Sahra Wagenknechts Aufstieg im Westen

[analysiert]: Sören Messinger über die politische Karriere von Sahra Wagenknecht

Seit die PDS und die WASG zur LINKEN fusioniert sind, hat Sahra Wagenknecht einen steilen Aufstieg in der Parteihierarchie erlebt. Sie ist eine der Vizevorsitzenden geworden und ist nun im Gespräch für den Fraktionsvorsitz, den sie sich mit Gregor Gysi teilen soll. Zu Zeiten der PDS hatte sie sich jeden Posten und jeden Listenplatz schwer erkämpfen müssen und war mehr als einmal am Widerstand der Parteiführung, und damit nicht zuletzt an Gregor Gysi, gescheitert.

Ihre positive Bezugnahme auf das Regime der DDR machte sie zu einer extrem umstrittenen Person innerhalb der Partei. Dabei war die 1969 Geborene bis zur Friedlichen Revolution  nicht in der SED aktiv und trat erst 1989 in die Partei ein. Dennoch verteidigte sie wesentliche Aspekte des politischen Systems der DDR und stand den Distanzierungsversuchen der Reformer äußerst skeptisch gegenüber. Dies führte dazu, dass eben jene stets versuchten, ihren Einfluss in der Partei möglichst gering zu halten und sie von offiziellen Ämtern fernzuhalten. So bekam sie lediglich in NRW – damals völlig hoffnungsloses Gebiet für die PDS – die Chance, für den Bundestag zu kandidieren. Auch der Listenplatz für das letztlich erlangte Mandat für das Europaparlament konnte Sahra Wagenknecht nur über eine Kampfabstimmung auf dem Europaparteitag 2004 in Berlin erreichen. Die Parteiführung wollte sie lieber auf einem völlig chancenlosen Platz sehen.

Doch in der PDS war sie nicht ohne Einfluss. Ihre Rolle war eher die einer „einflussreichen Außenseiterin“[1]. Sie war die Galionsfigur der Kommunistischen Plattform (KPF), eine Gruppierung, deren Mitglieder eine sehr enge emotionale und biographische Bindung an die DDR besaßen und besitzen und Sahra Wagenknechts Position zur DDR teilten. Diese zwar zahlenmäßig nicht sonderlich große Hausmacht hatte innerhalb der PDS-Basis immer einen besonderen symbolischen Wert. Zusammen mit Wagenknechts rhetorischen und analytischen Fähigkeiten reichte dies häufig aus, um bei emotionalen Entscheidungen auf Parteitagen für bestimmte Positionen Mehrheiten zu schaffen. Besonders in programmatischen Diskussionen konnte sie einen erheblichen Einfluss ausüben und zwang die Reformer immer wieder zum Entgegenkommen. Dies führte zu einem ständigen Wechselverhältnis von Einbindung und Ausgrenzung. Noch 2008 gelang es Lothar Byski und Gregor Gysi ein letztes Mal, Sahra Wagenknecht vom Vizevorsitz der Partei fernzuhalten, 2010 wurde sie ohne große Gegenwehr in dieses Amt gewählt.

Ihre Position in der neuen Partei DIE LINKE ist somit deutlich komfortabler. Hier tritt sie den Reformern gleichberechtigt als eine Vertreterin einer großen Strömung, der Antikapitalistischen Linken (AKL), gegenüber und muss ihr Glück nicht mehr in der Emotionalisierung von Parteitagen suchen. Sie ist nun fest in die Bundestagsfraktion integriert und spielt innerparteilich eine immer größere Rolle. Zum Teil ist das sicherlich ein Sekundärprodukt des allgemeinen Aufstiegs der LINKEN: Ein Listenplatz in NRW ist eben nicht mehr völlig aussichtslos, sondern reicht tatsächlich aus, um in den Bundestag einzuziehen.

Eins jedoch bleibt erklärungsbedürftig: Warum kann sie auch innerhalb der Partei nun so reüssieren? Häufig wird ihr Aufstieg mit einem Bündnis mit Oskar Lafontaine in Verbindung gebracht, so auch in der aktuellen Debatte um den Fraktionsvorsitz; ihr Erfolg ist dann nur noch so etwas wie der lange Schatten des Vaters der Fusion. Dies erscheint aber als etwas kurzgegriffene Erklärung. Und selbst wenn sie stimmen sollte: Warum hat Oskar Lafontaine ein Bündnis gerade mit ihr gesucht, die ja in der PDS stets eine schwierige Position innehatte? Interessanter und langfristig relevanter ist die Frage, auf welche innerparteilichen Gruppen sich Sahra Wagenknecht stützen kann und auf welche Bedürfnisse an der Basis sie eine Antwort gefunden hat.

