[kommentiert]: Teresa Nentwig hat den FDP-Bundesparteitag in Nürnberg besucht.
Der Parteitag startete rasant: Die große Halle auf dem Nürnberger Messegelände wurde verdunkelt und aus den Lautsprechern erschallte der Song „Move in the right direction“ der amerikanischen Band „Gossip“. Allerdings waren sich die 662 Delegierten selbst in zentralen Fragen nicht immer einig, wie die „richtige Richtung“ denn nun aussehen soll. Beispiel Ehegattensplitting: Hierzu gab es drei verschiedene Anträge. Während sich Antrag A für die Beibehaltung des Ehegattensplittings aussprach, sah Antrag B die Weiterentwicklung zum Realsplitting vor; Antrag C schließlich plädierte für die Einführung eines Familiensplittings, das auch Kinder einbezieht. Nach einer engagierten Debatte entschied sich der Bundesparteitag mit Mehrheit, am Ehegattensplitting festzuhalten. Kinder sollen dabei schrittweise den gleichen steuerlichen Freibetrag wie Erwachsene bekommen.
Noch umstrittener als die Zukunft des Ehegattensplittings war jedoch ein anderes Thema: die Frage nach einem „Mindestlohn“ oder, in der euphemistischen Sprache der Parteiführung, nach einer „Lohnuntergrenze“. Hierzu gab es nicht nur drei, sondern gleich sechs Anträge, die kontrovers diskutiert wurden. Gegner und Befürworter standen sich nahezu unversöhnlich gegenüber. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow etwa wandte sich in einer leidenschaftlichen Rede gegen die „politische Festlegung von Löhnen“. Und der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler warnte seine Partei davor, dem „Mainstream“, das heißt „der politischen Linken“, nachzugeben und „beliebig“ zu werden. Parteichef Philipp Rösler hingegen warb eindringlich für eine Ausweitung von Lohnuntergrenzen auf weitere Branchen und Regionen – denn Geschäftsmodelle, in denen Beschäftigten „dauerhaft drei Euro die Stunde“ gezahlt würden, dürfe es nicht mehr geben. Ähnlich äußerte sich der Spitzenkandidat der FDP zur Bundestagswahl 2013 Rainer Brüderle: Soziale Marktwirtschaft brauche einen „Ordnungsrahmen“, um Lohndumping zu verhindern.
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Am Ende der hitzigen Debatte, bei der fast die gesamte FDP-Prominenz auflief, konnte die Parteiführung zufrieden sein, denn sie setzte sich mit ihrem Vorschlag durch – für ihren Antrag stimmten 57,4 Prozent der Delegierten. Ein Delegierter aus Niedersachsen zeigte sich im Gespräch mit der Verfasserin zufrieden: Hätte der Antrag der Parteispitze noch mehr Stimmen erhalten, wäre dies als „Populismus“ gedeutet worden. Wäre der Antrag hingegen abgelehnt worden, dann hätte man die FDP als „neoliberal“ bezeichnet. In der Tat: Durch den Vorstoß in Richtung einer vorsichtigen Öffnung für Lohnuntergrenzen kann die FDP das ihr noch immer anhaftende Image als „Partei der sozialen Kälte“ ablegen – der kühle Liberalismus des Philipp Rösler bekam am Samstag ein wärmeres, menschlicheres Gesicht.
Weit weniger kontrovers ging es dagegen bei einer Frage zu, für die die Medien im Vorfeld „muntere Diskussionen“[1] angekündigt hatten: Mit überbordender Mehrheit entschieden sich die Delegierten, den Antrag der Bundesvereinigung Liberale Frauen e. V., eine vierzigprozentige Frauenquote in Parteiämtern, auf Kandidatenlisten aller Ebenen und bei der Delegiertenauswahl für Parteitage einzuführen, nicht zu behandeln. Erklären lässt sich dieser Beschluss damit, dass der Antrag schlecht vorbereitet worden war und schon im Vorfeld Anlass zu innerparteilichen Streitigkeiten gegeben hatte. Und so wandte sich auch keine der Anhängerinnen einer parteiinternen Quote, darunter vor allem die Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen Doris Buchholz, gegen die Entscheidung des Parteitags – obwohl die Möglichkeit zur Gegenrede bestanden hätte, schwiegen sie.
