[kommentiert]: David Ohlendorf über die Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs an Universitäten.
Vor Kurzem wurde der Bundesregierung das Jahresgutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) vorgelegt. Eines der zentralen Ergebnisse, welches kurz darauf die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit erweckte, besteht in der großen Zahl an jungen Wissenschaftler_innen, die in den letzten Jahren dem Forschungsstandort Deutschland den Rücken gekehrt haben. Seit 1996, so der Bericht, sind etwa 4000 Forscher_innen mehr aus der Bundesrepublik ausgewandert als durch die Anwerbung von Hochqualifizierten oder die Rückkehr deutscher Akademiker_innen aus dem Ausland hinzugewonnen werden konnten.[1]
Den aufmerksamen Beobachter des deutschen Wissenschaftssystems wird dieser Befund ebenso wenig überraschen wie der von der Kommission vorgeschlagene Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des fortschreitenden brain drains. Litaneigleich zählen die sechs für den Bericht verantwortlichen Wirtschaftswissenschaftler_innen die Grundsätze ihres Glaubens an die unsichtbare Hand des Marktes auf: Man müsse die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen im internationalen Wettbewerb weiter stärken, indem man vor allem die Spitzenforschung ausbaue und so für exzellente Köpfe aus dem Ausland attraktiver werde. Hierzu fordert die Kommission eine stärkere Deregulierung der Hochschulen, damit diese mit flexibleren Personal- und Budgetstrukturen experimentieren könnten. Ob die Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem attraktiver werden, indem man sie einer entfesselten Ökonomie preisgibt, ist allerdings höchst zweifelhaft.
Zugegeben, die Entscheidung für eine wissenschaftliche Laufbahn bedeutete seit jeher, sich auf einen unsicheren Pfad zu begeben, an dessen Anfang ein unregelmäßiges Einkommen, eine hohe Arbeitsbelastung und schlechte Aussichten auf eine dauerhafte Festanstellung stehen. So verglich Max Weber in seinem bereits vor fast einem Jahrhundert gehaltenen Vortrag zum Thema „Wissenschaft als Beruf“ die Universitätskarriere mit einem Glücksspiel („Hasard“) und hielt es für „außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der akademischen Laufbahn sich auszusetzen.“[2]
Die heutige Unattraktivität der akademischen Laufbahn erwächst jedoch vor allem aus einem anderen Trend, für den der eingangs zitierte Bericht beispielhaft steht. Die Rede ist von der in den letzten Jahren vorangetriebenen Ökonomisierung des gesamten Wissenschaftsbetriebes und einer damit verbundenen sukzessiven Kolonisierung der Hochschulen durch eine wirtschaftliche Verwertungs- und Profitlogik.[3] An die Stelle des Erkenntnisgewinns als oberstes Ziel von Wissenschaft und Forschung tritt nach und nach der Wettbewerb um immer größere Marktanteile in einer globalen Wissensproduktion. Nicht mehr die Methode der Falsifikation bestimmt Forschungsgegenstand und Paradigmenwechsel, sondern das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.
Um in diesem Wettbewerb Schritt halten zu können, wurden die deutschen Universitäten im Zuge der neoliberalen Hochschulreformen der letzten Jahre zu strategisch operierenden Unternehmen umgewandelt.[4] Die unvermeidliche Begleiterscheinung dieses Transformationsprozesses ist eine starke Kommodifizierung und Kommerzialisierung der gesamten akademischen Arbeitswelt. Als auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmen sind die Hochschulen nur so lange an ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs interessiert, wie dieser im Kampf um Marktanteile einen unternehmerischen Vorteil erwirtschaftet, sei es in Form von mehr Drittmitteln oder Publikationen oder einer besseren Positionierung in einem der zahlreichen Hochschulrankings.
Um das Forschungsangebot möglichst schnell an die jeweils aktuelle Nachfrage des globalen Wissensmarktes anpassen zu können, sind Konditionen und Laufzeiten von Arbeitsverträgen an die jeweilige Marktlage gekoppelt. Befristete Arbeitsverträge mit kurzer Laufzeit sowie Teilzeitstellen sind mittlerweile zur Regel im akademischen Mittelbau geworden. Dabei sind die Arbeitsverträge häufig an Projektstellen und damit an die konstante Zufuhr von Drittmitteln gebunden. Bleiben diese bei Projektbeendigung aus, bricht für die Nachwuchswissenschaftler_innen im schlimmsten Fall die Finanzierung weg, bevor sie ihre Dissertation oder Habilitation abschließen konnten. Trotz dieser prekären Beschäftigungsbedingungen stellen die Professor_innen vielfach den Anspruch an ihre Mitareiter_innen, ihr Leben möglichst allumfassend in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Eine hohe Arbeitsbelastung und die Forderungen nach Flexibilität und geographischer Mobilität kollidieren daher nicht selten mit privaten Lebensentwürfen.[5]
Ein anschauliches Beispiel für diese neue akademische Arbeitswelt ist die, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wachsende Schicht von wissenschaftlichen Hilfskräften. Als solche verdienen sie, bei einem oftmals identischen Aufgabenbereich, nicht nur weniger als die regulären Angestellten, sondern müssen sich auch mit sehr kurzen Laufzeiten ihrer Arbeitsverträge arrangieren und verfügen dabei lediglich über eingeschränkte Arbeitnehmerrechte. Ein ähnliches Schicksal wird den sogenannten „Lehrkräften für besondere Aufgaben“ sowie anderen außerplanmäßigen Lehrbeauftragen zuteil. Beide Gruppen werden von den Universitäten zunehmend als Dispositionsmasse genutzt, um einen kurzfristigen Mehrbedarf in der Lehre abzudecken. Lehrbeauftragte werden entweder auf Honorarbasis für die durchgeführten Veranstaltungen vergütet oder arbeiten nicht selten sogar unentgeltlich. Lehrkräfte für besondere Aufgaben hingegen verfügen über ein extrem hohes Lehrdeputat von 13-17 Semesterwochenstunden, werden jedoch ebenfalls nur befristet beschäftigt und können ohne Angabe eines sachlichen Grundes gekündigt werden.[6] Sie alle sind die modernen Zeitarbeiter der Universitäten – kurzfristig verfügbar und auch genauso kurzfristig wieder kündbar.
