Politik-Talk als Performance-Wettkampf

[kommentiert]: Christian von Eichborn über Stefan Raabs Politik-Talk „Absolute Mehrheit“.

„Ich hoffe, es hat Sie angeregt, mal ein bisschen über Politik nachzudenken“, sagte Stefan Raab am Ende seiner neuen Polit-Talkshow „Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen“. Mit ihr hat Raab erklärtermaßen zum Angriff geblasen auf die Talkshow-Kultur der öffentlich-rechtlichen Sender: Entertainment – wie sollte es bei Pro Sieben anders sein – erhält den Vorzug vor Seriosität. Politiker sollen klar Stellung beziehen und, wie Raab es sich wünscht, ihr „menschliches Antlitz“ zeigen. Charakteristisch für „Absolute Mehrheit“ ist auch das Konkurrenz-Prinzip, die Möglichkeit zu gewinnen. Durch Zuschauerbewertung soll eine dynamische Gesprächskultur geschaffen werden, in der der derbe Witz das differenzierte Argument ersetzt.

Tatsächlich scheint dringend Abhilfe nötig. Ob „Hart aber fair“, „Anne Will“ oder „Günter Jauch“ – all diese Talkformate konkurrieren um eine begrenzte Anzahl möglicher Gäste, die immer wieder ähnliche Themen in leicht wechselnden Konstellationen diskutieren. Am Ende einer Sendung hat der Zuschauer vielleicht ein paar zusätzliche Informationen erhalten und weiß, wer was denkt. Doch welche politische Lösung am Ende in eine parlamentarische Mehrheit umgewandelt werden kann, bleibt völlig offen. In klassischen Talksendungen dominiert die Ernsthaftigkeit; Ungezwungenheit und Humor gelten gemeinhin als unangebracht, wenn über politische Sachthemen parliert wird. Doch grenzt all dies einen großen Teil an Menschen als potenzielle Zuschauer aus, macht den klassischen Talk unattraktiv für ein TV-Publikum, das einen hohen Unterhaltungswert schätzt – also gerne Pro 7 schaut. Junge Leute jedenfalls werden meist nicht erreicht.

Auch wenn es Raab tatsächlich gelungen scheint, vor allem das jüngere Publikum vor den Fernseher zu holen und satte 11,6 Prozent Marktanteil einzustreichen, und auch wenn das Konzept durchaus das Potenzial für frischen Schwung birgt, mit politischen Themen in neue Zielgruppen vorzudringen, ist Raabs Inszenierung von politischen Debatten als reinen Performance-Wettkampf – aus politikwissenschaftlicher Warte aus betrachtet – doch äußerst fragwürdig. Mehr noch: Mit der politischen Realität hat „Absolute Mehrheit“ nichts zu tun.

In Deutschland haben absolute Mehrheiten Seltenheitswert. Raab erklärt sie hingegen zum Ziel. Er appelliert an Regierungsstabilität und konsequentes „Durchregieren“, im Zweifel auch ohne Kompromisse. Charisma und Ausstrahlung, aber vor allem eine klare Meinung sollen den Weg zu einer solchen absoluten Mehrheit ebnen. Der angerostete, vom Kompromiss geplagte deutsche Bundesadler – so suggeriert es das Logo der Sendung –, soll aufpoliert werden. Dabei gibt es momentan – außer im Stadtstaat Hamburg – kein Bundesland, das von einer einzigen Partei allein regiert wird. Im Bund gab es die letzte und einzige absolute Mehrheit in der Wahlperiode von 1957 bis 1961. Damals wurde die Kanzlerschaft Konrad Adenauers in der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie bestätigt. Erklären lässt sich diese Seltenheit mit dem deutschen Verhältniswahlrecht, das anders als etwa das amerikanische Mehrheitswahlrecht verschiedene kleinere Parteien zu Koalitionen zwingt. Die Regierungsbildung wird dadurch schwieriger, während im Parlament ein größeres Spektrum an Meinungen abgebildet wird. Die Hoffnung auf absolute Mehrheiten liegt heute fernab der deutschen politischen Realität und fristet allenfalls ein Schattendasein in der politischen Kultur der Republik. Das Showkonzept ist damit, gelinde gesagt, unzeitgemäß.

