dessen ebenfalls grüne Krawatte aber wohl eher ein gesundes Maß an freundschaftlicher Verbundenheit symbolisieren soll. Höflich bedankt er sich für die Einladung, betont die gute Zusammenarbeit im Landtag und fügt noch eine knappe Erläuterung der von ihm vertretenen Politik hinzu. Anschließend ist Meyer an der Reihe. Dieser wagt zunächst einen kurzen Ausflug in Richtung Bildungspolitik, bevor er sich schließlich wieder auf ihm nur zu gut vertrautes Terrain begibt. Dass er sich dort wohlfühlt, ist unschwer zu erkennen, denn er spricht zwar frei, aber seine Rede wirkt nicht ansatzweise gekünstelt, vielmehr ehrlich überzeugt.

Durchaus besorgt zeigt sich Christian Meyer über die derzeitigen Verhältnisse des agrarischen Sektors; zudem hält er die schwarz-gelbe Agrarpolitik der vergangenen Jahre zweifellos für verbesserungswürdig („Wer Menschen, Tiere, Umwelt quält, wird in sieben Tagen abgewählt“) und spricht von einem „notwendigen Politikwechsel“, der auch einen baldigen Agrarwandel mit sich bringen soll. Und tatsächlich sieht sich Niedersachsen in diesem Bereich derzeit mit etlichen Problemen konfrontiert: Während die Anzahl der Nutztiere kontinuierlich steigt, bleibt das Phänomen des „Höfesterbens“ weiterhin aktuell. Mittelständische Betriebe geraten angesichts der großen Konkurrenz ins existenzielle Abseits, Arbeitsplätze gehen verloren. Jene große Konkurrenz setzt auf Massentierhaltung, die logischerweise mit artgerechter Haltung nicht mehr viel zu tun hat, von Recht und Gesetz jedoch nicht verhindert werden kann, wie Landrat Bockhop zu Beginn der Veranstaltung schon eilig konstatierte. Auf diesen Einwand geht Christian Meyer aber nicht ein – auch wenn das geltende Recht die Massentierhaltung und deren Profiteure begünstigt, müsse es schließlich möglich sein, evidente Missstände in Frage zu stellen. Auf 100.000 Hühner komme inzwischen ein Arbeitsplatz, hält Meyer fest, und inzwischen hätten die Schweine (über acht Millionen an der Zahl) „die Niedersachsen überholt“.

Kurz gesagt: Von immer mehr Nutztieren profitieren immer weniger landwirtschaftliche Betriebe, hinzu kommen defizitäre Formen der Tierhaltung und damit verbundene Belastungen (wie z.B. durch Überdüngung) für die Umwelt und die Gesundheit sowohl des Tieres als auch des Verbrauchers. Immer mehr Produkte werden unter immer fragwürdigeren Bedingungen hergestellt. Durch diesen Produktüberschuss sinken die Preise; mittelständischen Betrieben fällt es immer schwerer, mithilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel mitzuhalten. Quantität statt Qualität, so lautet das derzeitige Erfolgsrezept. Christian Meyer sähe es offenkundig lieber andersherum. Die Lebensmittelpreise müssten wieder steigen; Nahrungsmittel sollten lieber qualitativ gut als billig zu erwerben sein.

Während der Rede ist nach beinahe jedem seiner Sätze aus irgendeiner Ecke ein beipflichtendes Murmeln zu vernehmen. Jedoch scheint das, was er sagt, sein Publikum keineswegs zu überraschen. Im Kern handelt es sich bei Meyers nüchtern vorgetragenen Forderungen um grüne Grundannahmen, angewandt auf akute (niedersächsische) Probleme. Überzeugt werden muss daher eigentlich niemand mehr, mit Ausnahme des christdemokratischen Landrates vielleicht. Neben der in Hemd und Bluse gekleideten Bürgerlichkeit macht sich eine gewisse Selbstsicherheit deutlich bemerkbar: Die Grünen sind sich sehr wohl bewusst, dass ihre Anliegen und Sorgen sich über die Jahre als berechtigt erwiesen haben.

Darum kann Christian Meyer auf ausschweifende Gesten und eingängige Parolen weitestgehend verzichten, darum sitzt man in ruhiger Atmosphäre zusammen und nippt entspannt am kühlen Sekt. Die damals noch als exzentrisch geltenden Forderungen, sie sind letztlich auch in den Augen der Wähler vernünftig geworden, so wie die Grünen selbst vernünftig geworden sind. In Zeiten des Klimawandels und verrosteter Atomkraftwerke erscheinen Katastrophenszenarien nun viel zu realistisch, um missachtet zu werden, mit der Folge, dass ehemals grüne Forderungen nicht selten auch in fremden Parteiprogrammen Einzug erhalten haben. Auf die Monopolstellung muss man nun verzichten, jedoch bleibt die Erinnerung, den Stein ins Rollen gebracht zu haben, zugleich dem Rest der Gesellschaft erhalten, für den die rationale programmatische Basis und so die Wählbarkeit der Partei damit wohl außer Frage steht.

Und rational ist angesichts des beschriebenen mangelhaften Zustands des Agrarsektors auch der Wunsch nach dessen Wandel seitens der Grünen. Die Frage dürfte nur sein, wie viel dem Verbraucher die höhere Qualität zu erwerbender Produkte letztlich wert ist. Christian Meyer jedenfalls gibt sich optimistisch, er sieht den Agrarwandel als von der Gesellschaft gewünscht an. Dies allerdings setzt nicht nur eine umweltbewusste Haltung der Menschen voraus, die es zugunsten einer besseren Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Betriebe, einer angemesseneren Tierhaltung und einer umweltschonenderen Landwirtschaft in Kauf nehmen müssten, mehr Geld in Lebensmittel zu investieren. Der Wille ist und wäre definitiv ein guter – natürlich auch seitens der Grünen –, doch muss man ihn sich auch leisten können.

Beinahe scheint es also so zu wirken, als würden sich die Grünen bei ihrem Neujahrsempfang auf altbekannten Inhalten ausruhen, von deren positiver Popularität sie halbwegs ausgehen können. Allerdings zeigt die empirische Erkenntnis, dass ihre typischen Wähler eher in urbanen denn in ländlichen Gegenden zu finden sind. Paradoxerweise also eher selten dort, wo Mensch und Umwelt tatsächlich in annähernd perfekter Symbiose bestehen könnten – und wo am Sonntag eben auch gewählt wird.

Julika Förster ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.