Von der Tragödie zur Farce

[analysiert]: Benjamin Mayer über den Machtkampf innerhalb der NPD kurz vor dem  bevorstehenden Bundesparteitag

„Der 29jährige Verlagskaufmann Holger Apfel hat in seinen jungen Jahren eine steile Karriere als JN- und NPD-Führungskraft hinter sich und zählt heute zu den wichtigen Schlüsselpersonen des Parteivorstandes.“ Dies schrieb Udo Voigt noch 1999 in einem Kurzporträt über seinen politischen Ziehsohn. Zehn Jahre später sollte Apfel das erste Mal einen Versuch unterstützen, den seit 1996 amtierenden Parteivorsitzenden zu stürzen. Bereits 2009 hatte eine Fraktion um Holger Apfel und Udo Pastörs versucht, Voigt als Parteivorsitzenden der NPD abzulösen. Zunächst hatte man hierzu Andreas Molau ins Rennen geschickt, welcher allerdings nie zur Wahl antreten sollte, sondern seine Kandidatur wieder zurückzog. Stattdessen versuchte 2009 Pastörs, Vorsitzender der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, mit Unterstützung von Apfel an die Spitze der Partei zu gelangen. Auch dies misslang. Rund zwei Jahre später tritt Holger Apfel nun selbst gegen Voigt an, um durch einen Wechsel an der Spitze der Partei „endlich wirkungsvoll die deutsche Politik [zu] beeinflussen“.

Was sich unter ihm ändern würde, versuchte der Herausforderer kürzlich herauszustellen. Apfels Erneuerungskonzept ist unter dem Namen der „seriösen Radikalität“ im Umlauf. Ein Begriff, der seit 2010 in der NPD umhergeistert und den Apfel nun versucht mit Leben zu füllen. Er meint damit, „volksnah und gegenwartsbezogen für einen radikalen […] Politikwechsel einzutreten“. Doch all diese Ideen sind nicht neu. Schon 2009 wurden nahezu dieselben Vorwürfe und Ideen als Argumente gegen Voigt ins Feld geführt. Bereits Andreas Molau forderte eine bessere Führung der Partei und eine „Rücknahme von wählerverschreckenden Verbalradikalismen, ein volksnahes Auftreten bei Demos und einen Gegenwartsbezug des Nationalismus […]“. Molau betonte dabei, er kratze damit in keiner Weise die nationalistischen Ideale der Partei an, sondern mache diese bloß massenattraktiv. Die Ähnlichkeit der Forderungen schlägt sich sogar auf sprachlicher Ebene nieder. Genau wie Molau bedient sich auch Apfel bei Mao Tse-tung, wenn er sich wünscht, dass „Nationalisten [sich] im Volk wie Fische im Wasser bewegen können.“

Und genau dies ist der Kern der Debatte: Es geht schlichtweg um eine professionalisierte Außendarstellung der NPD, nicht um eine inhaltliche Erneuerung. Ebenso wie Molau betont auch Apfel am laufenden Band, er wolle eben keine „inhaltliche Anpassung und die Aufweichung unserer Grundsätze“. Und dies kann man ihm glauben. So war es nicht zuletzt auch Apfel, der in den 1990er Jahren eine Öffnung der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, hin zu den neonazistischen Kameradschaften mittrug. Auch in der Sächsischen Landtagsfraktion wurden immer wieder Personen aus dem Spektrum der neonazistischen „freien Kräfte“ beschäftigt. Diese Tendenzen setzen sich auch in Apfels Wünschen für die Besetzung des Parteivorstandes fort, welche gegen seinen Willen schon frühzeitig den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Dort findet sich beispielsweise Eckart Bräuniger wieder, eine Führungsfigur der Kameradschaftsszene, der Udo Voigt unlängst kritisierte, weil „[e]in Neger […] bei ihm als Deutscher, die Juden als reine Religionsgemeinschaft […]“ gelten, und der sich selbst im „sozialen Bereich eines rassisch vorgemerkten Nationalismus“ verortet. Ganz offensichtlich strebt Apfel keine Abkehr vom Neonazismus an, aber immerhin eine bessere Verpackung.

Der eigentliche Hintergrund für die derzeitigen Diskussionen um den Parteivorsitz ist das Bestreben einer jüngeren, einer erfolgreichen Generation an die Spitze der rechtsextremen Partei, die sich in der Partei machtpolitisch nicht mehr abgebildet findet. An der Spitze dieses Vorstoßes steht Holger Apfel. Er ist die Führungsfigur einer seit den 1980er und 1990er Jahren in die Partei gekommenen Gruppe, welche ergänzt wird durch Personen wie Udo Pastörs und andere unzufriedene Kader, die Veränderungen einfordern. Sie eint der Wunsch, sich nach zwanzig Jahren der Bewegung in der eigenen Szene endlich politisch wirkungsvoll einzubringen.

