Der Fall Guttenberg – Vernichtungsschlag der Wissenschaft

[präsentiert]: Frauke Schulz stellt das Buch „Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg“ vor.

Man sollte meinen, über den so genannten „Fall Guttenberg“, nämlich die Plagiatsaffäre und den damit verbundenen Rücktritt des einstigen Verteidigungsministers, sei wahrlich genug gesagt und erst recht geschrieben worden. Und doch erschien soeben – medial viel beachtet – „Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg“ im Suhrkamp-Verlag: Eine Essaysammlung, die kaum eine Facette des prominenten Sündenfalls unbeleuchtet lässt. Und obwohl die Debatte längst von allen Seiten ausgefochten schien, hat der Band doch noch Neues zu bieten: Er nimmt die Argumentationsketten, die von den Kritikern und Analytikern bemüht und später oftmals repetiert wurden, auf und unterfüttert sie mit wissenschaftlichem Gehalt. Endlich, so scheint es, liefern die Autoren um  Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus hieb- und stichfeste Beweise, historische Herleitungen und sprachwissenschaftlich fundierte Erörterungen für das, was vielen ohnehin – wenn auch weitaus diffuser – auf der Zunge lag.

Uwe Pörksen beispielsweise, Professor für Sprache und Ältere Literatur, betrachtet in seinem Beitrag „Der Mediencondottiere – eine Skizze“ (S. 21-32) ausführlich das Verhältnis Guttenbergs zu den Medien und seine Wirkung in der Öffentlichkeit. Interessant ist dabei besonders, dass er keineswegs nur deskriptiv vorgeht, sondern thesenorientiert Rhetorik und Mediencharisma des CSU-Politikers in den Blick nimmt. Besonders erkenntnisreich sind dabei seine Ausführungen zur Bedeutung der Demoskopie, die er als „politikfreies Instrument“ zum Machtgewinn, -ausbau und -erhalt beschreibt. Gleich zu Beginn stellt Pörksen seine Hauptthese auf, die er anschließend anschaulich ausführt: „In meinen Augen ist [Guttenberg] weit eher ein Phänomen, das einem Verschwinden der Politik seine Existenz verdankt. In diese Lücke tritt mit ihm ein neuer Typus, dessen Wirkung darauf beruht, dass er nicht eine neue Politik, sondern alterprobte Tugenden des Politischen zu verkörpern scheint.“ (S. 21)

Der Journalist und promovierte Historiker Nils Minkmar zeichnet „Zwei Wochen deutsches Psychodrama“ nach, indem er sich der gesellschaftlichen Gefühlslage zwischen dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe und dem Rücktritt des Ministers annähert (S. 112-117). Es gelingt ihm, auf höchst unterhaltsame Weise die Zerrbilder der Guttenberg-Verteidiger zu entlarven, wenn er beispielsweise die Berichterstattung der Bild-Zeitung (das „Fanzine“ Guttenbergs, S. 112) genüsslich auseinandernimmt: „Gestern noch forderte Ernst Elitz […] Gerechtigkeit für sein Idol, weil ja auch Ostdeutsche den Doktortitel führen, die über Marxismus promoviert haben, also ‚in Parteigewäsch‘, wie Elitz wusste. Da wurde kurzerhand die moralische Benchmark für den einstigen Erneuerer der Wahrhaftigkeit bürgerlicher Politik auf das Level von Stasi-Unis gesenkt, als würde der Verweis auf den einen Missstand den anderen aufheben. Weiter fordert Elitz das Ende der innerparteilichen Intrige als Mittel der Politik – und warum nicht noch ein Pony für seine Tochter? Ganz offensichtlich laboriert der Mann noch am Guttenberg-Syndrom herum.“ (S. 112)

