[Gastbeitrag]: Carsten Koschmieder über den Bremer Parteitag der AfD
Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) präsentiert sich gegenüber den etablierten Parteien nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in organisatorischer Hinsicht als Alternative. Während in anderen Parteien wichtige Entscheidungen von Berufspolitikern in der Führung getroffen und auf Parteitagen von Delegierten bloß noch abgenickt würden, sollen in der AfD die einfachen Mitglieder an der Parteibasis die Macht haben – daher können Mitgliederversammlungen anberaumt werden, bei denen dann alle Mitglieder sprechen, Anträge stellen und abstimmen können. Der jüngste Bundesparteitag der AfD in Bremen Ende Januar aber hat gezeigt, dass die innerparteiliche Demokratie bei Mitgliederversammlungen nicht automatisch besser verwirklicht wird als bei Delegiertenparteitagen, wie sich an folgenden Faktoren zeigt.
Die Tagesordnung
Bei einem Antragsbuch von über 400 Seiten und in Erwartung kontroverser Debatten war bereits im Vorfeld des Bremer Parteitags absehbar, dass nicht alle eingereichten Anträge behandelt werden konnten. Der Entscheidung über die Tagesordnung und damit über die Frage, welche Anträge auf dem Parteitag in welcher Reihenfolge behandelt werden sollen, kam also eine große Bedeutung zu. Als Vorlage diente hier einzig die von der Parteiführung entworfene Version. Änderungsanträge brauchten sogar eine Zweidrittelmehrheit, sofern sie neue Punkte auf die Tagesordnung bringen wollten.
Nach zähen Debatten über die ersten Änderungsanträge und die dazugehörigen zeitraubenden Geschäftsordnungsanträge verloren die meisten Mitglieder bald die Lust, sich mit dem Thema länger zu beschäftigen, und gaben dem von der Parteiführung herbeigeführten Zeitdruck nach. Nach zwei Stunden Debatte über die Tagesordnung wurde daher dem Antrag, sich mit sämtlichen 48 weiteren Änderungsanträgen nicht mehr zu befassen, zugestimmt. Die jeweiligen Antragssteller erhielten keinerlei Redezeit zur Vorstellung ihrer Anträge, diese wurden nicht einmal genannt. Übrig blieb damit die von der Parteiführung vorgeschlagene Version der Tagesordnung. Um angesichts des Unmutes die Zustimmung zu sichern, verkündete die Versammlungsleitung vor der Abstimmung, eine Ablehnung würde die gesamte Debatte von vorne beginnen und damit den Parteitag scheitern lassen.
Aber auch bei der Entscheidung über einzelne Änderungsanträge übte die Parteiführung großen Druck auf die Mitglieder aus. So hatte sie vier zweistündige Vorträge in ihren Tagesordnungsentwurf aufgenommen, mit denen einerseits inhaltliche Akzente gesetzt werden sollten. Andererseits stellten diese Vorträge aber auch ein effektives Mittel darf, um die Zeit für unerwünschte Diskussionen zu verknappen. Zu dem Antrag, diese Vorträge nicht oder zumindest erst am Ende stattfinden zu lassen, erklärte der Parteivorsitzende, dass die Referenten bereits angereist wären und warteten, man also deren Termine schlichtweg nicht verschieben könne. Auf Zwischenrufe, dass das die Versammlung entscheiden müsse, schränkte er dann ein, dass es zwar möglich, aber ja wohl schlechter Stil sei. Bei der folgenden Abstimmung unterwarf sich die Mehrheit der Anwesenden diesem von der Parteiführung selbst geschaffenen Sachzwang.
Schließlich war die Tagesordnung bei einigen Punkten unpräzise. Die Reihenfolge beispielsweise, in welcher beim letzten Tagesordnungspunkt die unterschiedlichen Anträge abgehandelt wurden, war nicht festgelegt, obwohl schon im Voraus offensichtlich war, dass viele dieser Anträge aus Zeitgründen nicht behandelt werden konnten. In solchen Fällen entschied die Versammlungsleitung über die Reihenfolge der Anträge.
Die Versammlungsleitung
Die Versammlungsleitung leitet die Debatten auf Parteitagen und entscheidet bei Unklarheiten und Konfliktfällen. Trotz offensichtlichen Redebedarfs und einzelner Proteste wurde eine Aussprache über die Wahl der Versammlungsleitung auf dem Bremer Parteitag der AfD unterbunden und die Abstimmung dann en bloc durchgeführt. So konnte die von der Parteiführung favorisierte Versammlungsleitung relativ problemlos ins Amt gebracht werden. Nicht nur bei der Interpretation der Tagesordnung, sondern auch bei kontroversen Debatten und einer Vielzahl von Geschäftsordnungsanträgen hatte die Versammlungsleitung großen Einfluss. Sie nutzte ihn beispielsweise, um zu bestimmten Geschäftsordnungsanträgen aufzufordern und diese dann ohne die vorgesehene Gegenrede abstimmen zu lassen.
