„Nicht alles, was herkömmlichen Vorstellungen einer ‚guten Demokratie‘ entgegensteht, ist auch gleich demokratiegefährdend.“

Beitrag verfasst von: Katharina Trittel
[nachgefragt]: Interview mit der Redakteurin und Forscherin Katharina Trittel zur Startausgabe des Demokratie-Dialog

Mit der ersten Ausgabe des Demokratie-Dialog ist nicht nur ein neues Magazin entstanden; auch eine neue Institution, FoDEx, tritt als Herausgeberin von nun an regelmäßig an die Öffentlichkeit.
Zunächst: Wofür steht, was will und was erforscht FoDEx? (Und was will FoDEx möglicherweise nicht?) Was hat den Anlass zur Gründung eines eigenen Journals gegeben und welche Erwartungen sind mit dem Demokratie-Dialog verknüpft?

Katharina Trittel (KT): FoDEx ist das Akronym der „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“. Diese Stelle wurde im Zuge der Verfassungsschutzreform eingerichtet, einer Reaktion auf die gravierenden Versäumnisse der Staatsschutzbehörden im NSU-Komplex. Sie ist direkt an der Universität Göttingen angesiedelt und widmet sich drei zentralen Aufgaben:
Am Institut für Demokratieforschung sind wir erstens verantwortlich für die wissenschaftliche Untersuchung gesellschaftlicher Tendenzen und Akteure, die oftmals als „demokratiegefährdend“ bezeichnet werden, und zwar in den Bereichen Rechtsextremismus, religiöser Fundamentalismus und linke Militanz. Zweitens sammelt unser Kooperationspartner, die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB), Materialien – und das heißt bereits publizierter Texte und nicht „geheime“ Quellen –, welche u.a. vom Landesverfassungsschutz zur Archivierung bereitgestellt werden. Diese sollen aufbereitet und öffentlich zugänglich gemacht werden.
Drittens möchte FoDEx die aus dem Forschungsprozess gewonnenen Erkenntnisse der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen und in die gesellschaftlichen Debatten einspeisen.

Die Forschungsstelle will weder den Verfassungsschutz ersetzen noch ihm zuarbeiten. Wir betreiben völlig unabhängig und transparent zu den genannten Themen Grundlagenforschung, überprüfen Begriffe auf ihre Analysefähigkeit, verwerfen sie gegebenenfalls auch, und kommentieren durchaus auch kritisch die Arbeit des Verfassungsschutzes.

Gerade um diesem Anspruch gerecht zu werden, geben wir mit dem Demokratie-Dialog einen regelmäßig erscheinenden Werkstattbericht heraus, der aktuelle und praxisnahe Einblicke in unsere laufende Forschungsarbeit ermöglicht. Uns ist hier der Transfer von ersten Beobachtungen, Befunden und Hypothesen in die interessierte Öffentlichkeit wichtiger als die Präsentation fertiger Ergebnisse. Wir wollen mit dieser Publikationsform einen Dialog zwischen uns Forschenden, der Öffentlichkeit und anderen Wissenschaftlern ermöglichen. Dass bereits in der nächsten Ausgabe eine Replik auf einen Text des ersten Heftes erscheinen wird, zeigt, dass dieses Dialogangebot angenommen wird und gerade auch konträre Argumente ausgetauscht werden können. Das freut uns, da Debatten, auch Streit, ein wichtiger Bestandteil der Demokratie sind.

Im ausführlichen Beitrag zum Einstieg schildern Sie die Prämissen und Herausforderungen, die mit der Arbeit von FoDEx verbunden sind. Dort betonen Sie, dass ein Fokus auf der Analyse, auch der kritischen Überprüfung und gegebenenfalls Neubesetzung hergebrachter Begrifflichkeiten liegt. Einige der prominenten Begriffe in diesem Kontext lauten „Extremismus“, „Militanz“, „Dissidenz“ und „Radikalismus“. Können Sie hier ein wenig „Licht ins Dunkel“ bringen?