Durch die Einzüge der NPD in die Landtage in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben sich in den letzten Jahren Machtzentren in der Partei entwickelt, die mittlerweile ein Gegengewicht zum Parteivorstand bilden. Spätestens nach dem Bruch der beiden Fraktionsvorsitzenden Apfel und Pastörs mit Voigt im Jahr 2009 waren diese Teile der NPD jedoch nicht mehr im Parteivorstand repräsentiert. Die Situation der letzten beiden Jahre war allemal als Burgfrieden zu verstehen. Nun scheint die Situation nach herben Wahlniederlagen günstig und ein ungebrochenes Machtstreben der Voigt-Gegner vorhanden, um den Sturz des Parteivorsitzenden erneut anzugehen.

Apfel gilt bei vielen in der Partei als machtorientierte Persönlichkeit. Ihm wird nachgesagt, schon in den 1990er Jahren den Parteivorsitz vor Augen gehabt zu haben. Dafür durchlief er die Partei von unten nach oben. Er war Kreisvorsitzender der NPD, Landes- und Bundesvorsitzender der Jugendorganisation, über viele Jahre Mitglied des Parteivorstandes und wurde 2004 schlussendlich auch Fraktionsvorsitzender der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Zusätzlich bekleidet er derzeit das Amt des Vorsitzenden des Sächsischen Landesverbandes, ist also auch aktuell mit Ämtern gut ausgestattet.

Apfel selbst betont, er wolle an der NPD als „Bewegungspartei“ festhalten und meint damit ganz offenbar eine möglichst breite Beteiligung verschiedener rechtsextremer Ideologiespektren. Apfel weiß genau, dass er Vertreter der verschiedenen Flügel der Partei hinter sich versammeln muss, um Voigt zu stürzen. Dies schlägt sich auch in Apfels gewünschter Besetzung des Parteivorstandes nieder. Hier finden sich neben Abgeordneten und Mitarbeitern der sächsischen Fraktion auch Personen aus der „Neuen Rechten“, Vertreter der Jungen Nationaldemokraten, des Kameradschaftsspektrum und altgediente Parteisoldaten, die bereits dem aktuellen Vorstand angehören. Vergleicht man Apfels Wunschvorstand mit dem Amtierenden, zeigt sich eine Verjüngung um knapp zehn Jahre im Altersschnitt, welcher allerdings mit Anfang vierzig noch über dem Parteidurchschnitt von 37 Jahren liegt. Eine Verjüngung liegt also nur bedingt vor.

Wer am kommenden Wochenende zum Parteivorsitzenden gewählt wird, ist alles andere als sicher. Zwar konnte Apfel seinen Einfluss und seine Positionen in den letzten Jahren erheblich stärken, dennoch ist er an der Parteibasis nicht unumstritten und bei weitem nicht derart gefestigt wie Udo Voigt. Hier liegt Voigts Stärke, der seit vielen Jahren eine feste Verankerung gerade in den Kreisverbänden betrieben hat und – wie bereits 2009 zu sehen war – das Vertrauen vieler Delegierter der rechtsextremen Partei besitzt. Apfels Wahl ist damit alles andere als sicher. Dennoch wird es eine Entscheidung zwischen beiden Kandidaten geben müssen, die sich unterschiedlich auf die Partei auswirken könnte. Doch so einfach wie die Situation 2009 zu lösen war, wird es diesmal nicht. Molau, der ohnehin kaum über Rückhalt in der Partei verfügte, trat einfach aus und wurde zum Sündenbock erklärt. Doch dies ist bei einem Aufeinandertreffen von Voigt und Apfel kaum vorstellbar.

Sollte Voigt am Ruder bleiben, wird die Zukunft der Partei vor allem in der Reaktion seiner Gegner begründet liegen und in der Frage, ob und wie Voigt die aufstrebenden Kräfte einbinden kann. Eine Frontstellung der beiden Fraktionen könnte der Partei erheblichen Schaden zufügen. Auch die Jungen Nationaldemokraten fordern mehr Einfluss in der Partei und eine bessere finanzielle Unterstützung. Dieses Potential muss Voigt kanalisieren oder es könnte die Partei zerreißen.

Wenn es hingegen Apfel gelingen sollte, sein lang angestrebtes Ziel zu erreichen und Vorsitzender zu werden, kommt es auch bei ihm darauf an, wie er seine Gegner an der Parteibasis einbinden kann. Vermag er dies nicht, könnte es zu erheblichen Austritten aus der Partei kommen. Voigts Verbleib wäre dann ohnehin fraglich, da für ihn auf Apfels Wunschliste wohl kein Platz mehr im Vorstand wäre.

Benjamin Mayer ist Politikwissenschaftler.