SOS! Kandidaten verzweifelt gesucht!

[analysiert]: Teresa Nentwig über die Kandidatensorgen der größten französischen Oppositionspartei.

Es klang zunächst nach einem Scherz: Anfang Februar dieses Jahres teilte der Vorsitzende der UMP, Jean-François Copé, „voller Ernst“ [1] mit, dass seine Partei – immerhin die größte Oppositionspartei in Frankreich – demnächst in allen Städten Zeitungsanzeigen schalten werde, um Kandidaten für die Kommunalwahlen im März 2014 zu rekrutieren. Zwar war diese Ankündigung tatsächlich ein wenig humorvoll gemeint und sollte vor allem Aufmerksamkeit erregen, denn aus dem Umfeld des Parteivorsitzenden hieß es unmittelbar danach, dass die UMP keineswegs beabsichtige, in der gesamten regionalen Presse Bewerbungsaufrufe zu veröffentlichen. Doch ist der Kern ernst: Über Flugblätter oder im Rahmen einer speziellen Kampagne soll um Personen geworben werden, die für die UMP bei der nächsten Kommunalwahl antreten.

Dies ist ziemlich ungewöhnlich und wirft sofort eine Frage auf: Kann es wirklich sein, dass einer Partei, die von 1995 bis 2012 mit Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy den Staatspräsidenten stellte, im Mai 2012 nur ganz knapp den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen verpasste und zudem die mitgliederstärkste Partei Frankreichs ist, so sehr Kandidaten fehlen, dass sie keinen anderen Ausweg weiß, als über Annoncen für eine Kandidatur als Bürgermeister oder Gemeinderat zu werben? Tatsache ist, dass die UMP auf kommunaler Ebene äußerst schlecht verankert ist. Zwar gibt es einige Ausnahmen, darunter die Großstädte. In Paris beispielsweise wird vom 31. Mai bis 3. Juni sogar eine Vorwahl stattfinden, um dasjenige UMP-Mitglied zu bestimmen, das 2014 für den Posten des Bürgermeisters kandidiert. Auch in der drittgrößten Stadt Frankreichs, Lyon, gibt es derzeit noch mehrere UMP-Politiker, die gern für ihre Partei in den Kampf um das Bürgermeisteramt eintreten möchten. Kein Wunder eigentlich, bedenkt man, dass mit dem Posten speziell in Großstädten Macht und Prestige verbunden sind.

Doch in anderen Regionen stellt sich die Lage sehr viel komplizierter dar. Besonders dramatisch ist der Mangel an Kandidaten derzeit im Westen des Landes und in den linken Hochburgen der Pariser Banlieue. Hier fehlen Bürgerinnen und Bürger, die bereit und in der Lage sind, eine Liste anzuführen, die Wahl zu gewinnen und anschließend auch das neue Amt anzutreten. Ein führender UMP-Politiker brachte dieses Dilemma kürzlich wie folgt auf den Punkt: „Wir haben die Posten, aber keine Leute, um sie zu besetzen.“ [2]

Dass die UMP derzeit verzweifelt Kandidaten sucht, hat unterschiedliche Ursachen. Erstens ist zu erwähnen, dass die UMP seit 2001 alle lokalen Wahlen verloren hat und deshalb kaum mehr über kommunale Mandatsträger verfügt, die für eine Wiederwahl kandidieren könnten. Machtfülle genießt dagegen der größte Konkurrent der UMP, die Sozialistische Partei (PS). Sie hat die Mehrheit in der Nationalversammlung ebenso wie in der zweiten Kammer, dem Senat. Außerdem kontrolliert die PS die meisten Regional-, General- und Gemeinderäte.

Um das Kandidatenleck der UMP zu erklären, ist zweitens auf die Rolle der Präsidentschaftswahl im Jahr 2007 hinzuweisen. Nachdem Nicolas Sarkozy sie gewonnen hatte, richtete die UMP all ihre Konzentration auf die nationale Ebene und vernachlässigte infolgedessen die Kommunalpolitik. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass keine neuen Kandidaten aufgebaut wurden. Negativ wirkt sich in diesem Zusammenhang auch aus, dass die UMP über keine „Ausbildungsstätte“ beziehungsweise über kein „Bildungszentrum“ verfügt, das insbesondere Kandidaten in mittelgroßen Städten das nötige Know-how vermitteln könnte, darunter etwa das Aufstellen eines Haushaltsplans und das Halten einer Rede.

