Renaissance des serbischen Nationalismus

Beitrag verfasst von: Krsto Lazarević

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[Gastbeitrag]: Krsto Lazarević über die Amselfeld-Rede von Slobodan Milošević von 1989

Das Jahr 1989 verläuft für die Länder des Balkans überaus turbulent: Die Nationalisten sind im Aufwind, drängen auf Selbstbestimmung und kritisieren die gemeinsamen multinationalen Institutionen. Im Zuge einer Wirtschaftskrise schimpfen die reichen Republiken im Norden auf die armen Republiken im Süden und in der Mitte befindet sich eine Republik, die ihre Position ohne Rücksicht auf die kleineren Nachbarn durchzusetzen versucht. Während Menschen in den Ländern des Warschauer Pakts die sowjetische Fremdherrschaft von sich stoßen, beginnt auf dem Balkan ein Kampf um die Insolvenzmasse Jugoslawiens, der in Krieg, Vertreibung und Völkermord endet.

Vor 25 Jahren, am 28. Juni 1989, hielt Slobodan Milošević eine Rede auf dem Amselfeld unweit der kosovarischen Hauptstadt Priština. Genau 600 Jahre nach der historischen Schlacht zwischen den Truppen des christlichen Fürsten Lazar mit dem osmanischen Heer besuchten über eine Million Serbinnen und Serben das Kosovo und wohnten einem Spektakel bei, das eine wichtige Rolle bei der Schaffung des serbischen Ethnozentrismus und der Renaissance des serbischen Nationalismus spielte. Während die Berliner Mauer bereits bröckelte, beschwor Slobodan Milosević das serbische Nationalgefühl. Viele betrachteten diese Veranstaltung als Einstimmung auf die bald darauf folgenden Jugoslawienkriege.

Rudolf Scharping kommentierte die Rede zehn Jahre später mit den Worten: „An diesem Tag sprach Milošević von Groß-Serbien und davon, dass dieses Land ein ethnisch reines sein solle“[1]. Tatsächlich aber sagte das Milošević an keiner einzigen Stelle seiner Rede, stattdessen: „Nie in der Geschichte haben Serben allein in Serbien gelebt […]. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass dies ein Vorteil ist. Sozialismus als progressive und demokratische Gesellschaft würde es nicht wagen, den Menschen zu erlauben, getrennt nach Nationalität und Religion zu leben.“[2]

Milošević ging es dabei keineswegs darum, für die Gleichberechtigung der verschiedenen Volksgruppen einzutreten, sondern darum zu betonen, dass das Kosovo serbisch sei und man es eben akzeptieren müsse, dass auch andere Ethnien dort leben. Das „Großserbische“ ist bereits enthalten, wobei die Assoziation zu „Großdeutschland“ problematisch ist. Das „ethisch Reine“ ist eine Erfindung Scharpings und diente dem Zweck, den völkerrechtswidrigen Nato-Einsatz gegen Serbien zu rechtfertigten.

Slobodan Miloševićs Betonung der Einheit enthält bereits die Androhung, dass Serbien das Sezessionsrecht der anderen jugoslawischen Republiken nicht anerkennen würde. Das bezog er ausdrücklich auf das Kosovo, weil er es als „Herz Serbiens“ ansah: „Die Serben haben vor 600 Jahren hier auf dem Amselfeld sich selbst verteidigt. Sie haben auch Europa verteidigt.“[3] Das auch andere Truppen, darunter albanische, an der Seite des Fürsten Lazars gegen die Osmanen zu Felde gezogen waren, auch das erwähnt er nicht.

Slobodan Milošević hatte bereits zuvor chauvinistische Reden gehalten, die viel deutlicher waren. Daher war es nicht so sehr der Inhalt, sondern der Kontext und die Symbolik, die als Katalysator des serbischen Nationalismus fungierten. Vielen ist dieses Spektakel auf dem Amselfeld als Einstimmung auf den Krieg in Erinnerung geblieben. Ibrahim Rugova, damals Literaturprofessor, später der erste Präsident des Kosovo, sagte bereits zwei Tage vor der Rede in einem Interview: „Natürlich ist es eine Provokation. Es ist eine rein serbische, chauvinistische Feier.“[4]

Bereits 1987 hatte Milošević das Kosovo besucht. Dort griffen Serben albanische Polizeikräfte an, diese wiederum reagierten mit Schlagstöcken. Als Milošević eine Rede halten sollte, tönte es aus einer aufgebrachten Menge: „Sie schlagen uns“, woraufhin dieser erwiderte: „Niemand darf euch schlagen“. Dieser banale Satz machte Milošević zum „Retter der Serben“ und zu deren neuen „Führer“[5]. Dieser Moment war der Tod des Apparatschiks und die Geburt des nationalistischen Agitators.