KT: Gerade die Debatte um den „Extremismusbegriff“ wird seit Jahren sehr erbittert geführt; die Fronten sind verhärtet, die analytischen Möglichkeiten und auch Defizite dieses Begriffes sind dahinter jedoch nahezu völlig verschwunden. Auch „Militanz“ und „Dissidenz“ decken meiner Meinung nach bloß Teilbereiche der von uns zu untersuchenden Bewegungen ab. „Radikalismus“ hat als Begriff bereits in den 1970er Jahren viel von seiner Aussagekraft verloren. Demgegenüber erscheint der differenzierte Gebrauch der auf einen Prozess hinweisenden Vokabel der „Radikalisierung“ vielversprechender. Kurzum: Es ist ein Signum der bundesrepublikanischen Forschungslandschaft in diesem Bereich, sich eher mit Begriffen als mit dem konkreten Phänomen auseinanderzusetzen. Auch dies wollen wir mit FoDEx ändern. Denn zu unserem Forschungsverständnis gehört, dass wir möglichst offen an die Untersuchungsfragen und -gegenstände herantreten wollen. Zwar benötigt man natürlich Begriffe, um Beobachtungen wissenschaftlich beschreiben zu können; doch dürfen diese nicht den Blick verstellen und müssen zu gegebener Zeit auch durch andere, passendere Begriffe ersetzt werden, sofern neuartige Entwicklungen und Erscheinungen dies erforderlich machen.

Um für eine Begriffsdebatte zunächst einmal eine Grundlage zu schaffen, haben wir im Oktober 2017 einen Workshop zum Extremismusbegriff veranstaltet (in der nächsten Ausgabe des Demokratie-Dialog folgt ein Tagungsbericht), auf dem wir mit anderen Forschenden die Möglichkeiten und Grenzen des Begriffes kritisch überprüft haben. Dies könnte ein Anfang eines sicherlich längeren Prozesses sein auf der Suche nach möglicherweise passenderen Begrifflichkeiten, um übergeordnete Fragestellungen bearbeiten zu können. In den einzelnen Teilbereichen des Projektes wollen wir uns bemühen, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht vorschnell mit etikettierenden Zuschreibungen zu versehen.

Im Zusammenhang mit Extremismus liest und hört man oft die Mahnung, dass die „Demokratie gefährdet“ sei. Wann und worin besteht Ihrer Ansicht nach eine solche Gefährdung der Demokratie, wie muss man sich die vielzitierte „Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ vorstellen – und, ganz basal: Warum sind diese Tendenzen problematisch?

KT: Nicht alles, was herkömmlichen Vorstellungen einer „guten Demokratie“ entgegensteht, ist auch gleich demokratiegefährdend. Deswegen ist dies ein überstrapazierter Begriff, den man mit Vorsicht verwenden sollte. Denn zu einer Demokratie gehört – wie bereits angedeutet –, dass man Positionen anderer aushält, auch wenn sie nicht der eigenen Sichtweise entsprechen. Problematisch wird es, wenn Akteure versuchen, gewaltvoll Ziele durchzusetzen, die den im Grundgesetz verankerten Werten und Rechten zuwiderlaufen. Doch gibt es subtilere Bedrohungen, wie bspw. die Bestrebungen der extremen Rechten, die Diskurshegemonie in ihrem Sinne zu beeinflussen und damit ihre Positionen in breiteren gesellschaftlichen Kreisen salonfähig zu machen. Genauso problematisch kann es jedoch sein, Akteure wie etwa „PEGIDA“ von vorneherein aus der Diskussion auszuschließen, weil man ihnen damit auch die Rolle des mundtot gemachten Märtyrers anbietet. Eine streitbare Demokratie hat ausreichend Möglichkeiten, anders auf solche Herausforderungen zu reagieren, auch juristische.