Drittens hat der Kandidatenmangel eine demografische Ursache. Die UMP erzielt traditionell gute Ergebnisse in ländlichen Gebieten. Doch dadurch, dass vor allem jüngere Menschen in die Metropolen abwandern und ältere sterben, veröden die ländlichen Regionen immer mehr – mit der Folge, dass sich der Kandidatenpool erheblich reduziert. Viertens gibt es aber auch eine soziologische Ursache: Als geeignete Kandidaten für kommunale Ämter sieht die UMP vorzugsweise Handwerker, Händler, Inhaber kleiner und mittelständischer Familienbetriebe sowie andere Selbstständige an. Diese sind jedoch häufig beruflich so stark eingespannt, dass sie keinerlei Zeit haben, um bei einer Wahl zu kandidieren.

Fünftens ist der noch nicht lange zurückliegende Machtkampf um den Parteivorsitz zu nennen, der sich negativ auf die Kandidatenzahl auswirkt. Ende 2012 war die UMP beinahe zerbrochen, weil Jean-François Copé nach einer von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl den Sieg für sich beanspruchte und damit den Unmut des Wahlverlierers François Fillon, dem eigentlichen Favoriten, auf sich zog. Zwar kam es am Ende zu einem Kompromiss, der eine Spaltung der Partei verhinderte. Doch völlig beigelegt ist der erbitterte Streit zwischen den beiden „Egomanen“ [3] und ihren Unterstützern bis heute nicht. Dies wirkt sich kontraproduktiv aus, denn die innerparteilichen Spannungen schrecken die Menschen ab, sich für die UMP zu engagieren.

Sechstens und letztens ist auf die spezielle politische Kultur der rechtsbürgerlich-konservativen Wähler hinzuweisen, um den Mangel an Kandidaten zu erklären: Diese ist, wie der Pariser Politikwissenschaftler Thomas Guénolé kürzlich in der Zeitung Le Monde darlegte, „bonapartistisch“ geprägt, das heißt die rechts stehenden Wähler waren es bisher immer gewohnt, einem unumstrittenen chef zu folgen. Nicolas Sarkozy galt als ein solch unzweifelhafter Anführer. Die UMP hatte daher während seiner Amtszeit keine so großen Probleme wie gegenwärtig, Kandidaten zu finden, außer in den ländlichen Gebieten. Heute dagegen fehlt dieser unangefochtene chef an der Parteispitze: Jean-François Copé haftet der Makel an, ein abgekartetes Spiel getrieben zu haben, um den Parteivorsitz übernehmen zu können. Hinzu kommt, dass Copé möglicherweise nur ein Interimsvorsitzender ist, denn im September dieses Jahres wird eventuell eine Neuwahl des Parteichefs stattfinden. Diese neuerliche Abstimmung war zwar Bestandteil der Kompromisslösung zwischen Copé und Fillon, ist aber weiterhin so umstritten, dass ihre Durchführung noch in den Sternen steht. Die Folge dieses Führungsstreits ist, dass Copé eine im Vergleich zu Sarkozy „viel geringere Mobilisierungsfähigkeit“ (Guénolé) besitzt.

Den beiden letztgenannten Aspekten kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass das Misstrauen gegenüber Parteien und der politischen Elite allgemein in Frankreich generell stark ausgeprägt ist. Verglichen mit Deutschland, haben die französischen Parteien infolgedessen nur geringe Mitgliederzahlen; die Parteienverbundenheit ist schwach ausgeprägt. Innerparteiliche Querelen können vor diesem Hintergrund besonders folgenschwer sein: Die Bereitschaft der Menschen, sich für eine Partei zu engagieren, nimmt noch weiter ab.

All diese Punkte zusammen können erklären, warum die UMP „in einem bisher nie da gewesenen Maße“ (Guénolé) Schwierigkeiten hat, ausreichend Kandidaten aufzustellen, und warum Jean-François Copé bereits Anfang Februar die Marschrichtung wie folgt festgelegt hat: „Ich fordere alle diejenigen Frauen und Männer auf, sich uns anzuschließen, die ihre Unzufriedenheit, ihre Empörung über die Regierungspolitik zum Ausdruck bringen wollen. Wir werden das Herz der Franzosen zurückerobern, ein Dorf nach dem anderen, eine Stadt nach der anderen.“ [4]

