„Der Weg nach ganz oben“

[präsentiert]: Daniela Kallinich dankt Andreas K. Gruber

Auf dieses Buch habe ich lange gewartet. Schon seit einigen Semestern habe ich mich mit Karriereverläufen von Politikern beschäftigt und untersucht, wie sie nach ganz oben kommt, die politische Elite Deutschlands. Bislang gab es nur wenige empirische Studien zum Thema. Die wichtigste, ja vielleicht der Klassiker, war Dietrich Herzogs Analyse „Politische Karrieren: Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen“. Doch stammt diese aus dem Jahr 1975, die erhobenen Daten sind noch älter.

Und so drängte sich stets die Frage auf: Lassen sich Herzogs Erkenntnisse und Daten noch auf die Berliner Republik, auf die aktuellen Spitzenpolitiker übertragen? Kann ich seine Erkenntnisse noch für aktuelle Arbeiten verwenden?

Die gleiche Frage muss sich auch Andreas K. Gruber gestellt haben, als er sich für sein Dissertationsthema entschied: „Der Weg nach ganz oben. Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker“ lautet der Titel seiner im Jahr 2009 veröffentlichen Doktorarbeit. Mit dieser hat er eine Lücke geschlossen, denn er hat die Studie von Herzog aus dem Jahre 1975 aktualisiert. Danke! Dabei erfüllt das Buch gleich mehrere Funktionen: Es gibt einen interessanten und ausführlichen Einblick in die Karrieren- und Elitenforschung. So erlaubt es auch ohne große Vorkenntnisse in diesem Teilbereich einen Überblick über die entsprechenden Debatten zu bekommen.

Gleichzeitig beschreibt Grubers Werk  äußerst detailreich die Karrierepfade des politischen Spitzenpersonals, identifiziert und überprüft Muster und hebt die Veränderungen seit der Studie Herzogs hervor. Dabei ist das Kapitel über die Methodik angenehm kurz gehalten. Bevor die Karriereverläufe an sich nachgezeichnet werden, wird der soziodemographische Hintergrund der politischen Eliten ausgeleuchtet. Diese so genannte Parlamentssoziologie untersucht Alter, Geschlecht, Konfession, Familienstand, regionale und soziale Herkunft, Bildungsgrad und berufliche Tätigkeit. Diese Variablen können helfen, politische Karrieremuster teilweise zu erläutern. Gleichzeitig sind sie schon an sich hilfreich, wenn man sich mit der Zusammensetzung der politischen Eliten Deutschlands auseinandersetzen möchte.

Bei der Strukturanalyse der politischen Karrieren in Deutschland geht Gruber von einer wichtigen Voraussetzung aus: Politische Karrieren sind nur begrenzt planbar (S. 97). Ihr Ablauf lässt sich im Idealfall in folgende (an Herzog angelehnte, aber erweiterte) Phasen aufteilen:

  • frühe politische Sozialisation
  • Ausbildung und Beruf
  • innerparteiliche Laufbahn
  • ehrenamtliche Positionen in der Kommunalpolitik
  • hauptamtliche Positionen in der Politik
  • politische Spitzenpositionen.

Jede Phase wird detailliert beschrieben, mit Tabellen veranschaulicht und in ihrer Relevanz bewertet. Das Ergebnis ist dabei eindeutig: „Die ,Ochsentour‘ ist der reguläre Weg zum Erfolg“ (S. 201), doch lässt sich die Karriere nie komplett erfassen – viele Einflussfaktoren sind unsystematisch oder teilweise purer Zufall bzw. liegen, wie zum Beispiel das Geschlecht, quer zu den oben genannten Phasen.

Im Anschluss an diese Beschreibung politischer Karrierewege versucht sich Gruber an einer Typologie. Obwohl er kurz andere Autoren diskutiert, lehnt er sich dabei erneut an Herzogs Klassiker an. „Cross-Over-Karrieren“ sind mit 13,4 Prozent recht selten und dabei vor allem unter den Spitzenpolitikern aus den neuen Bundesländern zu beobachten. Reine politische Karrieren identifiziert Gruber hauptsächlich in den jüngeren Kohorten, wo (je nach Definition) bis zu 70 Prozent nie oder kaum im Berufsleben außerhalb der Politik standen. Die klassische Ochsentour wurde schon von Herzog als Standard-Karriere bezeichnet und ist auch heute mit bis zu 70 Prozent aller Spitzenpolitiker die wichtigste Form. Herzogs Karrieretypen können also immer noch nachgewiesen werden, auch hat sich deren Verteilung kaum verändert (S. 226).

Am Ende benennt Gruber einige interessante Ergebnisse seiner Studie: Es gibt echte Qualifikationsvoraussetzungen für politische Spitzenämter: Man muss ein Studium abgeschlossen haben und Mitglied einer Partei sein. Daraus baut er dann eine Anleitung auf, wie man Spitzenpolitiker werden kann (schränkt dies aber natürlich wissenschaftlich korrekt ein). Neben der (Aus-)Bildung und der Parteimitgliedschaft kann die Mitgliedschaft in einer Partei-Jugendorganisation als nahezu unerlässlich gesehen werden. Diese werden als Karriereinstrumente immer wichtiger. Auch kommt man kaum um das Buckeln auf kommunaler Ebene herum. Entscheidend – so Grubers Rat – ist, dass das Engagement sehr früh beginnt.

Damit stillt Gruber also nicht nur den Hunger nach aktuellen empirischen Daten über die politische Elite, sondern bietet gleichzeitig noch den Service einer Anleitung zum Politikerwerden. Dank seiner Arbeit kann man sich getrost auf den Klassiker Herzog beziehen, ohne jedoch in die Falle des veralteten Datenmaterials zu tappen.