Von einer ganz anderen Seite nähern sich die Beiträge von Heinrich Detering und von Johannes von Müller dem „Fall“. Neben anderen Essays in diesem Band, die sich mit Aspekten der Guttenberg‘schen Rhetorik befassen, seziert auch Detering, Professor für Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft, in  großer Ausführlichkeit dessen Sprachgebrauch zwischen „Demut und Dolchstoß“ (S. 121-127). Immer wieder weist er mit mikroskopischer Genauigkeit nach, wie der ehemalige Verteidigungsminister rhetorische Ausweich- und Ablenkungsmanöver lancierte. Als analytisches Werkzeug dient Detering dabei allein die fundierte Kenntnis des deutschen Wortschatzes und der Grammatik. Das Ergebnis der semantischen Sektion: Durch eine „Rhetorik der kalkulierten Unschärfe“ (S. 123) nutzte Guttenberg während der Plagiatsaffäre eine „Sprache der Scheinheiligkeit“ (S. 125).

Johannes von Müller, studierter Kunsthistoriker, geht einem Interpretationsmuster auf den Grund, das viele Kommentatoren zu erkennen glaubten, jedoch meist nur vage belegen konnten: den unterschiedlichen Rollen und der bedeutungsschwangeren Bildsprache, derer Guttenberg sich als Verteidigungsminister bediente. Dabei zieht er nicht nur anschaulich Vergleiche zu klassischen, martialisch anmutenden Feldherren-Porträts aus dem 16. Und 17. Jahrhundert heran, sondern lässt auch Parallelen zu modernen Kriegertypen wir Tom Cruise im Film Top Gun nicht außer Acht.  Er kommt dabei zu einer Schlussfolgerung, die wohl auch viele weniger ikonografisch Versierte gezogen haben: „[Guttenberg] fand zu den Rollen, die er spielte, durch das Amt, das er ausgeübt hat. Er wurde vom Kreispolitiker zum Laiendarsteller.“

Die Wirkungsweise der Essaysammlung wird deutlich: Was in der ersten Phase der Guttenberg-Kritik, sozusagen im Eifer des Gefechts, bereits argumentiert und vage angedeutet wurde, wird nun aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet. Guttenbergs Auftreten, das die Kommentatoren meinungsfreudig interpretierten, die Parallelen, die zahlreiche Empörte zu erkennen meinten, führen die Autoren kenntnisreich und eloquent aus. Durch die Analyse des Verhaltens des Verteidigungsministers von der Initialzündung des Skandals bis hin zu seiner Rücktrittsrede wird die Argumentation um eine zusätzliche Metadimension vertieft.

Das Gewicht dieses Sammelbandes liegt darin, dass die Autoren (meist gestandene) Akademiker mit ausgewiesenen Fachkenntnissen sind. Sie arbeiten sich aus ihren jeweiligen Disziplinen an der Causa Guttenberg ab, wodurch ein vielschichtiges Deutungsmuster entsteht. Die teilweise etwas abstrakt-verkopfte, fast vorsichtig-wissenschaftliche Zurückhaltung dabei, genau wie die Tatsache, dass jeder „Schuster“ stets bei „seinen Leisten“ bleibt und niemand zur undifferenzierten Rundumverurteilung ausholt, verstärken gerade die Wucht der Analyseergebnisse. Dass zudem ausgerechnet Oliver Lepsius, Juraprofessor in Bayreuth und Nachfolger des Doktorvaters von Guttenberg, das Buch mit herausgibt, setzt ein weiteres Ausrufezeichen.

Diese detail- und kenntnisreiche nachträgliche Demontage des Politstars Guttenberg dürfte dessen politisches Comeback in weite Ferne rücken. Fast scheint es, als haben sich prominente Teile der Wissenschaftscommunity, die ja mit einem breiten Bündnis bereits den Rücktritt des Verteidigungsministers eingeleitet hatte, nochmals zum endgültigen Vernichtungsschlag zusammengefunden.

Frauke Schulz ist wissenschaftliche Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Informationen zu dem rezensierten Buch finden sich hier.