[kommentiert]: Jöran Klatt über einen drohenden Abstieg der LINKEN und der FDP
Es wirkt wie ein Abstiegskampf in Reinform: Über zwei Parteien – FDP und DIE LINKE – schwebt das Damoklesschwert des politischen Aus. Und auch wenn die beiden Kleinparteien auf den ersten Blick ungleicher nicht sein können, haben sie zum Teil mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Vor allem die Sogkräfte des allgemeinen Mitte-Konsenses machen ihnen zu schaffen – dieser Trend zeichnete sich jedoch bereits seit längerem ab. Wie also gerieten beide Parteien in diese absehbare Krise, was ist bei beiden ähnlich, was unterschiedlich und: Wie geht es weiter?
Für die FDP begann alles mit knallenden Sektkorken: 2009 gelang es Guido Westerwelle und Co., den Unmut der Menschen über das Mitte-zentrierte Bündnis der Großen Koalition und den Wunsch nach einem politischen Lagerpurismus zum eigenen Vorteil zu nutzen. Doch bereits am Wahlabend verrannte man sich in eine trügerische Selbstsicherheit, denn es fiel den siegestaumelnden Liberalen schwer, anzuerkennen, dass es sich eben nur um auf Zeit geliehene Stimmen und nicht um einen Gezeitenwandel handelte. Manch einer, der einst durch seine Stimme für die FDP die Zweckehe von CDU und SPD zu beenden suchte, würde heute wiederum vermutlich gerne die Technokraten Steinmeier, Steinbrück, Merkel und von der Leyen an einem Kabinettstisch sehen. Die sozial-liberalen Potenziale haben inzwischen – keine drei Jahre nach dem Wahlerfolg der Freidemokraten – Heimat in anderen Parteien gefunden, sind vor allem zur Piratenpartei gewechselt.
Ähnlich verhält es sich mit den LINKEN, die sich seit der Bundestagswahl 2009 im Parteiensystem etablieren konnten. Vor dem mit 11,9 Prozent mehr als guten Ergebnis prognostizierte zwar manch politischer Beobachter noch ein nurmehr kurzes Intermezzo der Partei auf der politischen Bühne; ihr Aufstieg wurde (und wird) zuweilen als „Lafontaine-Nostalgie“ abgetan. Dabei gilt die Präsenz der fünften Kraft heute mehr oder weniger als selbstverständlich, obgleich die Umfrageergebnisse zurückgehen und die erneuten Einzüge der Partei in die Landtage Nordrhein-Westfalens oder Niedersachsens sowie in den Bundestag als gefährdet gelten. Trotz einer inzwischen vorhandenen Stammwählerschaft sind auch der Linkspartei die Wechselwähler mittlerweile wieder abhanden gekommen; und auch hier sind Stimmen an die Piratenpartei übergegangen.
Für die FDP wiederum kommt erschwerend hinzu: Das Stammwählerpotenzial der Partei ist äußerst überschaubar und zudem leicht zu verschrecken. Ein FDP-Wähler hat einen hohen Anspruch an seine Partei. Den legitimen individuellen Nutzen, von dem ein solcher seine Stimme abhängig macht, kann die FDP außerparlamentarisch nicht mehr garantieren. Diese Wähler werden sich genau überlegen, ob sie bei Umfragewerten um drei Prozent nicht lieber ein „kleineres Übel“ im Parlament stärken, als ideologisch begründet zu versuchen, den Freidemokraten das Überleben außerhalb des Parlamentes zu sichern. Mit bedingungsloser Treue ihrer Stammwählerschaft sollte die FDP jedenfalls wohl eher nicht rechnen.
Die heilige Kuh der Neoliberalen, der freie Markt, ist nach wie vor Konsens innerhalb der Parteien. Keine etablierte Partei, nicht einmal DIE LINKE (abgesehen einiger sektiererischer Gruppen), stellt die marktwirtschaftliche Ordnung prinzipiell in Frage. Und doch hat der freidemokratisch propagierte ökonomische Liberalismus offensichtlich an Überzeugungskraft stark eingebüßt. Übrig bleibt eine Partei, die marktwirtschaftlicher als der Markt sein möchte.
Ähnlich ist es bei der LINKEN: Eifrig beschwören sie zwar die Relevanz alternativen Wirtschaftens und zitieren den Keynesianismus als Antwort auf die Finanzkrisen, doch haben sie hier bislang kein Ausrufezeichen setzen können. Der Konsens der Republik ist ein anderer: Sozialstaat und ökonomische Sachzwänge stehen für die anderen vier Parteien nicht im Widerspruch zueinander. Und somit tut sich die Linke schwer, ihren sozialeren Sozialstaat gegen das Modell der Mitte-Technokraten, nämlich das eines überlebens- und wettbewerbsfähigen und somit „vernünftigeren“ Sozialstaats, hochzuhalten. Die Opposition zum politischen Konsens spülte die LINKE zwar über die Fünf-Prozent-Hürden, doch rennt sie mit der Forderung, den Sozialstaat zu bewahren, für viele eher offene Türen ein.