Doch wie dem auch sei: Wäre es zur Abstimmung über den Antrag gekommen, wäre er wohl wieder – wie schon auf dem Bundesparteitag in Rostock im Jahr 2011 – abgeschmettert worden. Denn die Ansicht, dass nur Leistung sowie Qualifikation und nicht das Geschlecht bei der Posten- und Listenplatzvergabe entscheidend sein dürften, ist noch immer weit verbreitet – auch unter den Freidemokratinnen. Darüber hinaus hängt vielen Mitgliedern die Quote „mittlerweile zum Halse raus“, wie es ein Delegierter gegenüber der Verfasserin auf den Punkt brachte.
Besonders starke Einigkeit demonstrierten die Liberalen auf ihrem Parteitag auch noch in anderer Hinsicht: Zum einen nahmen die Delegierten das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 mit nur einer Gegenstimme an. Zum anderen bedachten sie die Reden von Philipp Rösler und Rainer Brüderle minutenlang mit tosendem Applaus und Standing Ovations, wobei es vor allem dem äußerst angriffslustigen Spitzenkandidaten Brüderle gelang, die Delegierten mitzureißen. Schon ganz in der Rolle des Wahlkämpfers polterte er unter anderem gegen Steinbrücks „Steuererhöhungsorgie“ und geißelte, dass das Wahlprogramm der Grünen von „Verboten, Geboten und Lenkungsmaßnahmen“ nur so „wimmelt“. Die Grünen, so Brüderle, seien ja auch „gegen Trinken auf öffentlichen Plätzen“. Er selbst „sitze da jetzt weniger als in früheren Jahren“; trotzdem sei es für ihn „Ausdruck eines liberalen Lebensgefühls, dass man da auch was trinken kann. Es muss ja nicht immer Kamillentee sein“, so der FDP-Spitzenmann. Doch auch Rösler war bereits der Wahlkampfrhetorik verfallen und warf beispielsweise den Sozialdemokraten lautstark vor, einen „kapitalen Raubzug durch die Mitte der Gesellschaft“ zu planen.
Laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kam in Röslers Rede die derzeitige „programmatische Ermattung“ der FDP zum Ausdruck, die „Resultat einer insgesamt enttäuschenden Legislaturperiode und eines zermürbenden Führungsstreits“ sei. Das Wahlprogramm bezeichnete die Zeitung als „ambitionslos“ und kritisierte, dass auf dem Parteitag kaum die Rede davon sei, „wie […] das liberale Versprechen von Fairness und Chancengleichheit auch für Arme, Zuwanderer oder Frauen konkret eingelöst werden soll“.[2]
Zu dieser Kritik sind drei Aspekte festzuhalten. Erstens: Der Parteitag in Nürnberg – ein außerordentlicher – war extra zur Verabschiedung des schon fast fertigen Bundestagswahlprogramms einberufen worden. Über 700 Änderungsanträge mussten die Delegierten abarbeiten; sie mussten um Formulierungen ringen und so verschiedene Themen wie die Kaffeesteuer, die Hofabgabeklausel, das BAföG oder die Pendlerpauschale behandeln. Dass sie nicht auf jedes Thema ausführlich eingehen konnten, ist daher kaum verwunderlich. Im Übrigen: Antworten auf beispielsweise eben die Frage, „wie […] das liberale Versprechen von Fairness und Chancengleichheit auch für Arme, Zuwanderer oder Frauen konkret eingelöst werden soll“, waren schon vorab in dem online gestellten Entwurf des Wahlprogramms nachzulesen.