Nun ließe sich einwenden, dass es sich bei dieser Kritik um Jammern auf hohem Niveau handelt. Und das ist zum Teil sicher richtig. Zwar kümmert sich die altehrwürdige Alma Mater nicht sonderlich um die Zukunft ihres wissenschaftlichen Nachwuchses, aber als Akademiker_innen haben diese, selbst wenn sie die Universitäten ohne erfolgreiche Promotion verlassen, vergleichsweise gute Arbeitsmarktaussichten, und der demographische Wandel wird dafür sorgen, dass dies auch in absehbarer Zeit so bleibt. Dass hier eine größere Zahl an Personen in die Arbeitslosigkeit promoviert wird, ist daher wohl kaum zu erwarten. Das Problem ist jedoch auch weniger ein individuelles, einzelne Wissenschaftler_innen betreffendes, sondern vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Jene Akademiker_innen, die nicht länger bereit sind, sich den Widrigkeiten des universitären Betriebes auszusetzen, wandern entweder aus, wie der eingangs zitierte Bericht gezeigt hat, oder forschen und arbeiten zukünftig für außeruniversitäre, privatwirtschaftliche Forschungsinstitute. Diese haben die neuen Bedürfnisse der „Generation Y“ bereits vor geraumer Zeit erkannt und in für sie attraktivere Arbeitsmodelle umgesetzt.
Hieran wird das eigentliche Dilemma der Ökonomisierung der akademischen Profession erkennbar: Während die einen Deutschland gänzlich verlassen, forscht der Rest im Schatten der Wirtschaft – entweder in direkt an Unternehmen angegliederte Forschungsinstitute oder im Rahmen von Drittmittelprojekten an den Hochschulen, die wiederum nicht selten durch Konzerne oder ihnen nahestehende Stiftungen finanziert werden. Die betriebswirtschaftliche Logik entscheidet nicht nur darüber, welche Bedingungen in der Forschung herrschen, sondern sie entscheidet auch darüber, was erforscht wird. Die Wissenschaft ist auf dem besten Weg, den Primat der Freiheit von Forschung und Lehre zu opfern und zu einem Teilgebiet der Ökonomie zu werden.
Und aus genau diesem Grund ist falsch, wenn der Bericht der EFI mehr Investition in Spitzenforschung, mehr Exzellenz und mehr Wettbewerb fordert. Die Hochschulen brauchen nicht mehr Wettbewerb, sondern weniger. Sie brauchen keine bessere Position im Kampf um Drittmittel, sondern eine solide, zweckungebundene Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand. Sie brauchen keine Deregulierung, die das Personal den harschen Bedingungen eines entfesselten Marktes aussetzt, sondern einen besseren arbeitsrechtlichen Schutz. Exzellente Forschung und kreative Ideen erreicht man nicht dadurch, dass man das akademische Personal in permanente Existenzängste versetzt, sondern indem man sie materiell und rechtlich absichert.
Das Ziel der Hochschulpolitik müsste es daher sein, die Universitäten vom Geist des Kapitalismus, der dort derzeit umgeht, zu befreien, um auf diese Weise die Qualität von Forschung und Lehre zu erhöhen. Dabei geht es nicht nur darum, einer kleinen Gruppe Hochqualifizierter attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen, sondern um den Erhalt einer unabhängigen Forschung und Wissenschaft, die zum Wohle der gesamten Gesellschaft handelt und nicht nur im Interesse der Ökonomie.
[1] Expertenkommission Forschung u. Innovation (EFI) (Hrsg.) (2014): Gutachten zu Forschung, Innovation u. technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014. Berlin: EFI.
[2] Weber, Max (1995 [1919]): Wissenschaft als Beruf. Stuttgart: Reclams Universal Bibliothek, S.4.
[3] Vgl. hierzu Münch, Richard (2011): Akademischer Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp Verlag.
[4] Meier, Frank (2009): Die Universität als Akteur. Zum institutionellen Wandel der Hochschulorganisation. Wiesbaden: VS Verlag.
[5] Vgl. zur aktuellen Situation des akademischen Mittelbaus ausführlich: Klecha, Stephan & Wolfgang Krumbein: Die Beschäftigungssituation von wissenschaftlichem Nachwuchs. Wiesbaden: VS Verlag.
[6] Vgl. Müller, Hans-Georg (2009): Wissenschaftlich Beschäftigte als Verlierer der Hochschulreformen. Die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Mittelbaus am Beispiel Nordrhein-Westfalens. In Kellerman, Paul et al. (Hrsg.): Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter Kuratel betriebswirtschaftlicher Denkmuster. Wiesbaden: VS, S. 205-215.