Im spätsommerlichen Magdeburg fand am vergangenen Wochenende der Landesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt statt.[1] Knapp 400 AfD-Mitglieder trafen in offenbar gelöster – und von keinerlei Gegendemonstrationen eingetrübten – Stimmung zusammen, um einen neuen Landesvorstand zu wählen. Dabei ging es im Saal des AMO-Kulturhauses verblüffend ruhig zu. Statt der früher im AfD Landesverband üblichen Strömungsschlachten war im Versammlungssaal vor allem Einigkeit, Disziplin und straffe politische Führung zu beobachten. Der zusehends konsolidierte Landesverband der AfD in Sachsen-Anhalt rüstet sich für einen politisch heißen Herbst, in dem er Protestdynamiken entfachen und orchestrieren will.
Die Magdeburger Einheit kam indes nicht von ungefähr. Schon länger sind einst zentrale Strömungskonflikte der AfD Sachsen-Anhalt in Auflösung: Bereits bei den letzten Vorstandswahlen im August 2020 waren moderater ausgerichtete Kräfte im Vorstand merklich geschwächt worden.[2] Das radikalere und dem Flügel-Netzwerk um Björn Höcke nahestehende Lager wuchs hingegen merklich und besetzte zentrale Vorstandsposten mit teils äußerst radikalen Kandidaten.[3] Mit der weiteren personellen Rechtsverschiebung besiegelte die AfD Sachsen-Anhalt zwar ihre Anfang 2021 offiziell verkündete Beobachtung durch den Verfassungsschutz, konnte innerparteilich aber die mit dem Parlamentseinzug entstandenen Konflikte zwischen parlaments- und bewegungsorientierten Kräften überwinden.[4]
Nach dieser Klärung sammelten sich die meisten Funktionäre hinter der politischen Führung von Landtagsfraktion und Landesverband, welcher sich merklich konsolidierte: Während viele andere AfD-Landesverbände in den letzten zwei Jahren schrumpften, bleiben die Mitgliedszahlen in Sachsen-Anhalt bei etwa 1350 stabil. Auch bei den Landtags- und Bundestagswahlen 2021 setzte der Verband einen Kontrapunkt zum negativen Bundestrend der Partei und verteidigte seine Position als stärkste Oppositionskraft im Land.[5] Die Wahl Martin Reichardts in den AfD-Bundesvorstand im Juli 2022 in Riesa verschaffte der sachsen-anhaltinischen AfD überdies wieder mehr Gewicht im Bundesverband. Der aus Sachsen stammende AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla lobte seinen Nachbarverband im Grußwort auf dem Magdeburger Parteitag als wohltuend sorgenfrei und für seine vorbildliche Oppositionsarbeit.
Angesichts dieser positiven Bilanz präsentierte sich die ältere Führungsgarde in ihren Kandidatenvorstellungen äußerst selbstbewusst, offensiv und radikal: [6] AfD-Landeschef Reichardt beschwor in gewohnt donnernder Rhetorik, dass nur die AfD als „patriotische Partei“ zum Vaterland stehe und auch in Zukunft „keinen Millimeter nach links“ rücken dürfe. Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion Oliver Kirchner versprach, auch bei politischem Gegenwind „wie mit einem 12er-Dübel in Beton angeschraubt“ für die gemeinsame Sache zu stehen. Neben Lösungen für kleinteilige landes- und kommunalpolitische Probleme wiederholte er die AfD-Forderung nach einer „Abschiebeoffensive“, die einer „Luftbrücke“ gleich jeden Tag Menschen in ihre Heimatländer zurückbringe, die zuvor gelogen und betrogen hätten.
Die radikalste politische Kritik präsentierte der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der das Land „am Vorabend eines großen Raubzugs“ wirtschaftlicher Akteure aus Washington und Brüssel verortete. Weil auch CDU und FDP zu den „Helfershelfern der Deutschland-Plünderer“ zählten, müsse die AfD, statt Regierungskoalitionen anzustreben – in historischer Kontinuität von u. a. Bismarck und Stauffenberg –, „die deutsche Sache“ verteidigen und dürfe den „Weg des Widerstands nicht verlassen“.
Während teils äußerst radikale Positionen von den anwesenden Parteimitgliedern mitunter mit tosendem Applaus bedacht wurden, schlugen einige der jüngeren Kandidaten auch strategisch moderatere Töne an. [7] Der jüngst zum zweiten Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion beförderte und an der Parteibasis äußerst populäre Abgeordnete Ulrich Siegmund forderte zwar, dass er das „wunderschöne Vaterland“ wieder zu dem machen wolle, was es einmal gewesen sei. Er wolle aber „nicht ewig Opposition sein“ und „Verantwortung für die Heimat“ übernehmen, wofür man einig, kooperativ und konstruktiv vorgehen müsse.[8] Der zum Beisitzer gewählte AfD-Landtagsabgeordnete Gordon Köhler betonte zudem, dass man neben politischer Kritik auch „positive Ideen für das Land“ entwickeln müsse, um öffentlich wahrgenommen zu werden.
