Große Koalition oder Träume von Jamaika Franz Walter über die Tiefenstrukturen der deutschen Politik und Gesellschaft Ein SPIEGEL ONLINE Buch In Deutschland regiert die Große Koalition. Aber kaum jemand mag das schwarz-rote Bündnis. Die Bürger reagieren enttäuscht. Und auch die Parteien von Merkel und Müntefering lieben nicht, was sie aus der Not des Bundestagswahlergebnisses Ende 2005 zusammenfügen mussten. Die Suche nach neuen Allianzen hat daher bereits begonnen.
Ein Zurück zu den alten Formationen scheint jedenfalls nicht möglich. Deutschland ist kein Land klassischer Koalitionen mehr. Die großen industriegesellschaftlichen Kollektive schrumpfen dahin. Die Verbindlichkeiten in Lebenswelten, Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen haben sich verflüchtig, ohne dass die Wünsche nach Orientierungen und Sicherheiten verschwunden sind. In den sozialen Souterrains der Republik entstehen neue subproletarische Lebensverhältnisse; in der Beletage des Landes breitet sich eine veränderte Bürgerlichkeit aus. Die traditionellen politischen Muster von Adenauer über Brandt bis Kohl verlieren infolgedessen mehr und mehr an Gültigkeit und Rückhalt.
Aber wohin führt die Entwicklung? Schon die Fußball-WM im Sommer 2006 hat es deutlich gezeigt: Die Deutschen wären nach Jahren der Depression und Tristesse nur zu gerne heiter und unbeschwert. Und so träumt auch der eine oder andere in der Politik von neuen, bunteren Paarungen, vom lustvollen politisch-kulturellen Experiment in den Farben von Jamaika. Damit wäre die Wiedervereinigung des deutschen Bürgertums vollzogen, würde ein Bogen gespannt vom grünen Neubürgertum bis zum schwarz-gelben Altbürgertum.
Vom Wandel des Landes handelt dieses Buch. Sein Autor dringt mit analytischen Betrachtungen in die gesellschaftlichen und politischen Tiefenschichten des Übergangs ein. Er blickt auf die Geschichte, analysiert die Gegenwart und reflektiert über die Zukunft der deutschen Republik.