Auch zum letztendlichen Beschluss über die neue Satzung der AfD, über die auf dem Parteitag am heftigsten gestritten wurde, trug die Versammlungsleitung bei. Zunächst hatte sie am Samstagnachmittag noch Bernd Luckes Vorschlag, die gesamte Satzung nach der Entscheidung über die für ihn wichtigsten Änderungsanträge erst einmal abzustimmen und damit alle anderen Änderungsanträge zu übergehen, als unzulässig zurückgewiesen. Später am Abend stellte die Versammlungsleitung dann einen ähnlichen Antrag und erklärte den Anwesenden, dass nur so noch vor dem Ende der Versammlung über die Satzung abgestimmt werden könnte. Andernfalls, betonte die Versammlungsleitung, drohe der Parteitag zu scheitern. Wieder fielen Dutzende Anträge weg, ohne dass sie auch nur genannt wurden.
Der Einfluss des Vorsitzenden
Der Parteivorsitzende Lucke nahm in vielerlei Weise großen Einfluss auf den Parteitag. In seiner Rede ermahnte er die Anwesenden explizit, in seinem Sinne abzustimmen, und deutete seinen möglichen Rückzug an für den Fall, dass sie ihm nicht folgen würden. Er mahnte, bei einem Misserfolg des Parteitages hätten die sogenannten Altparteien gewonnen. In späteren Debatten zu einzelnen Anträgen ergriff er immer wieder das Wort, auch wenn er nicht an der Reihe war, und überzog häufig die vorgesehene Redezeit, um für seine Positionen bei Abstimmungen zu werben.
Abstimmungen
Bei knappen Entscheidungen wurde statt mit den dafür üblichen Stimmkarten mit elektronischen Geräten abgestimmt. Und diese waren häufig im Einsatz, da es eine ganze Reihe knapper Abstimmungen gab. Auch die entscheidende über die neue Satzung der Partei wurde am Ende mit nur einem Prozentpunkt über der erforderlichen Zweidrittelmehrheit entschieden. Problematisch an elektronischen Abstimmungsverfahren ist nicht nur die fehlende Nachprüfbarkeit der Ergebnisse, sondern auch die Fehleranfälligkeit der Geräte. Einerseits könnten sie leicht manipuliert werden, andererseits aber auch einfach Fehlfunktionen aufweisen: Die Versammlungsleitung wies Samstagnachmittag darauf hin, dass die Geräte nicht mehr zuverlässig funktionierten, wenn sie neben einem Mobiltelefon gelegen hatten. Welche Auswirkungen das wiederum auf vorangegangene Abstimmungen hatte, lässt sich nicht feststellen.
Aufgrund all dieser Probleme gab es zwischendurch Anträge, klassisch mit Stimmzetteln und Wahlurne abzustimmen. Diese wurden aber nach einem Hinweis der Versammlungsleitung über die Dauer eines solchen Verfahrens stets abgelehnt. Die grundsätzliche Problematisierung der Geräte zu Beginn des Parteitages war von der Parteiführung nicht vorgesehen. Die Versuche, sie auf die Tagesordnung zu setzen, gehörten zu den Anträgen, die en bloc der Nichtbefassung anheimfielen.
Fazit
In den meisten Parteien ist es üblich, dass der Parteivorsitzende großen Einfluss auf den Ablauf des Parteitages oder das Abstimmverhalten der Anwesenden hat, dass die Versammlungsleitung Einfluss nimmt und die Tagesordnung von der Parteiführung festgelegt wird. Insofern wären die Beobachtungen über den Parteitag der Alternative für Deutschland nicht weiter interessant, wenn die AfD nicht genau diese Dinge bei ihren Konkurrentinnen als Zeichen mangelnder innerparteilicher Demokratie kritisieren würde. Kritik am Parteiensystem oder an der vermeintlichen Einflusslosigkeit einfacher Parteimitglieder sowie die Behauptung, auch hier eine Alternative zu den anderen Parteien zu bieten, waren in der Vergangenheit wesentliche Faktoren für den Wahlerfolg der AfD. Die skizzierten Beobachtungen zeigen jedoch, dass die AfD ihr Versprechen, demokratischer als die „Altparteien“ zu sein, auf ihrem Bremer Parteitag nicht eingelöst hat.
Carsten Koschmieder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Stammer-Zentrum für empirische politische Soziologie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich vor allem mit politischen Parteien.