Die Vorstandswahlen zeitigten vor allem personelle Kontinuität. So wurden insgesamt nur zwei von 13 Personen neu in den Vorstand gewählt, sieben Posten wurden mit denselben Personen wiederbesetzt. Hinzu kamen kleinere Personalrochaden: So wurden der AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Kirchner sowie der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt als vorherige Beisitzer nun zum stellvertretenden Vorsitzenden bzw. Generalsekretär gewählt. Insgesamt nimmt damit einerseits die ohnehin starke Stellung von AfD-Parlamentariern im Landesvorstand weiter zu. Während die engere Führung des Landesverbands in der Hand der AfD-Bundestagsabgeordneten verbleibt, steigt der Einfluss der AfD-Landtagsabgeordneten im Vorstand leicht.[9] Andererseits ist eine weitere personelle Rechtsverschiebung zu bemerken: Alle vier Führungsposten im Landesvorstand sind nun mit Anhängern der radikalen, dem ehemaligen Flügel-Netzwerk zugehörigen Akteure besetzt,[10] während einstige Vertreter eines moderateren Kurses zur Wahl nicht mehr antraten.
Der Ablauf der Neuwahlen verwies abermals auf organisatorische Lern- und Professionalisierungsprozesse des Landesverbands.[11] Im Gegensatz zu früheren Landesparteitagen, auf denen schier endlose Vorstellungen, harte Diskussionen und plötzliche Gegenkandidaturen zu einem zähen und unberechenbaren, aber auch virilen Kandidatenwettbewerb beitrugen, verliefen die Neuwahlen nun verblüffend diszipliniert und orchestriert ab: Nicht mehr einfache Mitglieder oder mittlere Funktionäre, sondern die obere Führung von Landesverband und Landtagsfraktion schlugen für einen Posten genau einen aus ihrer Sicht geeignete Kandidaten vor.[12] Diese bedankten sich in ihren seiner Vorstellungsrede für das entgegengebrachte Vertrauen, beteuerten, sich konstruktiv in den vorgegebenen Kurs der politischen Führung einzubringen und wurden von den angereisten Mitgliedern schließlich mit Ergebnissen meist um die 90 Prozent gewählt.[13] Auf diese Weise entfernt sich der Landesverband mehr und mehr von der offenen und basisdemokratischen Organisationskultur der Gründerjahre, gewinnt aber Stabilität und personelle Kontinuität, die Grundlagen einer weiteren Konsolidierung und Professionalisierung bilden.
Politisch bereitet sich die AfD Sachsen-Anhalt derweil auf einen politisch heißen Herbst vor, in dem sie die anschwellenden außen-, energie- und sozialpolitischen Konflikte für sich nutzen will.[14] Hierzu erneuert sie einerseits ihre populistische Pose als grundlegende Alternative zur etablierten Politik, deren Klimapolitik, Corona-Einschränkungen und Russland-Sanktionen das Land in die „schwerste Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg“ zu stoßen drohe.[15] Andererseits will die AfD den „facettenreichen und friedlichen Widerstand der Bürger gegen die destruktive Politik der Altparteien“ politisch repräsentieren und anführen.[16] So sollen lokale Proteste organisatorisch unterstützt und gegen die nervöse Präventivkritik der etablierten Parteien in Schutz genommen werden.
Zugleich will die AfD jedoch nicht nur im Protest mitlaufen, sondern auch anführen. So wurden Mitglieder und Funktionäre dazu aufgerufen, selbst aktiv Veranstaltungen zu organisieren, für die vom Vorstand finanzielle Hilfen bereitstellen will.[17] Schließlich, so Hans-Thomas Tillschneider, sei die AfD die „Avantgarde“. Daher müsse es alsbald „in jedem Kreis in Sachsen-Anhalt ein blaues Demonstrationsangebot geben“, damit die Bürger ihre Wut zum Ausdruck bringen könnten. Alexander Hensel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und befasst sich seit mehreren Jahren mit der Parteien- und Parlamentsentwicklung der AfD. Zur AfD Sachsen-Anhalt hat er an mehreren Studien für die Otto-Brenner-Stiftung (2016, 2017) mitgearbeitet und danach weitere AfD-Landesparteitage besucht, beobachtet und analysiert.
[1] Der Verfasser hat den Landesparteitag am 28.08.2022 vor Ort besucht. Zitate aus der Parteitagsdebatte auf dem Podium und an Saalmikros wurden schriftlich protokolliert und sind folgend nicht eigens belegt.
[2] Vgl. Hensel, Alexander: „Seid einig, einig, einig!“, in: Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, 24.09.2020, URL: https://www.demokratie-goettingen.de/blog/afd-landesparteitag-sachsen-anhalt [eingesehen am 29.08.2022]. Zum Vorstandswahl 2018 vgl. Hensel, Alexander: AfD Sachsen-Anhalt: Zwischen Partei und Bewegung, in: ebd., 17.09.2018, URL: https://www.demokratie-goettingen.de/blog/analysiert/afd-sachsen-anhalt-zwischen-partei-und-bewegung [eingesehen am 29.08.2022].
