Sag, wie hältst du’s mit dem Islam?

[kommentiert]: Severin Caspari über die Gefährdung der Zukunft der Islamkonferenz durch Innenminister Friedrich.

Die eigene Haltung zum Islam ist für deutsche Politiker in den letzten Jahren zur Gretchenfrage aufgestiegen. Wer das Bekenntnis wagt, wie Bundespräsident Wulff („der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“) oder jüngst Innenminister Friedrich („dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt“), der kann sich der Aufmerksamkeit der in dieser Frage spätestens seit der Sarrazin-Debatte polarisierten Öffentlichkeit sicher sein.

Das wusste auch Friedrich, weshalb sein anschließendes Lamento, doch nur falsch verstanden worden zu sein, wenig überzeugend wirkt. Überdies: In der Sache redet man bei der Frage nach der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland ohnehin stetig aneinander vorbei. Während die eine Seite auf einen mangelnden historischen Konnex pochen, fordert die andere, doch bitte nicht die Augen vor der Realität der Gegenwart zu verschließen. Letzteres verwehren sich die Anhänger der historischen Sicht: Selbstverständlich seien die hier lebenden Muslime Teil dieser Gesellschaft.

„Na, bitte“, möchte man ausrufen. „Dann lasst uns doch auf das hier und heute konzentrieren und das übrige den Historikern überlassen.“ Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn die regelmäßig inszenierte und chronisch verkürzte Zitateschlacht um die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland dient mitnichten der Klärung des Sachverhalts. Vielmehr geht es darum, politische Signale auszusenden. So etwa als Bundespräsident Wulff in staatsmännischer Manier versuchte, die überhitzte Sarrazin-Debatte abzukühlen; auch, um nach seiner ernüchternden Wahl am eigenen Profil zu feilen. Und auch der Vater der  Gretchenfrage Schäuble („Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft“) setzte 2006 ein Signal. Dabei ging es ihm vor allem darum, die Teilnehmer der von ihm gegründeten Islamkonferenz auf einen konstruktiven Dialog einzuschwören und beide Seiten in die Pflicht zu nehmen.

Das Signal, das nun Friedrich aussendete, ist zunächst eines an das eigene Lager. Adressat sind gleichzeitig all jene Teile der Bevölkerung, die den Islam zunehmend als Bedrohung wahrnehmen. Darin zeigt sich die Versuchung, ebenfalls einmal auf der Klaviatur der Angst zu klimpern, auch wenn das ganz große Spiel eines Sarrazin nicht behagen mag. Man mag die Äußerungen Friedrichs als ärgerlich, gar als verachtenswert empfinden. Man kann sie aber auch beschwichtigend dem Wahlkampf zuschreiben – und Wahlkampf ist im bundesdeutschen Föderalstaat schließlich irgendwie immer.

Als Friedrich diese Woche auf der Islamkonferenz gegenüber den Vertretern der Muslime für eine Sicherheitspartnerschaft warb, innerhalb derer die Verbände den Staat über mutmaßliche islamistische Bedrohungen informieren sollen, begab er sich erneut auf Glatteis. Sofort schlugen dem Innenminister Wellen der Kritik, auch aus dem Regierungslager, entgegen. Die Islamwissenschaftlerin Amina Omerika warf ihm vor, er fördere mit seinem Vorschlag „eine sehr bedenkliche Kultur des Denunziantentums unter den Muslimen“. Gut möglich, dass es sich bei diesem Vorstoß Friedrichs um einen Fauxpas eines Amtsanfängers handelte. Tatsächlich wies er in einem SZ-Interview darauf hin, dass die Sicherheitspartnerschaft außerhalb der Islamkonferenz etabliert werden solle. Er verfolge also nicht das Ziel, die Islamkonferenz zu einer Sicherheitskonferenz umzubauen.

