[Gastbeitrag]: David Höhle über den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Ost- und Mitteleuropa.
Der Aufstieg des Rechtspopulismus im Westen dürfte im Jahr 2016 endgültig unzweifelhaft geworden sein. Seine Gründe bedürfen aber nach wie vor gründlicher Interpretation. Gerade in Polen und Ungarn zeigen sich rechtspopulistische Phänomene in besonderer Deutlichkeit: Die beiden rechtsgerichteten Regierungen von PiS in Polen und FIDESZ in Ungarn haben in ihren Ländern bereits mit dem Umbau von Staat und Gesellschaft begonnen. Aufgrund des Ausmaßes dieser Entwicklungen ist davon auszugehen, dass es sich nicht nur um eine kurzfristige Mobilisierung mit Bezug zu einzelnen Policy-Fragen handelt, sondern um eine tiefgreifende Verschiebung in der politischen Tektonik der Konfliktlinien stattfindet. Dies lässt sich als eine Folge der Postdemokratie verstehen.
Der Politikwissenschaftler Colin Crouch beschreibt die Entwicklung zur Postdemokratie u.a. als Verlust der intermediären Ebene demokratischer Strukturen. [1] Ein bedeutender Aspekt ist dabei die Anpassung öffentlicher Dienste an die Ideologie des Marktes, welche die Verpflichtung der Verwaltung gegenüber der Gesellschaft zugunsten einer möglichst effizienten Bereitstellung besagter Dienste verwirft. Der Maßstab des Marktes entpolitisiert zugleich die Dienste des öffentlichen Sektors, sodass eine politische Debatte über dessen Aufgaben und Methoden sowie über eine Beteiligung der Bürger hinfällig wird.
Auch zur Parteipolitik stellt Crouch Thesen auf: So verwenden Parteien zunehmend moderne Formen des Marketings, was einen Einbezug außerparteilicher, aber professioneller Mitarbeiter nach sich zieht. Die damit verbundene Professionalisierung führt jedoch zeitgleich zum tendenziellen Ausschluss der Parteimitglieder an der Basis. Somit entfremdet sich Partei immer weiter von Bevölkerung. Im postdemokratischen Staat sind die historischen Konfliktlinien, die von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan beschrieben wurden[2], noch immer vorhanden und werden auch weiterhin repräsentiert. Dementsprechend sieht sich ein Teil der Bevölkerung, so meine These, vom „etablierten Parteisystem“ durchaus nach wie vor rechtmäßig vertreten. Ihnen stellen sich jedoch Populisten als Gegenpol gegenüber, die den Unmut der Ausgeschlossenen aufgreifen.
Problematisch bei der beschriebenen Interpretation ist allerdings die Frage, inwieweit die mit der Professionalisierung einhergehende Elitenbildung letztlich auf eine Abgeschlossenheit der gesellschaftlichen Schichtung oder auf die politische Apathie der Ausgeschlossenen selbst zurückzuführen ist. Die zahlreichen Facetten, wer wie warum an Entscheidungen mitwirken kann, werden in der populistischen Gegenüberstellung von „korrupter Elite“ und „unverdorbenem“ Volk indes nivelliert. Die rechtspopulistische Rhetorik bedient sich frei der Idee der Nation, um zu inszenieren, dass sie diese als Ganzes repräsentieren würde. So resultiert aus der rechtspopulistischen Rhetorik neben einer Abgrenzung zwischen „Oben“ und „Unten“ zusätzlich noch eine Exklusion Dritter, die nicht als Teil der Nation betrachtet werden.
Es liegt historisch nahe, dass die politischen Systeme Ostmitteleuropas die Erfahrung des postdemokratischen Übergangs während der ihre Demokratien konstituierenden Phase gemacht haben und dementsprechend intensiv von diesem Phänomen beeinflusst worden sind: Schnelle, tiefgreifende Transformationen von Zentralverwaltungs- zu Marktwirtschaften mit neoliberaler Tendenz hinterließen ab den 1990er Jahren neben Gewinnern, die nicht selten mit dem alten Regime in Verbindung standen, auch viele Verlierer[3] und brachten keine sonderlich starken Sozialstaaten hervor, während gleichzeitig Marktideologie und neoliberaler Reformansätze übernommen wurden.