Treffen in den Talksendungen Spitzenpolitiker aufeinander, wird eine bestimmte Erwartungshaltung an das Gespräch erweckt. Hier werden Themen von jenen Menschen diskutiert, die im Bundestag über neue Gesetze abstimmen. Die Annahme ist deshalb nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, dass aus den Gesprächen auch für die Kontrahenten irgendein inhaltlicher Mehrwert erwachsen könnte, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass unterschiedliche Meinungen wie auch deren Verhandlung in einer Demokratie selbstverständlich sind. Und es erscheint ebenso begründet, in Talkshows erste Ansätze späterer Kompromisslösungen zu erkennen. Doch dazu kommt es bei den herkömmlichen nicht, und bei Raab wird eine solche Erwartung erst recht enttäuscht. Die Debatte war am vergangenen Sonntag weder offen, noch gibt es vor der Kamera ein ernsthaftes Abwägen verschiedener Positionen. Die Talkshow ist weder ein Ort der Nachdenklichkeit noch der Verhandlung. Vielmehr wird hier dem Wunsch nach klarer Kante Vorrang gegeben.

Im Anschluss an eine Talk-Sendung gleich welchen Formats muss sich der Zuschauer wundern, wie selbstverständlich Kompromisse in Regierungskoalitionen oder zwischen Regierung und Opposition eingegangen werden, hatte sich doch vor laufender Kamera nichts dergleichen abgezeichnet. Ein Beispiel: der Beschluss zum Betreuungsgeld nach einem Spitzentreffen im Kanzleramt Anfang November. Talkshows sollen zwar eigentlich helfen, die Politik besser zu verstehen, entwerfen dabei aber gleichzeitig ein Bild von ihr, das nichts mit der politischen Realität zu tun hat. Zwar kommt eine starke Meinung des Einzelnen in Talkshows kurzfristig gut an, langfristig verstärkt sie jedoch das Bild vom Politiker, der als Tiger losspringt und als Bettvorleger landet.

Bereits in der ersten Sendung von „Absolute Mehrheit“ zeigte sich genau das: Peter Fuchs (CDU) argumentierte offenherzig gegen die Energiewende und für die Verlängerung der Atomlaufzeiten, die die Regierung zunächst beschlossen hatte. Aktuelle Parteilinie war das nicht. Wolfgang Kubicki (FDP) tat, was er immer tut, er inszenierte sich als charmanter Einzelkämpfer. Typen wie er bekommen hier ihre Bühne. Damit sich in der knapp bemessenen Diskussionszeit ein hinreichend großer Grad an Zuspitzung überhaupt erreichen ließe, waren die Anmoderationen der Themen normativ und suggestiv, einmal tendenziell für Steuergerechtigkeit, einmal gegen die Energiewende. Raab selbst fiel es sichtlich schwer, seine eigene Meinung zurückzuhalten.

Der Zwang zur Pointierung hat zudem eine unruhige und fast unfreundliche Gesprächskultur geschaffen. Die Herren der Runde spielten Raabs Spiel mit, unterbrachen sich, polemisierten und droschen Phrasen. Teilweise setzte sich in der Runde ein zotenhafter Ton durch, der die einzige Frau der Runde, die Berliner Unternehmerin Verena Delius, auszuklammern drohte: Der Lauteste, der Schnellste und Lustigste setzte sich durch. Die Anläufe von Delius jedenfalls, sich in das Gespräch einzuklinken, scheiterten.

Der deutsche Talkshowmarkt hat ein Problem. Er spiegelt weder die Politik wider wie sie ist, noch gibt es genügend Formate, die zielgruppenspezifisch politische Themen erfolgreich vermitteln. Ob Raabs Format es schaffen kann, langfristig Spitzenpolitiker in den Zirkus des totalen Fernsehens zu locken und dabei gleichzeitig ein jüngeres Publikum quotenstark vor den Fernseher zu holen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist allerdings, dass sich die neugewonnenen Zuschauer, diejenigen also, die jetzt „mal ein bisschen über Politik“ nachdenken, sich recht bald wieder abwenden werden. Die Politikverdrossenheit dieser Zielgruppe könnte durch die Show mittelfristig eher verstärkt als behoben werden. Denn unterm Strich verkörpert die Sendung den klassischen Polit-Talk: Sie hat nichts mit politischer Realität zu tun und die Ergebnisse der parlamentarischen Arbeit werden sich auch in den Sonntagsdebatten auf Pro7 in keinerlei Weise widerspiegeln. „Absolute Mehrheit“ löst die Probleme des klassischen Talks somit nicht, sondern treibt sie auf die Spitze.

Christian von Eichborn ist studentische Hilfskraft am Göttinger Institut für Demokratieforschung.