Zweitens: Die Veranstaltung in Nürnberg war bereits als Jubelparteitag konzipiert. Die Reden von Rösler und Brüderle zeigen dies deutlich – es waren keine sachlichen, emotionslosen Reden gefragt, in denen in allen Einzelheiten dargelegt wird, welche Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit durchgeführt werden sollen, sondern vielmehr Mut machende, die eigenen Erfolge lobende und den politischen Gegner zur Schau stellende Reden. Selbstbeweihräucherung kam daneben in einer wahren Publikationsflut zum Ausdruck: Im Tagungssaal beziehungsweise im Ausstellungsbereich des Parteitages kursierten unter anderem eine 83-seitige Broschüre mit dem Titel „Vier gute Jahre für Deutschland. Leistungsbilanz FDP im Deutschen Bundestag“, das Heftchen „Kennen Sie diese Zahlen? – Entlastung in Deutschland nach vier Jahren liberaler Regierungsbeteiligung“, das doppelseitige Informationsblatt „Liberale Erfolge in Verantwortung. Bilanz 2009 bis 2013 in Stichpunkten“ und der Flyer „Gut gemacht, Deutschland“.
Und drittens schließlich soll hier die These aufgestellt werden, dass die FDP auf ihrem Parteitag ein Image aufpoliert hat, das ihr zwar seit ihrer Gründung anhaftet, jedoch seitdem mal mehr, mal weniger deutlich zelebriert wurde: Die FDP geriert sich mal wieder dezidiert als „Partei der Freiheit“. Dieser Ausdruck, aber auch viele andere Kombinationen mit dem Wort „Freiheit“ kamen in zahlreichen Debattenbeiträgen und Reden vor (und „Freiheit“ taucht natürlich auch kontinuierlich in dem Entwurf des Wahlprogramms auf). Während zum Beispiel Brüderle und FDP-Generalsekretär Patrick Döring von der liberalen Grundüberzeugung „Im Zweifel für die Freiheit“ sprachen, betonte Rösler, dass die FDP eine „freie Gesellschaft“ wolle und für Freiheit kämpfen werde. Als „Schutzengel für die Freiheit, für die Bürgerrechte“ bezeichnete Brüderle auf dem Parteitag Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Möglicherweise können die Liberalen in den kommenden Monaten bis zur Bundestagswahl auch als Gesamtpartei genau mit diesem Image punkten: die FDP als eine Partei, die für das Lebensgefühl Freiheit steht, die sich den rot-rot-grünen „Tugendwächtern und Freiheitsfeinden“ (Rösler) entgegenstellt und die am 22. September, „im Namen der Freiheit“, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen will. Diese Inszenierungsstrategie ist wenig originell und wirkt abgegriffen. Man darf daher gespannt, ob es den Liberalen in den nächsten Monaten wirklich gelingen wird, damit bei den Wählern zu punkten.
Galeriefotos: Teresa Nentwig
Foto 1: Mit diesen beiden großflächigen Wahlplakaten wurden die Besucher des FDP-Bundesparteitages vor der Messehalle empfangen. Sie gehören zu der neuen „Gut gemacht“-Kampagne, mit der die FDP zeigen will, dass Deutschland auf dem richtigen Weg ist.
Foto 2: Rainer Brüderle, Spitzenkandidat der FDP zur Bundestagswahl 2013, redete sich regelrecht in Rage. Er giftete unter anderem gegen grünes „Gouvernantentum“ und den „schwarzlackierten Sozialismus“ einer Annegret Kramp-Karrenbauer.
Foto 3: Die Delegierten begeisterte Brüderle mit einer kämpferischen Rede. Begleitet von tosendem Applaus und Standing Ovations, hielt er im Anschluss daran minutenlang seine Daumen hochgestreckt.
[1] Carstens, Peter: FDP diskutiert über Mindestlohn, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.2013. Ähnlich auch: Wessling, Claudia: Eine Zumutung für das „liberale Denken“. FDP-Frauen kämpfen auf Parteitag vergeblich um innerparteiliche Quote, Text der Nachrichtenagentur Agence France-Presse vom 01.05.2013.
[2] Carstens, Peter: Das Land als gelber Ferrari, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.05.2013.