Sicherlich wenig geändert hat sich an ihrer Vertretung der alten SED-Kader, auch wenn ihre Position zur DDR längst nicht mehr dieselbe Radikalität wie in den 1990ern besitzt. Doch diese Gruppe wird kleiner und auch ihre relative Bedeutung hat innerhalb der Partei mit dem Mitgliederwachstum im Rahmen der Fusion stark abgenommen. Sahra Wagenknechts Aufstieg kann sich also nicht auf ihre alte Hausmacht stützen. Die neuen Gruppen, die sich durch Wagenknecht vertreten sehen, sind gerade die neu hinzugestoßenen, radikaleren Westlinken. Zusammen mit Mitgliedern der KPF bilden diese Gruppen die AKL, eine von drei großen Strömungen in der Partei und Sahra Wagenknechts neue Hausmacht. Warum aber folgen die Westlinken gerade einer Frau, die immer als eine der letzten Verteidigerinnen der DDR gegolten hat?

Nicht unbedeutend ist sicherlich, dass Sahra Wagenknecht es schon Ende der 1990er verstanden hat, aus ihrer Not eine Tugend zu machen und ihre aussichtslose Kandidatur für den Bundestag in Dortmund wirklich ernst genommen hat. Dort hat sie viel über das radikale, linke Milieu in Westdeutschland gelernt und sich selbst als fast einzige PDS-Politikerin in dieser Szene einen Namen gemacht. Viele andere PDS-Politiker vernachlässigten den Westen bis zur Fusion mit der WASG und haben nun deutlich größere Schwierigkeiten, sich innerhalb der Partei gesamtdeutsche Hausmächte aufzubauen. Aber darüber hinaus ist Sahra Wagenknecht längst eine Symbolfigur für radikalere Linke in West und Ost geworden. Ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte, ihre unnachgiebigen Ansichten, verbunden mit einem rhetorischen und analytischen Talent sicherten ihr die – wenn auch häufig ironisch distanzierte – Aufmerksamkeit vieler großer Medien. Durch diese mediale Präsenz bot Sahra Wagenknecht für Westlinke eine der wenigen Möglichkeiten, sich ein Bild von der PDS zu machen, denn die meisten Menschen, die im Westen jetzt in der LINKEN aktiv sind, kannten die PDS zuvorderst aus Fernsehen und Zeitungen. Sie prägte das Bild von einer radikalen und kompromisslosen PDS, mit der sich Teile der Westlinken nur allzu gerne identifizieren. Nachdem SPD und Grüne durch ihren Kurswechsel in Außen- und Sozialpolitik die Westlinken endgültig verprellt hatten, war für sie Radikalität und Kompromisslosigkeit das Gebot der Stunde. Nie wieder wollte man sich nur der Regierungsbeteiligung wegen so von den eigenen Grundsätzen entfernen. Sahra Wagenknecht kann ebendies garantieren, ist sie doch nicht zuletzt einfach selbst ein rotes Tuch für alle anderen Parteien; mit ihr in einer machtvollen innerparteilichen Position scheint eine enge Zusammenarbeit von LINKEN, SPD und Grünen symbolisch ausgeschlossen. Dies wissen aber auch die Mitglieder der Partei, die sich im Forum Demokratischer Sozialismus organisieren und die Tradition der Reformer hochhalten. Für sie wäre eine Fraktionsvorsitzende Wagenknecht eine innerparteiliche Niederlage bei der Debatte um mögliche Regierungsbeteiligungen der LINKEN.

Sahra Wagenknecht konnte die KPF mit den Westlinken zusammenführen. Während die einen sich nicht mit den Reformern einigen konnten, wie mit der Vergangenheit umzugehen sei, wollten die anderen mit aller Macht verhindern, dass sich die LINKE der SPD und den Grünen anbiedert, und lehnen deshalb die Vorschläge der Reformer ab. Der Aufstieg, den Sahra Wagenknecht auf dieser Grundlage schaffen konnte, dient somit auch der Integration einer bestimmten Gruppe neuer Mitglieder, auf die die LINKE, bei allen Problemen, durchaus angewiesen ist in ihrem immer noch erstaunlich erfolgreichen Versuch, sich im Westen zu stabilisieren. Denn diese Menschen sind hoch motiviert und vor Ort aktiv. Dass Wagenknecht sich als Vizevorsitzende in der Partei nun nicht mehr ganz so kompromisslos zeigt wie zuvor und auch die Strömungsarbeit satzungsgemäß weitgehend unterlässt, tut ihrem symbolischen, integrativen Wert offenbar keinen Abbruch. Gleichzeitig dürften die Reformer innerhalb der Partei ihrem Aufstieg skeptisch gegenüber stehen. Ihren Zielen für die Partei steht Sahra Wagenknecht weiterhin entgegen und genau das soll sie aus Sicht ihrer Unterstützer auch.

Sören Messinger ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.


[1] Lang, Jürgen P.: Biographisches Porträt: Sahra Wagenknecht, in: Jahrbuch Extremismus und Demokratie, (2010) Bd. 22, S. 192-203, hier S. 198.