Gegenwärtig haben wir es mit zwei – scheinbar? – gegenläufigen Phänomen bzw. Entwicklungen zu tun. Einerseits mit einer verbreiteten Politik(er)verdrossenheit, die sich u.a. in Wahlenthaltung, allgemeiner: politischer Lethargie äußert. Andererseits ist von anschwellenden Protesten und grassierendem (Rechts-)Populismus zu lesen, was sich zuletzt nicht selten in eruptiven Unmutsbekundungen, teils gewaltsamen Ausschreitungen offenbarte. Wie passen diese beiden Gegenwartsdiagnosen zusammen?

KT: Man muss sich von der Meinung verabschieden, dass diejenigen, die z.B. bei „PEGIDA“ mitlaufen oder die AfD wählen, per se Abgehängte und politisch Uninteressierte seien. Wer sich hier, oft erstmals, an politischem Protest beteiligt, gehört meist nicht einem prekären Segment an, sondern hat eine diffuse Sorge vor Abstieg, aber auch davor, nicht gehört zu werden. Häufig ist er von den gegenwärtigen Möglichkeiten der parlamentarischen Demokratie enttäuscht. Viele haben die Vorstellung von Demokratie, dass diese eine Art Service sei, der ihnen zu ihrem Wohl bereitgestellt werden sollte, und nichts, was Bürger aktiv gestalten müssen. Unpolitisch sind die meisten von ihnen indes gerade nicht. Hier zeigt sich, was wir an anderer Stelle einmal etwas provokativ die „schmutzige Seite der Zivilgesellschaft“ genannt haben: Es artikulieren sich nun lautstark jene, die andere ausgrenzen und ihre eigene, als homogen erwünschte Gemeinschaft abschließen wollen. Doch tun sie dies in Parteien, auf der Straße und in Initiativen, also mittels partizipativer Formen – eine Entwicklung übrigens, die nicht nur Deutschland betrifft. Diejenigen, die sich ihrer Stimme enthalten, sind im engeren Sinne nicht demokratiegefährdend.

Zum Schluss: Welche Beiträge, welche Themen, auch welche Forschungspraktiken erwarten uns zukünftig im Demokratie-Dialog? Beispielsweise soll, so ist zu lesen, die „politische Kultur“ eine wichtige Rolle spielen. Wie erforscht man diese politische Kultur und macht sie fruchtbar für Ihre Fragen?

KT: Wir planen „lokale Charakterstudien“, die es ermöglichen sollen, eine gewachsene politische Kultur in einem Ort oder einem Landstrich im historischen Verlauf zu erforschen. Das heißt, im Fokus stehen nicht Institutionen, quantifizierbares Wahlverhalten oder Umfragewerte, sondern die lokalen Traditionen und Gegebenheiten: Welche (politischen) Konflikte haben einen Ort geprägt, welche Ereignisse haben Einfluss auf die Mentalitäten genommen und vielleicht einen Wurzelgrund für radikale Akteure geschaffen? In welchen Symbolen oder eingeübten Praktiken äußern sich diese? Wir gehen davon aus, dass in einer streitbaren Demokratie mehrere politische Deutungskulturen miteinander ringen. Dies lässt sich kleinräumig nachzeichnen – und dort setzen die Forschungen von FoDEx an.

Solche Lokalstudien brauchen allerdings Zeit und eine verstetigte Forschung; deswegen werden mittelbar im Demokratie-Dialog zunächst aktuellere Aspekte präsentiert, wie Tagungsberichte, Eindrücke aus der Feldforschung, z.B. die Beobachtung mehrerer Gerichtsprozesse, oder auch immer wieder kommentierende Beiträge zu aktuellen Gegebenheiten oder Gruppen, die von sich reden machen.

Auch werden in der nächsten Ausgabe (Frühjahr 2018) Autoren zu Wort kommen, die nicht an der Forschungsstelle arbeiten. Nachdem wir uns in der ersten Ausgabe selbst vorgestellt haben, war uns nun wichtig, die Perspektiven zu öffnen und in den Dialog zu treten.

Ich danke für das Gespräch!

 

Das Interview führte Katharina Rahlf

 

Katharina Trittel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratieforschung und bei FoDEx (Bereich Rechtsextremismus).