Die Parteien als bedeutendste politische Repräsentanten der Bürger waren in Ostmitteleuropa von Beginn der Demokratisierung an eher ein Eliten- denn ein Massenphänomen. Heute werden sie kaum als intermediäre Organisation zur Artikulation und Vertretung der Wählerinteressen wahrgenommen und agieren entsprechend klientelistisch, jedoch professionell.[4] Wahlen in Ostmitteleuropa leiden unter einer chronisch geringen Beteiligung, und Parteien unter großem Misstrauen, worin sich Apathie und Frustration der Bevölkerung ausdrücken.
In Ungarn wie in Polen arrangierten sich die Postkommunisten schnell mit der Marktwirtschaft und die Mitglieder dieser Parteien nutzten die Gelegenheit, um auf den neu entstehenden Märkten private Vermögen aufzubauen. Infolgedessen tendieren die postkommunistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien Ostmitteleuropas zu neoliberaler Politik zugunsten von Unternehmerinteressen.[5] Dies führt dazu, dass die Wähler gerade in linken Parteien die Gefahr einer weiteren Privatisierung und eine Anpassung öffentlicher Dienste sehen. Folglich stellen linke Parteien für Wähler auch keine Alternative zur „Politik der Postdemokratie“ dar. Gleichzeitig betreiben die postkommunistischen Parteien Polens und Ungarns eine kosmopolitisch ausgerichtete Gesellschaftspolitik, sodass die liberale Ethik neben der neoliberalen Politik steht.[6]
In gewissem Sinne greift dieses Phänomen bspw. der ungarische Premierminister Viktor Orbán auf, wenn er von der Schaffung eines „illiberalen Staates“[7] spricht und diesen mittels verschiedener Reformen, nicht nur des Sozialstaats,[8] durchaus auch realisiert. Anstatt demokratische Institutionen zu fördern, die der neoliberalen Politik entgegenstehen könnten, nutzt er die Probleme der liberalen Ordnung, um diese Institutionen auszuhöhlen.
Mit Blick auf die dargestellten Entwicklungen liegt ein Zusammenhang zwischen postdemokratischer Modernisierung und rechter Polarisierung nahe. Dabei steht keine Seite prinzipiell der Postdemokratie entgegen; in Ostmitteleuropa ist das Phänomen der Postdemokratie in der Politik lagerübergreifend zu finden. Man kann also von „postdemokratischen Kosmopoliten“ und „postdemokratischen Nationalisten“ sprechen. Auch wenn es einer weiterführenden empirischen Analyse bedarf lässt sich erkennen, dass eine theoretisch tiefer greifende Erörterung unter Berücksichtigung von Postdemokratie und ihrer eigenen Konflikte ein besseres Verständnis der aktuellen historischen Verwerfungen verspricht.
David Höhle hat im vergangenen Jahr sein Bachelorstudium in Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft abgeschlossen und studiert nun Angewandte Statistik an der Georg-August-Universität Göttingen.
[1] Crouch, Colin: Postdemokratie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 1. Auflage
[2] Lipset, Seymour/ Rokkan, Stein: Party Systems and Voter Alignment – Cross national perspectives, The Free Press, New York/ London 1967.
[3] Segert, Dieter: Parteien und Transformation in Europa nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts, in: Bos, Segert (Hrsg.) Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? – Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008, hier S. 14.
[4] de Nève, Dorothée: Parteien in der Krise, in: Bos, Ellen/ Segert, Dieter (Hrsg.) Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? – Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008, hier S. 288.
[5] Dieringer, Jürgen/ Õispuu, Jane: Parteiensystementwicklung in Osteuropa und Europäische Integration, in: Bos, Ellen/ Segert, Dieter (Hrsg.) Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? – Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills 2008, hier S. 64
[6] Ebd., hier S. 66.
[7] Viktor Orbán, Viktor: Speech at the XXV Bálványos Free Summer University and Youth Camp, July the 26th, Băile Tuşnad (Tusnádfürdő), in: Budapest Beacon, online einsehbar unter http://budapestbeacon.com/public-policy/full-text-of-viktor-orbans-speech-at-baile-tusnad-tusnadfurdo-of-26-july-2014 , [eingesehen am 17.09.2016].
[8] Annamaria Artner (2016): Inside Hungary’s ‘Work-Based Society’, in: Social Europe, online einsehbar unter https://www.socialeurope.eu/2016/04/inside-hungarys-work-based-society/ , [eingesehen am 23.021.2017].