Orientierungsloser Pragmatismus

Thema: Halbzeit für Schwarz-Gelb (1)

[präsentiert]: Daniela Kallinich und Frauke Schulz über die ersten zwei Jahre der bürgerlichen Koalition

Als zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause 2011 eine Bilanz der vergangenen zwei Jahren schwarz-gelber Regierungsarbeit gezogen wurde, war der mediale Tenor nahezu einstimmig: Union und Liberale hätten es versäumt, sich thematisch zu profilieren, stattdessen bestimmten koalitionsinterne Zwietracht und verbale Ausrutscher das Bild der ersten Regierungshalbzeit. Die journalistische Litanei von der gescheiterten bürgerlichen Traumhochzeit ist indessen so häufig wiederholt worden, dass sie mittlerweile beinahe zum substanzlosen Topos verkommen ist.  Dabei wird oftmals unterschlagen, dass Enttäuschung und Entzauberung fast genauso selbstverständlich zu einer Regierungsbildung gehören wie Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen. Was aber bleibt über die übliche Unzufriedenheit hinaus substanziell an der Kritik an der Kanzlerin und ihrem Kabinett? Woher stammt die apokalyptische Aura, die schwarz-gelb von Beginn an anzuhaften scheint?

Besonders die FDP, eingezogen in die Koalition als großer Gewinner, taumelte von Anfang an und verhedderte sich in Steuerfragen und Personaldiskussionen. Ihr größtes Problem war, dass ihrem „Louis XIV“, Guido Westerwelle, nie der Rollenwechsel vom lärmenden Oppositionspolitiker hin zum souveränen Diplomaten gelang. Auch sein Rückzug vom Parteivorsitz reichte nicht aus, um die Kritik an ihm verstummen zu lassen. Damit wurde er für die Liberalen endgültig zum ungeliebten Ballast, doch stand die Partei vor dem Problem, dass sie – durchaus zum Königsmord bereit – nicht einmal Ersatz für das Amt des Außenministers aufbieten konnte. Allerdings liegt im liberalen Schlingerkurs keineswegs die gesamte Schwäche der Koalition begründet.

Video: „Politik ohne Erzählung“

Eigentlich hätte die Union sogar profitieren können: Ein dermaßen geschwächter Koalitionspartner hätte für Merkel und ihre Partei als ideale Voraussetzung dienen können, um ohne schlagkräftiges Gegengewicht die eigenen politischen Vorstellungen umzusetzen. Dies besonders, da auch die SPD, als größte Oppositionspartei und traditionelle Vetospielerin, so sehr mit dem eigenen Selbstfindungsprozess beschäftigt war, dass sie politisch matt gesetzt schien. Und doch gelang es der CDU/CSU und ihrer Führung nicht, diese strategische Chance zu nutzen. Der vormals noch gepriesene Pragmatismus Angela Merkels, ihr Talent zur Zurückhaltung und Hang zur dezenten Moderation wirkten angesichts gesellschaftspolitischer Turbulenzen plötzlich orientierungs- ja, teilweise sogar hilflos. Symptomatisch hierfür war der – vorläufig – endgültige Ausstieg aus der Atomenergie als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Japan.

