Rot-grünes Wiedererwachen

[kommentiert]: Michael Lühmann über die aktuelle Chance rot-grüner Bündnisse

Die Stadt Hamburg erwartet in diesen Wochen die Wiedergeburt von Rot-Grün. Von Hamburg aus soll es dann zu einer wahren Renaissance dieses Koalitionsmodells kommen, dass noch vor sechs Jahren als totes Projekt galt, ermattet, kaputt und ziellos wirkte. Und die Umfragen geben beiden Parteien derzeit Recht. Doch wie schon die Neuauflage der bürgerlichen Koalition aus CDU und FDP im Jahr 2009 gezeigt hat: Ganz reibungslos wird dieses alte neue Wunschbündnis kaum zusammengehen.

So wenig sich die Verhältnisse der Kohl-Ära ansatzlos auf eine stark gewandelte Bundesrepublik im 21. Jahrhundert übertragen ließen, was Merkel und Westerwelle allmählich gewärtigen, so wenig wird sich das rot-grüne Projekt der Börsenboomer-Jahre, der ungebremsten Erweiterung von Märkten und Möglichkeiten, auf die krisengeplagte Republik im Jahr 2011 übertragen lassen. Dies gilt im Kleinen wie im Großen.

Zunächst zum Kleinen, nach Hamburg: Schon hier wird die Einigung der beiden Wunschpartner alles andere als reibungslos ablaufen. Denn wie grüne Umweltambitionen mit sozialdemokratischer Industriestrukturpolitik zusammengehen sollen, ist ein immer noch weitgehend ungeklärter Konflikt, der GAL und SPD in Hamburg dereinst entzweite. Denn Elbvertiefungen und Hafenerweiterungen werden die Grünen auch in einer Koalition mit der SPD mittragen müssen.

Es wird interessant zu beobachten sein, wie vor allem die Grünen nach dem Ende von Schwarz-Grün erklären werden, warum ihre Prestige-Projekte auch mit der SPD nicht realisierbar sind. Denn der Grünen liebste Projekte, Stadtbahn und Schulreform, werden, so sie nicht schon an der SPD scheitern, in Volksentscheiden ihr Ende finden. Denn einer rot-grünen Bürgerschaft steht die hochpolitisierte Gucci-APO des Hamburger Bürgertums entgegen. Schließlich werden sich ganz ohne CDU-Brückenkopf jene restaurativen Beharrungskräfte durchsetzen, die die Schulreform versenkten und nun das Stadtbahn-Großprojekt torpedieren. Obwohl, für Großprojekte findet man derzeit bekanntlich selbst bei den Grünen wenige Anhänger.

Aber auch im Großen, auf Bundesebene, dürfte eine Neuauflage von Rot-Grün nicht einfach werden. Vor allem auf den Feldern der Sozial- Bildungs- und Umweltpolitikpolitik droht Streit. Der Vorschlag Sigmar Gabriels etwa, die Mehreinnahmen aus einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht in Bildungspakete, sondern in die Entlastung kleiner Einkommen zu stecken, dürfte bei den grünen Eliten kaum auf Gegenliebe stoßen. Die Abneigung der Grünen gegen das, was sie als linkskonservative Sehnsucht nach dem alten Sozialstaat geißeln, darf nicht unterschätzt werden.

Indes, die Grünen selbst haben ihr Verhältnis zur Sozialpolitik kaum geregelt. Zwischen dem linken Flügel der Grünen, der die Rente mit 67 hinterfragt, Vermögensabgaben und höhere Steuerlasten für Besserverdienende fordert, und den „reformorientierten“, eher mittigen Anhängern einer in allen Lagern wählbaren grünen „Konzeptpartei“, schwelt ein Konflikt, der bislang noch unter dem programmatischen Deckel eines „erweiterten Gerechtigkeitsbegriffs“ gehalten wird. Dieser sozialpolitische Formelkompromiss erlaubt, indem er die gesellschaftliche Lasten- und Nutzenverteilung im Vagen hält, bislang die gleichzeitige Mobilisierung von Stamm- und Neuwählern.

Dieser Kompromiss mag halten, solange er in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen der SPD und der Linken verortet wird. Im Falle einer Regierungsbeteiligung aber ist völlig ungeklärt, wohin diese Debatte laufen wird. Zumal es im Bund – selbst in der großen Krise des bürgerlichen Lagers – bisher nicht ohne die Linke reichen wird.  Nur: Wo ist hier die Kompromissformel zwischen – folgt man dem grünem  Programmatiker Peter Siller – Bürgerverantwortung auf der einen Seite und Bonner Sozialstaatsromantik auf der anderen? Das Institut Solidarische Moderne, das den gemeinsamen inhaltlichen und Wertevorrat eines rot-rot-grünen Projektes deklinieren sollte, ist hier bislang eine Randerscheinung geblieben.

Völlig offen auch, ob der derzeit scheinbar aus dem bürgerlichen Lager stammende Zulauf zu den Grünen auf dem Weg in eine vage, grün und nachhaltig orientierte Mitte auch bei einer Rückkehr ins linke Lager erhalten bleibt. Schon Baden-Württemberg wird hier im Frühjahr zeigen, ob es den Grünen gelingt, Teile des bürgerlichen Lagers hinter sich zu vereinen und sogleich ins linke Lager mitzunehmen.

Hinzu kommt, dass, neben der Sozial- und Umweltpolitik und der ungeklärten Lagerzugehörigkeit, aus den neuen Kräfteverhältnissen ein weiterer, nicht unwichtiger Konflikt erwachsen dürfte: Grün-Rot ist inzwischen ebenso denkbar wie Rot-Grün. Die ungleiche inhaltliche „Arbeitsteilung“ der Schröder-Fischer-Jahre dürfte demnach der Vergangenheit angehören. Nicht ausgemacht ist, ob sich der Green-New-Deal oder der Gabriel-New-Deal durchsetzt.

Vieles hat sich also verändert seit 1998, vor allem aber eines: Kaum einer wagt mehr von einem rot-grünen Projekt zu sprechen. Vielleicht liegt aber gerade hier  die Chance auf einen echten Neubeginn. Denn im Gegensatz zu FDP und Union 2009 sind sich Grüne und SPD der vollkommen veränderten Vorzeichen durchaus bewusst.

Michael Lühmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.