Wahlkampf – Who cares?

[kommentiert]: Jan Kotowski über die anstehende US-Wahl

Trotz aller Bemühungen der amerikanischen Medien, die bevorstehende Präsidentschaftswahl (von den gleichzeitigen Kongresswahlen spricht ohnehin fast niemand) als enges Rennen zu inszenieren, will sich innerhalb der Bevölkerung kein wirkliches Wahlkampffieber bemerkbar machen. Fast schon rührend mutete der Versuch der Medien an, die TV-Debatten als potentielle „game changer“ zu vermarkten. Historisch und politikwissenschaftlich gesehen ist der Effekt von TV-Debatten auf Wahlergebnisse jedoch äußerst gering. Interessantweise hat es sich aber doch so ergeben, dass Mitt Romney durch die erste TV-Debatte in der Tat einen beachtlichen Umschwung in einigen Umfragen erreichen konnte. Auch wenn sich bei den Demokraten deswegen bereits typische Panik breit machte (die durch Obamas „Punktsieg“ in der zweiten Debatte schon wieder etwas abgemildert wurde), fehlt der bevorstehenden Wahl trotzdem jedwede Aura von Brisanz oder Enthusiasmus.

Nun sind die USA freilich ein sehr großes Land mit gewaltigen regionalen Unterschieden, und man muss sich bei persönlichen Beobachtungen stets bewusst sein, dass diese bestenfalls einen kleinen Abschnitt einer größeren Wirklichkeit darstellen. Dies gilt umso mehr für meinen Wohnort, das Surfer- und Uni-Städtchen Santa Cruz, 100 Kilometer südlich von San Francisco direkt am Pazifik gelegen. Als selbsterklärte Bastion der Gegenkultur wählt Santa Cruz County selbstredend demokratisch, bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen sogar mit jeweils über 70 Prozent der Stimmen. Darüber hinaus gilt Kalifornien heute als praktisch uneinnehmbare Festung der Demokraten: Seit 1992 hat jeder demokratische Kandidat mindestens eine Million Stimmen mehr erhalten als der republikanische Gegenkandidat. Bedingt durch das amerikanische Wahlsystem sind republikanische Stimmen in Kalifornien also ähnlich wertlos wie demokratische in den meisten Südstaaten.

Hieraus resultiert das bekannte Problem, dass sich die Wahl in einigen wenigen „battleground states“ entscheidet. Dementsprechend bekommt man in Santa Cruz auch kaum einen Wahlwerbespot zu sehen, wird aber bereits an der Grenze zu Nevada mit Werbung förmlich überschüttet. Zwar ist dies ein durchaus ernstzunehmendes demokratietheoretisches Problem; bedingt durch die Reformträgheit des amerikanischen politischen Systems wird sich hieran in naher Zukunft aber kaum etwas ändern. Ein weiterer Indikator für den Mangel an Enthusiasmus ist die rückläufige Entwicklung bei der Wählerregistrierung. Zwar sind hiervon beide Parteien betroffen, aber insbesondere Obama scheint Probleme bei der Mobilisierung von Wählern zu haben und dies zudem auch noch in den ausschlaggebenden „swing states“ wie Colorado, Iowa, Florida, Nevada, Ohio und Virginia.

Das Thema Wählerregistrierung an sich ist hochgradig politisiert, da die Demokraten den Republikanern (zu Recht) vorwerfen, typische Demokraten-Wähler wie Afroamerikaner, Latinos, Rentner und Jungwähler durch neue Registrierungsvorschriften von der Stimmabgabe abhalten zu wollen. Die Komikerin Sarah Silverman hat hierzu einen in den sozialen Netzwerken vielbeachteten – und typisch derben – Videoclip veröffentlicht.

Allerdings sind diese strukturellen Probleme nichts wirklich Neues und sie änderten auch nichts daran, dass bei der Wahl vor vier Jahren landesweit eine völlig andere Stimmung herrschte. Woran liegt es also, dass dieses Jahr ein solches Desinteresse an der Wahl zu beobachten ist? Nun, zunächst einmal muss die Wahl von 2008 als Abrechnungsprojekt mit acht hochemotionalen und kontroversen Jahren unter Bush junior verstanden werden. Nach vier Jahren unter Obama mag sich eine solche Wechselstimmung natürlich (noch) nicht einstellen, allerdings haben Dauerrezession und kontinuierlich hohe Arbeitslosenzahlen zu einer weit vernehmbaren Ernüchterung beigetragen. Entscheidender für das Enthusiasmusdefizit dürften jedoch die beiden Kandidaten selbst sein.

Obama hat bei der linken Basis sehr viel Kredit verspielt. Conor Friedersdorf hat dies in einem viel beachteten Beitrag im Atlantic auf den Punkt gebracht: „Why I refuse to vote for Barack Obama“. Hauptpunkte seiner Kritik sind der Drohnenkrieg in Pakistan, das Exekutivrecht, amerikanische Staatsbürger auf eine Tötungsliste zu setzen und der ohne Ermächtigung vom Kongress vorgenommene Libyen-Einsatz. Hinzufügen lassen sich zahlreiche innenpolitische Bereiche wie zum Beispiel die extrem restriktive Einwanderungspolitik. Zwar mögen diese Punkte für den typischen Demokraten-Wähler keine herausragende Rolle spielen, aber sie tragen in ihrer Gesamtheit doch dazu bei, dass sich die Begeisterung für Obama, insbesondere bei den für die Kampagne in 2008 so bedeutsamen Jungwählern, in engen Grenzen hält.

Wenn also der „Mythos Obama“ durch vier Jahre mühsamer Regierungsarbeit etwas entzaubert ist, bedeutet dies dann im Umkehrschluss, dass Mitt Romney als Alternative hiervon notwendigerweise profitiert? Nicht einmal ansatzweise. Romney ist – aus Sicht der republikanischen Basis – ein klassischer Kandidat des geringeren Übels. Die Evangelikalen haben mit seinem mormonischen Glauben ohnehin ein prinzipielles Problem und für Fundamentalkonservative hat er aufgrund seines „track records“ ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nun ist die konservative Abneigung gegen Obama – sei es aus ideologischen oder nur notdürftig verschleierten ethno-kulturellen Gründen – aber stark genug, dass sich selbst ein so schwacher Kandidat wie Romney erstaunlich gut im Rennen halten kann. In einer primär von einem Enthusiasmusdefizit gekennzeichneten Wahl wie dieser verbraucht sich dann sogar eine fundamentale Wählerbeschimpfung wie Romneys „47%-Rede“ innerhalb kürzester Zeit in der abgestandenen Luft des routiniert-hysterischen Wahlkampfspektakels.

Jan Michael Kotowski ist Dozent an der University of California Santa Cruz.