Gerade am Umgang mit der Atomfrage, aber auch mit der Abschaffung der Wehrpflicht, zeigte sich ein weiteres typisches Merkmal der schwarz-gelben Koalition: Die Regierung blieb der Bevölkerung eine ausreichende Erklärung ihrer Politik schuldig. Für die Union erwies sich dabei als  umso fataler, dass gleiches auch für ihr Verhältnis zur Parteibasis galt, die sich bei solch grundlegenden Richtungsentscheidungen schlicht übergangen fühlte. Konservative „Kronjuwelen“ wurden dabei aus pragmatischen Gründen schlicht weggespart: Die Wehrpflicht beispielsweise, im Koalitionsvertrag noch festgeschrieben, wurde einzig aus Kostengründen abgeschafft. Gehaltvolle Diskussionen darüber, inwieweit dieses einst konstituierende Element konservativer Politik tatsächlich noch oder nicht mehr sinnvoll und nützlich sei, blieben hingegen weitestgehend aus. Das konnte solange funktionieren, wie der zum Superstar der Regierung avancierte damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sich für das Thema einsetzte. Dem scheinbar so konservativen Edelmann schenkte nicht nur die Unionsbasis, sondern auch ein großer Teil der Bevölkerung enormes  Vertrauen. Nach seinem unrühmlichen Abgang begann es jedoch auch unionsintern wieder lauter zu rumoren. Derzeit ist zum Beispiel in Fragen der deutschen Europapolitik auch aus Reihen von CDU und CSU unverhohlene Kritik zu hören.

Während die Regierung also ihre eigenen Parteien links (bzw. rechts) liegen ließ,  schien sie nunmehr einzig auf den Zeitgeist zu setzen, der unterdessen den Grünen ein Allzeithoch beschert hatte: Die Bevölkerung, erschüttert von der Wirtschaftskrise und der Umweltkatastrophe in Japan, befand sich auf einer grundlegenden Suche nach Sinn, Halt und Vorbildern. Dadurch selbst zutiefst verunsichert, hofften die Konservativen, die Stimmung im Volk, seine Ängste, Nöte und Ziele, aus demoskopischen Umfragen und Stimmungsbildern ablesen zu können. Gerade vor den Landtagswahlen des „Superwahljahres“ 2011 wurden Entscheidungen getroffen, von denen man inständig hoffte, das Volk werde sie elektoral honorieren. Diese Strategie blieb jedoch erfolglos, eine Wahl nach der anderen ging verloren.

Dabei wären viele Regierungsentscheidungen mit der richtigen Argumentation durchaus begründbar gewesen. In vielen Lebensbereichen zeigte sich, dass die Deutschen bereit waren, einerseits zu verzichten und andererseits Zeit und Geld zu investieren, solange ihnen dies sinnvoll erschien. Radikale Richtungswechsel und schmerzliche Einschnitte hätte die betont „bürgerliche“ Regierung gerade in der Krisenzeit  zu ihrem  konservativen Alleinstellungsmerkmal machen können. Die Tradition der Koalitionsparteien und ihrer Ideengeschichte hätte genügend Anknüpfungspunkte für schlüssige Begründungen einerseits und reizvolle Zukunftsvisionen andererseits geboten. Doch eine Einbettung der Regierungspolitik in einen  größeren Rahmen der politischen Sinngebung blieb aus. Und gleichermaßen war auch jede Bemühung, die eigene Beliebtheitswerte vor dem Absturz zu retten, vergebens.

Eine Halbzeitbilanz der bürgerlichen Koalition muss insgesamt also wesentlich differenzierter ausfallen, als das Gros bisheriger Kommentare. Dies erfordert einen intensiven Blick auf die großen Linien der Politikfelder, auf Parteitraditionen und bundesdeutsche Konventionen. Gerade diese offenbaren nicht nur Erklärungen für die schlechte öffentliche Resonanz auf zwei Jahre Schwarz-Gelb, sondern weisen auch auf Brüche und  Versäumnisse im Regierungshandeln hin. Denn gerade im Spiegel der Entwicklung des gesellschaftspolitischen Zeitgeistes wird überdeutlich, dass der von der Regierung praktizierte erklärungsarme Pragmatismus in einer vor allem von Krisen geprägten Legislaturperioden nicht fruchten konnte. Eben diesem Vorhaben widmet sich die jüngste Publikation des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.

Daniela Kallinich und Frauke Schulz arbeiten am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Sie sind Herausgeberinnen des jüngst erscheinenden Sammelbandes „Halbzeitbilanz. Parteien, Politik und Zeitgeist in der schwarz-gelben Koalition 2009-2011“, erschienen im Ibidem-Verlag.