Die Serben waren zwar die größte Bevölkerungsgruppe, konnten aber niemals die Rolle eines „Piemont der Südslawen“ erlangen. Eine Vormachtstellung der Serben im jugoslawischen Staat wurde als ständige Gefahr betrachtet, weswegen Tito bei Verfassungsänderungen in den Jahren 1967 und 1974 die Autonomierechte der Vojvodina und des Kosovo stärkte.[6] Im März 1989 wurde die serbische Verfassung so angepasst, dass der Autonomiestatus des Kosovo de facto abgeschafft wurde. Milošević schaffte es nicht nur in Serbien, sondern auch in Montenegro, in der Vojvodina und im Kosovo, seine Machtclique einzusetzen, und konnte somit alle Anträge aus den anderen Teilrepubliken, die den Bundesstaat betrafen, blockieren.[7]

Die Angst vor einer serbischen Vormachtstellung wurde nun Realität und Proteste von albanischer Seite wurden blutig niedergeschlagen. Nachdem die akademischen Eliten Serbiens bereits mehrheitlich chauvinistischen Positionen übernommen hatten, begannen nun auch regimetreue serbische Medien nationalistische Töne anzuschlagen. 1989 realisierte der Staatssender RTS das bis dahin aufwendigste Projekt seiner Geschichte: einen Film über die Schlacht auf dem Amselfeld, welcher einen bedeuteten Beitrag leistete, um den nationalen Mythos zu verbreiten.[8]

Die serbisch-orthodoxe Kirche, die in der Regierungszeit Titos die Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld aufrechterhielt, konnte ihren Einfluss innerhalb kürzester Zeit ausweiten. Die Renaissance eines chauvinistischen Nationalismus ging also einher mit einer Renaissance der serbisch-orthodoxen Kirche. Auch deswegen gehen die beiden im heutigen Serbien Hand in Hand.

Man kann sagen, dass während der Bürgerkriege der 1990er Jahre „lange zurückliegende, vergessene oder bis dato kaum beachtete Vergangenheitsbilder zurückgeholt, aktiviert und radikalisiert wurden“[9]. In einer „Grenzwächter-Mythologie“ konstruierten sich die Serben als das Volk, das 1389 unter eigenen schweren Leiden das Christentum vor dem Islam rettete. Die anti-muslimische Stimmung fand ihren radikal bösen Ausdruck letztlich im Genozid von Srebrenica und manche Autoren argumentieren, dass dieser wiederum eben jener „Grenzwächter-Mythologie“ zugrunde lag.[10] Die Vergangenheit ist den nationalistischen Kräften in Serbien zur Waffe geworden, mit der sie sich selber als Opfer stilisieren und eigene Verbrechen entweder leugnen oder relativieren.[11] Das galt 1989 und es gilt auch heute noch.

Die Amselfeld-Rede markiert den Wechsel von einem multiethnischen jugoslawischen Diskurs hin zu einem ausschließlich serbisch-ethnozentrischen und chauvinistischen Diskurs. Milošević bezog sich zwar positiv auf Jugoslawien, meinte damit aber ein Jugoslawien unter serbischer Vorherrschaft und keines unter dem Motto „Brüderlichkeit und Einheit“, wie es zu Titos Zeiten propagiert worden war. Dieser Wechsel war ein wichtiger Nährboden für die jugoslawischen Nachfolgekriege.

Die jugoslawischen Erfahrungen von einst sollten den Europäern heute eine Lehre sein. Das Aufleben völkisch-nationalistischer Ideologien, pathetischer Projektion und die Stilisierung der eigenen Nation zu Opfern der Geschichte führen nicht zu einem freien Nationalstaat, sondern zu nationalistischer Pathologie.

Krsto Lazarević ist Politikwissenschaftler und Journalist und lebt in Berlin und Sarajevo. Derzeit arbeitet er im Rahmen eines Stipendiums der Robert-Bosch-Stiftung bei der bosnischen Tageszeitung Oslobođenje und dem Wochenmagazin BH-Dani. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Rechtsextremismus in Osteuropa und politische Systeme im postjugoslawischen Raum.  

[1]  Scharping, Rudolf: Wir dürfen nicht wegsehen. Der Kosovo-Krieg und Europa, Berlin 1999, S. 19.

[2] O Srbima, bitkama i Jugoslaviji, in: Vreme 2009, 25.06.2009 Nr. 964, einsehbar unter: http://www.vreme.com/cms/view.php?id=872091. Aufgrund von Kontroversen bei der Übersetzung hat der Autor entschieden, die betreffenden Stellen selbst zu übersetzen.

[3]  Ebd.

[4]  Die Serben kommen als Rächer wieder, in: Der Spiegel. 26.06.1989, einsehbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13495630.html.

[5]  Đukić, Slavoljub: Kako se dogodio vodja: borba za vlast u Srbiji posle Josipa Tita,. 1992 Beograd, S. 127 ff.

[6]  Polónyi, Carl: Heil und Zerstörung. Nationale Mythen und Krieg am Beispiel Jugoslawiens 1980-2004, Berlin 2010, S. S. 95 f.

[7]  Ebd: 186 f.

[8]  Bašič, Mensur: Sozial engagierte Filmkunst in den jugoslawischen Nachfolgestaaten, in: Zeitschrift für Balkanologie, Bd. 46 (2010), Nr. 2, S 237-252.

[9]  Kuljić, Todor: Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum, Verbrecher Verlag, 2010 Berlin. S.33.

[10]  Ebd: 45 f.

[11]  Ebd: 153 f.