Anhaltende Flaute

[analysiert]: Stephan Klecha und Alexander Hensel  über die Piratenpartei kurz vor der Wahl

Viel besser könnte die Ausgangslage für die Piratenpartei kurz vor der Bundestagswahl 2013 eigentlich kaum sein: Seitdem die Partei nach ihrem Einzug in vier Landtage seit dem Sommer 2012 sukzessive in eine Krise bzw. die Bedeutungslosigkeit gerutscht ist, steht mit dem Abhörskandal um PRISM, Xkeyscore und andere Systeme eines ihrer Kernthemen auf der politischen Agenda. Ähnlich wie 2011 das Reaktorunglück von Fukushima einen grünen Ministerpräsidenten möglich gemacht hatte, könnte die laufende Affäre geeignet sein, dem lahmenden Piratenwahlkampf Auftrieb zu verschaffen. Dennoch: Die Umfrageergebnisse für die Piraten verharren bei etwa zwei Prozent, ein Einzug in den Bundestag erscheint momentan überaus unwahrscheinlich. Diese Differenz zwischen passender Agenda und schlechter Performance der Piraten zeigt, dass sich günstige Gelegenheitsfenster nicht ohne Weiteres nutzen lassen.

So lässt sich die Abwehraffäre trotz des massiven medialen Trommelfeuers, der feuilletonistischen Begleitung und den ständig neuen Enthüllungen nur schwerlich politisieren. Das Problem betrifft augenblicklich alle Oppositionsparteien. Es reicht aber viel weiter. Schon im eigenen Bekanntenkreis fällt auf, wie wenig sich die meisten an der Affäre zu stören scheinen. Die Bedrohung der eigenen Freiheit durch das Ausspionieren von Daten wird nicht oder kaum gesehen. Aus einer zynischen Grundsatzhaltung heraus wundert sich ohnehin kaum jemand über diese Geheimdienstaktivitäten.

Allerdings: Eine Gesellschaft, die lebhaft über Volkszählungen oder die Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit debattiert hat, besitzt natürlich auch einen Resonanzboden für das klassische liberale Sujet, sich für die Freiheit des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen oder Überwachungen einzusetzen. Doch es braucht entweder realer, bedrohter oder gefühlter Unfreiheit. Das setzt aber mitunter eine greifbare Symbolik oder ein klares Feindbild voraus. Das fehlt gegenwärtig und auch den Piraten gelingt es nicht hinreichend, ein solches zu konstruieren.

Natürlich artikuliert die Piratenpartei auf allen Ebenen Kritik an den Vorgängen der amerikanischen Geheimdienste. Darin unterscheidet sie sich zunächst aber nicht von den anderen Oppositionsparteien. Gegenüber diesen mangelt es ihr sogar an hinreichend profiliertem Personal, was in der Struktur der Partei angelegt ist. Die Masse, die Basis der Partei also, ist darin alles. Einzelnen, herausgehobenen Persönlichkeiten steht man hingegen skeptisch gegenüber. Misstrauen gegenüber dem Parteivorstand, den Themenbeauftragten, den Abgeordneten oder den Bundestagskandidaten ist kein seltenes Phänomen bei den Piraten. Der immense Verschleiß von Personal auf allen Ebenen zeugt davon. Dadurch fehlt es den Piraten aber gegenwärtig an exponierten Personen, die ausreichend Vertrauen in der Partei genießen, sich in dieser Angelegenheit nicht nur kompetent, sondern auch im Namen der Partei äußern zu dürfen.

Doch selbst wenn man all das außen vor ließe, können die Piraten auch so gegenwärtig nicht mit ihren Themen durchdringen. Das gilt gleichermaßen für die konventionellen wie die digitalen Medien. Viel zu groß ist nämlich zunächst einmal der Vertrauensverlust, den man im Zuge der zahlreichen Kabalen, personellen Querelen, Skandale oder Unzulänglichkeiten seit Mitte 2012 erfahren hat. Zudem, und das ist auch keineswegs das geringste Problem: Wirkliche Lösungsansätze können die Piraten auch nicht bieten. Es mangelt ihnen an einer originellen Idee, die über die Kritik der Verhältnisse hinausgeht.

Natürlich ist all das schwierig und die Piraten teilen dieses mit den Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag. Doch diese verfügen eben über konventionelle Ressourcen, die ihnen ausreichen. Die Piraten als neuer Akteur, in die man im Zuge der erfolgreich bestrittenen Landtagswahlen eben auch gesteigerte Erwartungen setzt, müssten konzeptionell mehr in der Affäre entgegensetzen können, zumal es sich eben um ihr Kernthema handelt.

Doch man vernimmt von ihnen nicht mehr als von den etablierten Parteien. Ein entscheidender Grund dafür ist, dass die Partei nach ihrem Anfangserfolg 2009 nicht an ihrer Kernkompetenz weitergearbeitet hat. Sowohl die Konsolidierung der Partei als auch die thematische Diversifizierung haben die entsprechenden Ressourcen gebunden. Die hybride, ja fast anarchische Parteistruktur leistet ebenfalls ihren Beitrag dafür, dass die Piraten die durchaus vorhandenen Ansätze und Kompetenzen mehr zufällig, aber in der Regel nicht strategisch zusammenführen.

Damit müssten das die Piraten nunmehr tun. Die Piratenpartei war ja gerade in ihrem elektoralen Hoch ein Versprechen, Missstände im politischen System, aber eben auch unzureichend bearbeitete politische Themen wieder zu repräsentieren. Dieser Vertrauensvorschuss zählt nur nicht allzu lange, insbesondere wenn eine Partei sich stark mit sich selbst beschäftigt. Auch wenn die personellen Querelen in der Zwischenzeit befriedigt erscheinen, so war doch die Zeit zu kurz, um sich thematisch in der Form zu konsolidieren, dass man auf das nun so aktuelle Thema PRISM hätte adäquat reagieren können.

Dr. Stephan Klecha und Alexander Hensel sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zum Abschluss des von der Otto-Brenner-Stiftung initiierten und der Hans-Böckler-Stiftung kofinanzierten Forschungsprojekts (www.piraten-studie.de) zur Piratenpartei veröffentlichen sie in dieser Woche das Buch „Zwischen digitalem Aufbruch und analogem Absturz: Die Piratenpartei“