Das ist die größte Gemeinsamkeit der Krisen beider Parteien: Sie vertreten Reinformen von Argumentationen, die allgemein als unstrittig gelten und zeitgleich ist es keiner von ihnen gelungen, den Sinn und Zweck eines ideologischen Purismus gegen den allgemeinen Konsens, einer sich als postideologisch und technokratisch inszenierenden Mitte, plausibel zu vermitteln.
Für den „Neuling“ im gesamtdeutschen Parteiensystem, was DIE LINKE bis zum Auftauchen der Piraten war, wurde der Einzug in die westlichen Parlamente somit eher zur Bürde als zur politischen Chance. Obgleich der Einzug in diverse Landtage zunächst noch als Aufbruch und Wandel interpretiert worden war – aus dem einstigen Störenfried wurde dadurch ein Teil des Systems. Und so erschien die parlamentarische Sozialisation der LINKEN manchem Protestwähler eher als erzwungene Domestizierung denn als ein natürlicher Reifeprozess. Den Gemäßigteren dagegen fehlte wiederum ein deutliches Zeichen von politischem Gestaltungswillen. Doch die Dunkelroten haben es gerade dadurch noch etwas leichter als die FDP. Im Gegensatz zu den Freidemokraten haben sie ein quantitativ stabiles Kernmilieu im so genannten Prekariat. Und im Gegensatz zu den Liberalen verfügt die Partei damit über jemanden, der sie im paternalistischen Sinne als Schutzpatron braucht.
Indes: In Oppositionszeiten kann die SPD auch wieder links punkten und so auch denjenigen, die sich einst in die Arme Lafontaines geflüchtet haben, den Weg von der Nelke zur Rose wieder attraktiver machen. Dass im linken Lager vor allem seit der Agenda 2010 und Hartz IV die Gräben tief sind und Streitigkeiten generell oft intensiver ausgefochten werden als im bürgerlichen Lager, ist wohl der Hauptgrund dafür, dass die SPD vom linken Tief noch nicht in gleichem Maße profitieren kann wie Grüne, Piraten und CDU von der „gelben Krise“.
Umgekehrt sind jene, die die FDP einst als ihre eigene Interessenvertretung nutzten, nicht zwingend auf sie angewiesen und finden schon seit längerem notfalls auch Bündnispartner in anderen Parteien oder Organisationen. Die FDP wiederum hat sie zuletzt zu sehr gesucht und ist nun abhängig von den wenigen Mächtigen, die ihr die Treue und sie von außen über Wasser halten. Was übrig bleibt, ist eine nach oben hin gut vernetzte und organisierte Partei, die an der Basis jedoch kein stützendes Fundament hat. Es ist noch nicht lange her, da konnten die Liberalen – vor allem durch den Antibürokratie-Slogan – auch in prekären Lebenswelten den einen oder anderen Punkt machen. Frustrierende Erfahrungen mit dem Arbeitsamt taten dabei ihr Übriges. Doch diese Zeiten sind selbstverschuldet vorbei. Man hat sich gegen einen mehr als nur rhetorisch „mitfühlenden Liberalismus“ und stattdessen für die marktradikale Variante entschieden.
Somit bleibt in der von Abstiegsängsten geprägten Welt von Hartz IV neben SPD und CDU vor allem die LINKE der zentrale Ansprechpartner. Denn in den betreffenden Milieus ist es der Partei gelungen, Bindekräfte zu entwickeln und starke Präsenz zu zeigen. Ganz anders als bei den Liberalen kann dadurch der Verlust der parlamentarischen Präsenz hier aufgefangen werden. Weiter noch: Dieser könnte sogar die teils erodierten Bindungen an die Protestwähler, die sich selbst vom politischen Diskurs verraten und ausgestoßen fühlen, wieder verstärken. Was als elektoraler K.O.-Schlag gefürchtet wird, könnte sich letztendlich als der leichte Schlag auf den Hinterkopf erweisen, der die LINKE wieder dorthin treibt, wo sie zumindest im Westen der Republik herkommt: in jene Milieus und Stadtviertel, die von den aufgestiegenen Genossen einst verlassen wurden.
Alles sieht danach aus, als würden auch nach den nächsten Wahlen nur wenige dunkelrote und blaugelbe Sektkorken an die Partydecken fliegen. Vielmehr werden Krisensitzungen und Fernseh-Specials zum jeweiligen Abstieg der parteilichen Repräsentanten jener politisch-ideologischen Ränder folgen. Doch wie geht es dann weiter? Beiden Parteien droht – im Gegensatz zu manch einem Schwanengesang, der dieser Tage angestimmt wird – wohl nicht das politische Ende. Die FDP ist in ihren Spitzen zu gut organisiert, die LINKE nach unten bereits zu gut verankert. Wahrscheinlicher ist, dass sich beide Parteien von ihren Krisen erholen, notfalls auch in der außerparlamentarischen Opposition. Die LINKE wird den Kitt in ihren wichtigsten Kernmilieus erneuern können, die FDP wird sich wohl neue suchen müssen. Am Ende könnten dann zwei gestärkte Parteien zurückkehren, die die technokratisch sozial-liberale Mitte, die CDU, SPD, Grüne und Piraten derzeit bilden, daraufhin prüfen würden, wie liberal und wie sozial sie tatsächlich gewesen ist. Auch der Mitte-Sog wird irgendwann wieder an Kraft verlieren.
Jöran Klatt ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.