Warum aber brachte er dieses Vorhaben dann überhaupt auf der Islamkonferenz vor? Und warum lancierte er seine Pläne zunächst in den Medien, bevor er sich gegenüber den Teilnehmern der Islamkonferenz äußerte? Keine Frage, Friedrich wollte der Islamkonferenz, der er als dritter Innenminister nach Schäuble und de Maizière vorsteht, seinen eigenen Stempel aufdrücken. Das Nennen von Islam und Sicherheit in einem Atemzug birgt dabei eine hintergründige Suggestionskraft: Dieses Signal löst Kopfnicken in den Reihen derer aus, die den Islam in Deutschland primär als Sicherheitsproblem wahrnehmen. Dass sich ein Innenminister dem Thema Sicherheit verpflichtet fühlt, ist selbstverständlich. Dass er das Thema im Zusammenhang mit Islamkonferenz prominent auf die Agenda setzt, schadet dem Geist dieser Veranstaltung, die sich primär dem Dialog zwischen deutschem Staat und den Muslimen verschrieben hat.

Dabei darf nicht vergessen werden: Es war mit Wolfgang Schäuble ein CDU-Minister, der die Islamkonferenz 2006 ins Leben rief. Der erste Landes-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) bezeichnete zur gleichen Zeit in der taz die Vorstellung, Deutschland sei kein Zuwanderungsland, als „Lebenslüge“ und scheute sich auch nicht, den Begriff „Multikulti“ zu verwenden. Und als in der ersten Hälfte des Jahres 2010 die Sarrazin-Debatte losbrach, äußerten sich Bundeskanzlerin Merkel („nicht hilfreich“) und Finanzminister Schäuble („vollkommener Unsinn“) zunächst unmissverständlich. Es ließ sich im Verhältnis von CDU und Muslimen eine Versachlichung beobachten, die sogar die Opposition verblüffte. Symptomatisch steht hierfür das offene Lob der Grünenpolitikerin Renate Künast an Wolfgang Schäuble anlässlich der Eröffnung der Islamkonferenz.

Die Zeit der Lockerungsübungen scheint indes vorbei. Die Sarrazin-Debatte, welche die Ängste weiter Bevölkerungsteile offenlegte, ging auch an der Rhetorik der Kanzlerin nicht spurlos vorbei. „Multikulti ist tot“, verkündete sie im Herbst des vergangenen Jahres in aller Deutlichkeit und fügte hinzu: „Wir fühlen uns dem christlichen Menschenbild verbunden; das ist das, was uns ausmacht.“ Wer das nicht akzeptiere, „der ist bei uns fehl am Platz“. Unionsfraktionschef Kauder beantwortete vor kurzem gar die Gretchenfrage in einer Extrem-Variante: „Der Islam hat unsere Gesellschaft nicht geprägt und prägt sie auch heute nicht. Der Islam gehört damit nicht zu Deutschland.“

Im Verhältnis von Union und Muslimen ist also derzeit erneut einiges im Argen. Dazu trägt auch bei, dass in jüngster Zeit wieder vermehrt die schweren Geschütze einer wechselweise „jüdisch-christlichen“, „christlich-jüdischen“ oder „christlich-abendländischen“ Leitkultur in Stellung gebracht werden. Desto schriller jedoch die Rede von einer solchen Leitkultur erklingt, desto mehr drängt sich der Verdacht auf, dass diese vor allem dem Ziel der Abgrenzung und der Abschottung nach außen dienen soll. Doch in seiner Funktion als Schutzwall bleibt der Begriff einer solchen Leitkultur rein negativ. Unklar ist, was positiv aus ihr folgen könnte und was sie überhaupt beinhaltet.

Im Dialog mit den Muslimen ist die Rede von einer „christlich-abendländischen“ Kultur, auf die auch Innenminister Friedrich verweist, nicht unproblematisch. Während die Islamkonferenz auf die Zukunft ausgerichtet wurde und nach Verbindendem suchen soll, schafft die Betonung einer Leitkultur Distanz, indem sie sich einseitig auf die Vergangenheit versteift. Friedrich hat mit seinen Äußerungen und Vorhaben eine neue Schärfe in die Islamkonferenz hineingetragen. Er riskiert, damit zu ihrem Scheitern beizutragen.

Severin Caspari arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung als studentische Hilfskraft.