Opposition oder Widerstand?

[gastbeitrag]: Wolfgang Welsch mit einer Replik zur Biografie über Gerd Poppe.

Christin Leistner versucht in einer Studie, die Hintergründe der Entstehung politischer Dissidenz in der DDR am Beispiel von Gerd Poppe zu ergründen. So weit, so lobenswert, denn über die Dissidenz Einzelner im SED-Staat gibt es noch immer zu wenig Literatur.

Wenn die 1985 geborene Autorin über Poppe schreibt, dass „man 1968 durchaus als den Beginn seines oppositionellen Handelns ansehen kann“, weil Poppe ein Protestschreiben gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag unterschreibt, könnte man das zunächst auf ein manichäisch-idyllisch geprägtes Bild von der Beschaffenheit einer Diktatur erklären. Von einer Studie erwarte ich indes, dass die Autorin eine saubere Definition des Begriffs „Opposition“ vornimmt, ehe sie aus einer – in Korrelation zur Gewaltherrschaft stehenden – Handlungsweise falsche und irreführende Begriffe ableitet. Wenn die Autorin feststellt, dass Poppe ein Vertreter der politischen Opposition sei, darf man zurückfragen, von welcher Opposition sie hier spricht? Seit wann gibt es in Diktaturen eine Opposition? Fast mystisch erklärt die Autorin, dass die Ausbürgerung Biermanns, Poppes ‚oppositionellen Charakter‘ reifen ließ. Leider führt sie an keiner Stelle ihrer Studie aus, was sie unter Opposition versteht, insbesondere nicht, wie Opposition in einer Diktatur entstehen und wirken kann.

Allgemein bezeichnet Opposition eine politische Gegnerschaft, die dann in Widerstand umschlägt, wenn sie keine Möglichkeiten zur legalen Entfaltung besitzt oder wenn ihr diese genommen wird. Weil jedoch der, vornehmlich auf westliche Demokratien eingeengte, Begriff nur schwerlich auf totalitäre Gesellschaftsordnungen angewendet werden kann, wird er von ihr – und leider nicht nur von ihr – synonym verwendet. Das aber grenzt an Geschichtsklitterung. Die Haltung des Bürgerrechtlers Poppe war nicht Opposition, sondern innere Abneigung, gekoppelt mit dem Wunsch, alternativ und unbehelligt leben zu können. Seine eingangs zu Recht so bezeichnete Dissidenz war, wie bei vielen Bürgerrechtlern und dem Fortbestand der DDR wohl gesonnenen Kräfte, auf eine non fertile Ventilfunktion beschränkt. Ihre Ansätze stellten das SED-Regime und deren führende Rolle per se nicht in Frage, sondern beschränkten sich auf einzelne, kritikwürdige Punkte. Sie stellten die Existenz der DDR und ihres Sozialismus nicht in Frage. Sie lehnten das System weder ab, noch bekämpften sie es, sondern suchten naiv nach Verbesserung und vermeintlicher Demokratisierung der kommunistischen Gewaltherrschaft.

Dabei übersahen sie, dass das Wesen totaler Herrschaft der Terror ist, wie Hannah Arendt treffend feststellt. Diktatur lässt sich weder kritisieren noch reformieren. Deshalb gibt es nur Dissidenz und Widerstand, aber niemals Opposition. Dieser (demokratische) Wertebegriff ist zur Beschreibung dissidenten und widerständigen Verhaltens untauglich und sollte zur Vermeidung von Missverständnissen deshalb nicht herangezogen werden. Eine Systemkritik als Fundamental-Opposition kann nur in der totalen Ablehnung und intendierter Abschaffung der Diktatur glaubwürdig sein und führt deshalb zwangsläufig in den Widerstand.

Foto: olga meier-sander  / pixelio.de

Gegen Ende des SED-Staates griffen einzelne die Fragmente sozialistischer Dissidenz auf und nahmen unter der Bezeichnung ‚Bürgerrechtler‘ die Bezeichnung „Opposition“ für sich in Anspruch. Bis zum Zusammenbruch der Diktatur gab es in der Geschichte des SED-Staates aber keine homogene Oppositionsbewegung, die diesen Namen verdient hätte, weil ihr Wirken praktisch unmöglich war. Die politische und gesellschaftliche Realität, in der das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) ein bedeutender Faktor war, ließ Formen des vorhandenen Widerstandes oder der Kritik nur unter erheblichen persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu. Jegliche Opposition war daher zum Scheitern verurteilt. Eine oppositionelle Massenbewegung wie zum Beispiel in Polen konnte nicht entstehen, weil die DDR-Bürger sich dem System überwiegend anpassten. Im Gegensatz dazu gab es von Beginn des SED-Staates an Widerstand und widerständiges Verhalten, gespeist aus totalitärer und neuer Erfahrung von Unrecht.

Die von Neubert und anderen rekurrierte „Friedenschiene“ als ‚Opposition‘ ist eine Schimäre. Eine Opposition, die auf die Beseitigung der Widersprüche des Systems in der DDR aus ist, muss stets die deutsche Frage stellen, weil sich nur in der Antwort darauf die Widersprüche aufheben lassen. Somit konnte sich der SED-Staat – neben den anderen kommunistischen Staaten – eine Opposition allein schon deswegen nicht leisten, weil sie in der Konsequenz immer auf die Abschaffung der SED-Herrschaft und damit der DDR hinauslaufen musste.