[3] Dies gilt vor allem für die Wahl des bereits damals vom Verfassungsschutz beobachteten AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider zum stellvertretenden Landesvorsitzenden. Vgl. Hensel: Seid einig, a.a.O.
[4] Vgl. im Detail dazu Hensel, Alexander; Finkbeiner, Florian u.a.: Die AfD vor der Bundestagswahl 2017. Vom Protest zur parlamentarischen Opposition. OBS-Arbeitsheft 91, Frankfurt a. M. 2017, hier S. 52 ff.
[5] Bei den Landtagswahlen 2021 erzielte die AfD mit 20,8 % im Vergleich zur LTW2016 zwar leichte Verluste (−3,4 %), bildet mit 23 Abgeordneten (−2) aber weiter die größte Oppositionsfraktion im Magdeburger Landtag. Bei den Bundestagswahlen 2021 konnte sie ihr Landesergebnis (19,6 %) gegenüber dem negativen Bundesergebnis (−2,3 %) konstant halten.
[6] Vgl. dazu auch Eichler, Hagen: Die AfD erklärt andere zu Feinden, in: Mitteldeutsche Zeitung (online), 28.08.2022, URL: https://www.mz.de/mitteldeutschland/sachsen-anhalt/kommentar-zur-rechtsaussen-partei-die-afd-erklart-andere-zu-feinden-3433905 [eingesehen am 30.08.2022]
[7] Zu den sich andeutenden strategischen Nuancen in der neuen Landesführung vgl. Eichler, Hagen: Sachsen-Anhalts AfD-Chef will Energieproteste „an der Front“ anführen, in: Mitteldeutsche Zeitung (online), 28.08.2022, URL: https://www.mz.de/mitteldeutschland/sachsen-anhalt/sachsen-anhalts-afd-landeschef-will-energieproteste-an-der-front-anfuhren-3433717 [eingesehen am 31.08.2022]
[8] Wie schon bei den letzten Vorstandswahlen erzielte Siegmund mit diesmal 97,8 % das höchste Wahlergebnis des Parteitags und erntete trotz etwas zurückgenommeneren Rhetorik heftigen Applaus.
[9] Zum einen steigt die Zahl der AfD-Landtagsabgeordneten insgesamt merklich an (+3), auch weil wiedergewählte Vorstandsmitglieder 2021 inzwischen in den Landtag eingezogen sind. Zum anderen übernehmen die fünf Führungsfiguren der AfD-Landtagsfraktion (Vorsitzende und Stellvertreter) alle zentralen Vorstandsposten.
[10] Vgl. etwa Vorreyer, Thomas: AfD in Sachsen-Anhalt will MDR ermahnen lassen, in: MDR.de, 28.08.2022, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landespolitik/afd-parteitag-magdeburg-100.html [eingesehen am 30.08.2022]. Der AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Kirchner stellte seiner Kandidatenvorstellung sogar eine „persönliche Einschätzung seiner Person“ durch Björn Höcke voran.
[11] Vgl. hierzu bereits Hensel: Seid einig, a.a.O.
[12] Nachdem der letzte Landesvorstand aussschließlich mit Männern besetzt war, findet sich im neuen auch eine Frau. Sie war eine von zwei weiblichen Kandidatinnen, die auf dem Landesparteitag angetreten waren.
[13] Eine Ausnahme bildet AfD-Abgeordneter Hannes-Loth, der mit nur 54,1 % zum fünften Beisitzer gewählt wurde. Er wurde – mit dem alten Vorstand offenbar nicht abgesprochen – vom AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Roi vorgeschlagen. Aus der Parteiführung wurde hierauf mit dem Vorschlag eines Gegenkandidaten reagiert, bevor eine weitere Kandidatin ins Rennen geschickt wurde.
[14] Zur Protestpolitik der AfD vgl. Hensel, Alexander: Von der Partei zur Bewegung – und wieder zurück? Zur Entwicklung der AfD als Parteienbewegung, in: Bukow, Sebastian; Jun, Uwe; Siegmund, Jörg (Hg.): Parteien in Bewegung, Baden-Baden, S.67-94.
[15] Vgl. AfD-Landesverband-Sachsen-Anhalt: Frieden, Freiheit, Wohlstand – An erster Stelle Deutschland!“, Antrag für den Landesparteitag vom 12.08.2022, ausliegend auf dem LPT22 in Magdeburg am 28.08.22. Zur Lösung der skizzierten Probleme fordert die AfD eine sofortige Abschaffung der Russland-Sanktionen, Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und Vermittlung von Friedensgesprächen durch neutrale Staaten oder Einzelpersonen sowie einen „vernünftigen Energiemix“ unter Einbeziehung von Kohle und Kernenergie, vgl. Vorreyer: MDR, a.a.O. sowie Eichler: Energieproteste, a.a.O.
[16] AfD-Landesverband-Sachsen-Anhalt: Frieden, a.a.O., S.1.
[17] Vgl. ebd., S. 2.