Der paternalistische Minister

Beitrag verfasst von: Jöran Klatt

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[kommentiert]: Jöran Klatt über Thomas de Maizières Blick auf Demos und Öffentlichkeit

Thomas de Maizières Satz, der infolge seiner Äußerung am 17. November 2015 in Reaktion auf die Absage des Länderspiels in Hannover wegen Terrorgefahr im Netz zirkulierte, war sicherlich nicht der durchdachteste in der politischen Karriere des Bundesinnenministers. Er sagte, er könne konkrete Angaben zu der Terrorgefahr in Hannover nicht machen, denn: „Ein Teil dieser Aussage würde die Bevölkerung verunsichern.“ Warum aber hat er es dann überhaupt gesagt? Die Äußerung mag zwar ein Ausrutscher gewesen sein, doch sie offenbart eine Problematik des Ministers im Umgang mit Terrorismus, die zu Recht kritisiert oder karikiert wird. Sein Bild von der Bevölkerung ist offenbar das von einer unreflektierten Masse, die kontrolliert und beruhigt werden muss. In seinem Satz schwingt sogar eine leichte Verachtung für den Demos mit.

Unter dem Hashtag „#DoItLikeDeMaiziere“ überkam den Minister sogleich der Spott des Netzes. In einer Fotomontage fragte etwa Luke Skywalker den Schurken Darth Vader (frei zitiert): „Hast du meinen Vater getötet?“ Anstelle der im Film auf die originale Frage folgenden Antwort („Luke, ich bin dein Vater.“) sagt Vader hier die Worte des Ministers: „Ein Teil meiner Antwort würde dich verunsichern.“ Mit „#DoItLikeDeMaiziere“ hat die Netz-Community alsbald die willentliche Vorenthaltung unbequemer Informationen bezeichnet, bei welcher der Empfänger dieser Nachricht gleichermaßen darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass diesem nichts Gutes bevorsteht.

Dabei ist eines klar: Zuständige Behörden, Polizei, Geheimdienste etc. brauchen gewisse Freiheiten, um ihrem Job nachgehen zu können. Dazu gehört sicherlich auch Geheimhaltung während laufender Verfahren. Zu legitimen Strategien polizeilichen Vorgehens gehört eben auch, dass ein Gegner nicht alles wissen darf, auch nicht das, was man eigentlich über ihn weiß. Insofern ist polizeiliche Arbeit im Bedarfsfall in Teilen der öffentlichen Kontrolle entzogen. Das bedeutet freilich nicht, dass sie völlig unkontrolliert agieren darf, sondern dass es Umstände gibt, in denen Sicherheitsbedenken Vorrang gegenüber dem eigentlichen Ideal politischer Transparenz haben. Der Staat ist zweifellos nicht wehrlos im Umgang mit Terrorismus. Ein eventueller Konflikt zwischen dem Ideal einer informierten Öffentlichkeit und notwendiger Geheimhaltung ist rechtstaatlich und politisch längst eingeplant. Auf terroristische Bedrohungen muss also nicht mit neuen Beschränkungen geantwortet werden.

Doch de Maizières Worte gehen deutlich über den Schutz laufender Verfahren hinaus. Vielmehr lassen seine Äußerungen Rückschlüsse auf sein Bild vom Volk und der Öffentlichkeit zu. De Mazières Bild der „Bevölkerung“ ist das einer Schafherde, die nicht aufgeschreckt werden darf, nicht hingegen das des Souveräns und im Grunde nicht das des Ideals der Demokratie schlechthin: des Demos. Es ist mehr das Bild, das Eltern von dem eines Kindes haben, welches vor dem Einschlafen Angst vor Monstern hat. Für Eltern gibt es in diesem Fall eine ganze Reihe von Optionen: Die meisten neigen dazu, dem Kind nahezulegen, dass die Ängste irrational sind, es keine Monster gibt, und aufzuklären, was wirkliche und was unbegründete Gefahren sind. Wohl die schlechteste Option ist allerdings, dem Kind nahezulegen, einfach auf den Schutz der Eltern – nach dem Motto „Wir sind ja da“ – zu vertrauen. Auch wenn das Kind anschließend beruhigt ist: Einen souveränen Umgang mit seinen Ängsten wird es so nicht lernen. In de Maizières Äußerung schwingt ein ähnlicher Paternalismus gegenüber der Bevölkerung mit, weil diese nicht als emanzipiert und fähig zu kritischer Reflexion betrachtet wird. Natürlich ist im Gegensatz zu Monstern die Terrorgefahr real; aber der Paternalismus des Ministers ist hier die einfache Antwort auf Terrorismus, die „Abkürzung“, die es nicht geben kann und sollte.

Auf der anderen Seite hätte de Maizière das verbreite Verständnis für die Notwendigkeit einer temporären Geheimhaltung nutzen können. Kaum jemand im Netz und auch kein Journalist forderte vom Minister völlige Transparenz. Das Verständnis hierfür zeigte sich bspw., als Klaus Kleber im „Heute Journal“ des Abends den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius interviewte. Als Kleber diesem eine Frage zu dem Gefahrenhinweis stellte, fügte er noch betont verständnisvoll hinzu, dass er gar nicht nach dem konkreten Inhalt, sondern nur nach dessen Unausweislichkeit frage.

Der Journalist und Frankreichkorrespondent Theo Koll fand am gleichen Abend in der Sendung bei Markus Lanz die richtigen Worte. Er plädierte für das Erlernen einer „selbstbewussten Gelassenheit“, die wir im Umgang mit Terrorismus bräuchten. Dazu gehört natürlich Sicherheitspolitik und behördliches Vorgehen. Und zu dieser Gelassenheit gehört das Vertrauen, dass de Maizière von der Bevölkerung verlangt und dass Behörden wie die Polizei ja auch größtenteils genießen und sich über die Jahre als demokratische und – das muss immer wieder betont werden – zugleich kontrollierte Institution auch verdient haben. Allerdings muss ein solches Vertrauen auch der Politiker in die Bevölkerung haben, die nicht die seine ist und die auch nicht nur panisch und ängstlich ist.

Bei aller Fairness gegenüber dem Minister, der sicherlich in einer Stresssituation gestanden und im Zweifelsfall nur das Beste für die Menschen gewollt hat: Dieser beidseitige Vertrauensverlust, eben auch der des Ministers in das Volk, ist eine wirkliche Gefahr. Sicherheitspolitik darf auch in Zeiten des Terrors nicht die notwendige Transparenz opfern, die eine Demokratie benötigt. Diese mag im Moment des „laufenden Verfahrens“ zwar nicht immer richtig und angebracht sein, sie steht aber am Ende eines öffentlichen, demokratischen Diskurses. Zu Demokratie gehört nicht nur Vertrauen, sondern auch Akteneinsicht und Kontrolle von beiden Seiten. De Maizières Logik führt leider letzten Endes nicht nur zur Vorratsdatenspeicherung, sondern, wenn man sie zu Ende denkt, auch nach Guantanamo und Abu Ghraib: Wenn die Bevölkerung nicht verunsichert werden darf, dürfen Sicherheitsbehörden alles. Dass sie viel dürfen, wenn es darum geht, Menschen vor Gefahren zu schützen, heißt jedoch nicht, dass die Bevölkerung diese Passivierung hinzunehmen hat.

Jöran Klatt arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.