Momentan sind die Aussichten nicht schlecht, dass die UMP ausreichend Kandidaten rekrutieren wird und zumindest einige Dörfer und Städte „zurückerobern“ kann, denn die Bilanz von Staatspräsident François Hollande und seiner Regierung sieht äußerst dürftig aus: Die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte; die Kaufkraft sinkt; der Schuldenberg ist erdrückend, die Stimmung in der Bevölkerung, die Hollande eigentlich verbessern wollte, mehr als schlecht. Der Schwarzgeldskandal um den zurückgetretenen Haushaltsminister Jérôme Cahuzac und die Enthüllung der dubiosen Finanzgeschäfte von Hollandes Vertrauten und ehemaligem Wahlkampf-Schatzmeister Jean-Jacques Augier kamen somit zu einem denkbar ungünstigen Moment – sie beschädigen das Ansehen der Staatsführung noch einmal erheblich. Kein Wunder also, dass die Popularitätswerte des Präsidenten und der Exekutive immer neue Tiefstände erreichen. Anders ausgedrückt: Die Ausgangsbedingungen der UMP sind zumindest aus dieser Perspektive exzellent.

Daneben könnten aber auch andere Faktoren dafür sorgen, dass die öffentlichen Kandidatenaufrufe am Ende das gewünschte Ergebnis bringen: Die Absicht, auf diese Weise „eine neue Generation von Volksvertretern hervorzubringen“ [5] und „den rechts stehenden Franzosen zu zeigen, dass man sie braucht“ [6] und dass „die UMP kein geschlossener Club ist, der nur Eingeweihten offensteht“ [7], ermutigt möglicherweise tatsächlich den einen oder anderen Sympathisanten oder das ein oder andere Parteimitglied, eine Kandidatur zu erwägen.

In diesem Zusammenhang ist noch von Bedeutung, dass die UMP vor allem auch Frauen aufruft, sich für die Kommunalwahl aufstellen zu lassen. Copé hat am 8. März sogar extra einen Brief an alle weiblichen Parteimitglieder geschickt, um sie zur Kandidatur aufzufordern. Zwar steckt dahinter in erster Linie finanzielles Kalkül: Parteien, die in Kommunen mit mehr als 3.500 Einwohnern keine paritätisch besetzten Kandidatenlisten einreichen, wird die öffentliche Finanzierung gekürzt. Weil sie gegen das Paritätsprinzip verstoßen hat, sind der UMP seit 2007 bereits fast vier Millionen Euro entgangen – für eine Partei, die finanziell sowieso schon nicht allzu gut dasteht, ist das ein hartes Brot. Doch möglicherweise animieren die Appelle ja trotzdem die eine oder andere Frau, sich für die Kommunalwahl aufstellen zu lassen, denn derzeit sind für sie die Karrieremöglichkeiten in der Politik äußerst günstig. Wie dem auch sei: Sollten die Bewerbungsaufrufe am Ende doch nicht die erhoffte Wirkung entfalten, dann blieben der UMP als letzter Ausweg noch gemeinsame Kandidaten mit der Zentrumspartei UDI.

 Dr. des. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] Fressoz, Françoise: SOS UMP, in: Le Monde, 09.02.2013. Auch: Brunet, Marion: Municipales: l’UMP recrutera par „petites annonces“, in: LeFigaro.fr, 07.02.2013, online einsehbar unter http://www.lefigaro.fr/politique/2013/02/07/01002-20130207ARTFIG00386-municipales-l-ump-recrutera-par-petites-annonces.php [eingesehen am 09.04.2013].

[2] Zit. nach Lemarié, Alexandre: Les espoirs mesurés de l’UMP pour les municipales, in: Le Monde, 16.03.2013.

[3] So der Historiker Jean-Noël Jeanneney in einem Interview mit Le Monde. Zit. nach Schneider, Vanessa/Wieder, Thomas: „A droite, la rivalité est avant tout personnelle“, in: Le Monde, 02.12.2012.

[4] Zit. nach Brunet: Municipales.

[5] So verlautete es aus dem Umfeld des UMP-Vorsitzenden Copé. Zit. nach ebd.

[6] So Jean-François Copé. Zit. nach Lemarié: Les espoirs mesurés.

[7] So Jean-François Copé. Zit. nach Equy, Laure: L’UMP en mal de nouvelles recrues pour les municipales, in: Libération.fr, 19.03.2013, online einsehbar unter http://www.liberation.fr/politiques/2013/03/19/l-ump-en-mal-de-nouvelles-recrues-pour-les-municipales_889462 [eingesehen am 09.04.2013].