Selbst Joachim Gauck sprach von einer „gelegentlichen Traurigkeit“, die ihn und andere „Oppositionelle der letzten Tage“ erfasst habe, weil sie eine „Lebensform, eine Sehnsucht verloren“ hätten. Subtil formuliert, meint er nichts anderes als die untergegangene DDR, die man durch einen demokratischen Sozialismus reformieren, erhalten und aufblühen lassen wollte. Weshalb Buthmann feststellt: „Kein Wunder, dass jene, die Widerstand gelebt und erfahren haben, einen Wirklichkeitsverlust in der wissenschaftlichen Aufarbeitung feststellen müssen“[1]. Auch Kowalczuk beschreibt die ‚verschiedenen Welten‘, in denen sich der Widerstand und die SED-Reformer in den 1980er Jahren befanden und stellt dabei fest, dass der Begriff ‚Opposition‘ mit Blick auf die Bürgerrechtler unzutreffend sei.[2]

Die Bürgerrechtsbewegung, die sich später selbst ‚Opposition‘ nannte, war allenfalls eine Marginalie in einem jahrzehntelang widerständigen Verhalten gegen eine aggressive Diktatur. Heute wird aber so getan, als wäre sie es gewesen, die das SED-Regime in die Knie gezwungen hatte. Dabei waren Flucht und Ausreisebewegung explizit eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens, wie der Historiker Kowalczuk feststellt.

Thaysens Behauptung, dass bis zur Jahreswende 1989/90 die „Widerständler/Oppositionellen nahezu ausschließlich vom vorgefundenen Sozialismus ausgingen, den sie in irgendeiner Form reformieren wollten, weil sie ‚Ausgelieferte einer SED-Sozialisation‘ waren“[3], ist allerdings schon deshalb absurd, weil er Begriffe und Inhalte unzulässig vermischt. Zudem ist es eine faule Ausrede, die zur Geschichtslüge wird.

Ihr Unwissen, ihre Unmündigkeit kam aus geistiger Trägheit und war selbstverschuldet, weil ihnen der Mut fehlte, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Thaysen vermischt hier die Begriffe. Die Widerständler, von denen er spricht, haben mit dem eigentlichen Begriff nichts zu tun. Zivilcourage war auch im SED-Staat möglich, trotz der beschworenen Negativ-Sozialisation. Zur Dissidenz, dem „anders denken“, dem Ausgang und der Antizipation des Widerstandes, fordert sie gleichermaßen zum Mut auf, die Stimme des Gewissens nicht zu unterdrücken und widerständig zu handeln, so der sowjetische Dissident Nathan Scharansky. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass man in der Sowjetunion nicht unberechtigt von Dissidenten sprach und nicht von Oppositionellen. Auch dort war Opposition nicht möglich.

Eine Fülle von Behauptungen wird aufrechterhalten, die nicht oder nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand entsprechen. Schon Kant postulierte, dass „Irrtümer nicht allein daher entspringen, weil man gewisse Dinge nicht weiß, sondern weil man sich zu urteilen unternimmt, obgleich man doch nicht alles weiß, was dazu erfordert wird“.

Indem man von einer „Opposition in der DDR“ spricht oder schreibt, drückt man unterschwellig aus, es gab keine Diktatur. Das aber stellt die Geschichte auf den Kopf. Das mindert die Verdienste dissidenter Einzelpersonen oder Gruppen nicht, muss sie aber ordnen und heuristisch bewerten. Die Oppositionsforschung, die zumeist aus den Reihen der vormals kirchlichen Träger, Universitäten und Institutionen kommt, hat diesen Umstand aus durchsichtigen Gründen weitgehend ignoriert.

Die zurückliegenden 23 Jahre nach dem Sturz der Diktatur haben die Auswirkungen einer laxen Umgehensweise mit politischen Begriffen deutlich gemacht. Den systemimmanenten Kritikern und Dissidenten wird jene gesellschaftliche Anerkennung zuteil, die dem Widerstand bis heute zumeist vorenthalten bleibt. Deshalb muss jede, auch biografisch intendierte Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte unter dem vorstehend beschriebenen Blickwinkel betrachtet und bewertet werden.

Die nie akzeptierte Teilung in der deutschen Nachkriegsgeschichte war eine Motivation des Widerstandes, nicht der Dissidenz oder einer wie auch immer gearteten ‚Opposition‘. Die Teilung aufzuheben, verlieh ihm Legitimation und gesamtnationale Wirkung. Die heute ‚Opposition‘ genannten Dissidenten und Bürgerrechtler hatten die Teilung Deutschlands tief verinnerlicht und als unumkehrbar betrachtet. Die Bürgerrechtler haben per definitionem niemals Opposition betrieben oder gar die DDR gestürzt, nehmen aber die Verdienste einer fundamentalen Gegnerschaft unberechtigt für sich in Anspruch. Das muss und das wird sich in der beschreibenden Forschung ändern. Seriöse Historiker haben damit längst begonnen.

Dr. Wolfgang Welsch, Schriftsteller, Publizist. Vormals im Widerstand gegen die SED-Diktatur.

 


[1] Buthmann, Rainhard: Widerständiges Verhalten und Feldtheorie, in: Neubert, Erhart/Eisenfeld, Bernd (Hrsg.): Macht Ohnmacht Gegenmacht. Grundfragen zur politischen Gegnerschaft in der DDR, Bremen 2001, S. 89-120, hier S. 91.

[2] Siehe Kowalczuk, Ilko-Sascha: Verschiedene Welten. Zum Verhältnis von Opposition und „SED-Reformern“ in den achtziger Jahren, in: Neubert/Eisenfeld (Hrsg.) 2001, S. 49-75.

[3] Thaysen, Uwe: Der Runde Tisch, oder: Wo blieb das Volk? Der Weg der DDR in die Demokratie, Opladen 1990, S. 42.